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Carsten Riechelmann hat die "Wartenburg" gemeinsam mit fünf anderen gekauft.

© Robert Klages

Update

Berliner Hausprojekt "Wartenburg": Wohnen verboten?

Das Lichtenberger Gleisdreieck ist zum Wohnen ungeeignet, sagt das Bezirksamt. Einige wollen hier trotzdem leben. Ansässige Clubs müssen bald einem Bürohaus weichen.

„Was, da wohnt jemand?“, ruft eine Frau im Vorbeigehen, als sie einen Mann in das Haus in der Wartenbergstraße 22 gehen sieht. Die beiden Gebäude links und rechts daneben werden gerade abgerissen. Sie gehören der Deutschen Bahn und diese muss den Kurvenradius der anliegenden Bahnstrecke vergrößern – keine zwanzig Meter von der Hausnummer 22 entfernt. Der Mann, der gerade ins Haus gelaufen ist, heißt Carsten Riechelmann. Zusammen mit fünf anderen hat der 34-Jährige die „Wartenburg“ für 55.000 Euro gekauft. So nennen sie ihr Hausprojekt. 15 Leute sind derzeit mit dem Ausbau beschäftigt.

Von außen ist es nicht viel mehr als eine Ruine

Im Inneren tut sich einiges: Fenster, Klos und Leitungen wurden bereits erneuert. Derzeit machen Riechelmann und seine Mitstreiter das Dach neu. Alles in Eigenregie, denn sie sind ausgebildete Handwerker. Sie wollen in dem Haus Büros und Werkstätten beziehen, gerne auch eine soziale Einrichtung im Erdgeschoss etablieren – und wohnen würden sie dort auch gerne.

Doch da gibt es ein Problem. Das „Dreieck“, wie das Gleisdreieck Kietzer Weg, Wartenbergstraße, Tasdorfer Straße und Wiesenweg genannt wird, ist wohl eine gewerbliche Baufläche beziehungsweise ein gewerblich geprägtes Gebiet. Ein Bebauungsplan liegt nicht vor. Laut Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) darf hier eigentlich nicht gewohnt werden. Erst kürzlich wurde die Klage des Eigentümers einer dort ansässigen Kfz-Werkstatt abgewiesen. Der Mann wollte Teile seines Grundstücks gerne als Wohnung nutzen. Doch das hier sei kein Mischgebiet, begründete die Richterin ihr Urteil. Den Inhabern einer Restaurierungswerkstatt und einer Tischlerei hingegen wurden Baugenehmigungen für Betriebswohnungen erteilt. Sogenannte „privilegierte Wohnungen“ für einen „besonderen Personenkreis“, sagt das Bezirksamt. „Die Wohnung ist also nicht auf dem freien Wohnungsmarkt verfügbar“, heißt es weiter.

Der Blick auf "Das Dreieck" vom Dach der Wartenburg.
Der Blick auf "Das Dreieck" vom Dach der Wartenburg.

© Robert Klages

Im Dreieck befinden sich auch Lackierereien, ein Trabi-Verleih, Deutschlands einziger Crash-Room, in dem man für Geld Einrichtungsgegenstände mit einem Vorschlaghammer zertrümmern kann, und mehrere Technoclubs, direkt neben der Bahntrasse gelegen. Doch das Gebiet unweit des belebten Ostkreuzes wird sich bald massiv wandeln. Dort, wo sich derzeit noch Clubs befinden, im Wiesenweg 1-4, soll ein riesiger Gewerbehof entstehen. Die Besitzer des gerade erst eröffneten „Polygon“ wissen noch nichts von den Plänen des Investors und des Bezirks. Ihr Vertrag läuft bis 2022.

Ein schmaler Pfad unter Baugerüsten

Da die Bahnbrücken derzeit erneuert werden, muss man durch einen schmalen Pfad unter Baugerüsten herlaufen, um ins Dreieck zu gelangen. Nach Informationen der Grünen im Bezirk wurden 57 Wahlbescheinigungen zur Abgeordnetenhauswahl 2016 an Einwohner im Gleisdreieck versandt. Laut Bezirksamt gibt es hier einige „Schwarzbauten“, also Wohnhäuser, die ohne Baugenehmigung errichtet wurden. Das Bezirksamt könne die „passive Duldung“ dieser Bauten jederzeit aufheben, sollte „fachliche Notwendigkeit“ dazu gesehen werden, heißt es.

Legalisieren möchte es die Wohnungen nicht. Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse seien durch die Emissionen und den Lärm von Gewerbebetrieben und Bahnanlagen nicht erfüllt. Legalisierte Wohnnutzungen würden eine negative Vorbildwirkung entfalten. Zumal die Preise für Immobilien hier so günstig seien, weil es sich eben um ein Gewerbegebiet handle.

Lichtenbergs Baustadträtin Monteiro sagt, der Bezirk werde gegen illegale Wohnnutzungen vorgehen. So auch im Falle der Wartenburg. Das Haus sei ab 1976 ein Bürogebäude gewesen und stünde mindestens seit 1996 leer. „Daher gehe ich von keinem Bestandsschutz aus, weder für Wohnen noch für Büros.“

„Wir haben ein Wohnhaus gekauft“

Das sieht Riechelmann anders: Er und seine Freunde haben das Haus aus privater Hand gekauft. Der 83-jährige Eigentümer habe zwar nicht viel damit anzufangen gewusst, es aber nicht verfallen lassen. Deswegen fordert Riechelmann, dass hier Bestandsschutz greifen sollte. „Wir haben ein Wohnhaus gekauft“, sagt er. Doch auch das Bauamt ist der Ansicht, das Haus habe zu lange leergestanden, daher sei der Bestandsschutz erloschen.

Für eine Handvoll Steine: Carsten Riechelmann vor seinem Hausprojekt "Wartenburg".
Für eine Handvoll Steine: Carsten Riechelmann vor seinem Hausprojekt "Wartenburg".

© Robert Klages

Das Bauamt sagt auch, es sei gefährlich, sich in dem Haus aufzuhalten. Riechelmann allerdings hat ein Statiker-Büro beauftragt, das zu prüfen. Und dieses gab grünes Licht. „Von außen sieht es schlimm aus“, gibt Riechelmann zu. „Aber innen ist es gut ausgebaut und sicher.“ Eine Baugenehmigung für Wohnungen hat er gar nicht erst gestellt, weil er weiß, dass er diese sowieso nicht bekommen wird.

Vom Dach der Wartenburg aus kann man sehen, dass ein Nachbar Hühner und ein Schwein hält. Das Dreieck ist wie eine Insel, man kennt sich. Und man fragt sich, wie es hier weitergehen soll. Riechelmann und seine Mitstreiter wollen ihre Wartenburg trotz allem weiter ausbauen und notfalls nur als Gewerbe nutzen. „Auch, wenn man uns hier nicht haben will.“

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Dieser Artikel ist zuerst am 08. Oktober 2018 erschienen. Darin hieß es, das Gebiet sei laut dem Bezirksamt ein Gewerbegebiet. Da es sich jedoch um ein gewerblich geprägtes Gebiet und um kein reines Gewerbegebiet handelt, wurde der Artikel dementsprechend geändert. Die Frage, ob es sich um eine Gewerbegebiet handelt, wurde auch vor Gericht behandelt. Näheres dazu können Sie folgendem Artikel entnehmen: leute.tagesspiegel.de

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