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Blick auf das Bettenhaus der Charité am Campus in Berlin-Mitte.

© dpa/Joerg Carstensen

Pflege-Tarifvertrag als Vorbild: Berliner Charité macht Vorschläge gegen Personalnot der Kliniken

An Berlins Universitätskrankenhaus gilt ein Entlastungstarifvertrag, der bundesweit zum Vorbild wurde. Doch um die Pflegenot zu lindern, plädiert der Charité-Vorstand auch für Gesetzesnovellen.

Mehr Befugnisse für Pflegekräfte am Krankenbett, ausreichend Mittel für die Verwaltung drumherum und eine am eigenen Tarifvertrag orientierte Bundesregelung – aus Sicht der Charité-Spitze sind das Instrumente, um die Personalnot der Krankenhäuser zu lindern.

Das sagte die Personalchefin der landeseigenen Universitätsklinik, Carla Eysel, am Donnerstag. Dass die Charité-Führung öffentlichkeitswirksam derartige Vorschläge macht, hat auch mit der tarifpolitischen Vorreiterrolle unter den Krankenhäusern zu tun.

Neuartiger Tarifvertrag nach wochenlangem Pflegestreik

Der Charité-Vorstand einigte sich Ende 2021 nach einem wochenlangen Pflegestreik mit Verdi auf einen neuartigen Tarifvertrag: Der Gewerkschaft ging es darum, den Stress auf den Stationen, also die Zahl der Patienten zu reduzieren, um die sich jede Pflegekraft kümmern muss.

Seitdem gilt ein fixer Personalschlüssel. Während eine Intensivpflegekraft im Schnitt bislang 2,5 Fälle pro Schicht versorgte, sollen es nun maximal 1,8 Patienten sein. In der Orthopädie ist der avisierte Schlüssel eins zu sieben, auf Normalstationen eine Pflegekraft auf 15 Fälle.

Vorbild für weitere Kliniken

Wird die jeweilige Pflegekraft-Patienten-Quote unterschritten, erhalten die betroffenen Beschäftigten sogenannte Belastungspunkte. Nach einer bestimmten Punktzahl stehen den Beschäftigten freie Tage, Hilfe bei der Kinderversorgung oder Ausgleichszahlungen zu. Wenn dauerhaft zu wenig Personal verfügbar ist, müssen Chefärzte entsprechend Betten sperren.

Der Tarifvertrag wurde zum Vorbild. Vergangenes Jahr streikten die in Verdi organisierten Pflegekräfte an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen für eine ähnliche Regelung.

Charité-Personalchefin Carla Eysel sucht neue Pflegekräfte.
Charité-Personalchefin Carla Eysel sucht neue Pflegekräfte.

© Hannes Heine

Tatsächlich sei der Charité-Entlastungstarifvertrag der "Goldstandard", sagte Dana Lützkendorf, wenngleich es in der Umsetzung mitunter hapere: Die Personalverantwortlichen berücksichtigten zwar das System der Belastungspunkte, sperrten aber nicht immer die nötige Zahl an Betten. Lützkendorf, noch 2021 selbst Intensivschwester an der Charité, arbeitet heute als Verdi-Tarifexpertin.

Die Bundesregierung will auf eine PPR 2.0 abgekürzte Pflegepersonalregelung setzen, die vorsieht, dass pro Schicht und Station notiert wird, was erledigt werden musste, um so den künftigen Bedarf zu bestimmen. Charité-Personalchefin Eysel kann sich auch vorstellen, dass der Entlastungstarifvertrag als Blaupause für eine Bundesregelung dient.

Verdi fordert eine gesetztliche PPR-2.0-Regelung durch den Bund. Dann sei für viele Kliniken schon viel gewonnen, sagt Lützkendorf, wobei der Charité-Tarif noch ein bisschen besser sei.

5000
Pflegekräfte arbeiten an der Charité.

Charité-Vorstandsmitglied Eysel zufolge müsste das Großkrankenhaus je nach Patientenzahlen bis zu 700 neue Pflegekräfte rekrutieren, um dem Tarifmodell gerecht zu werden. Zwar habe man vergangenes Jahr 500 neue Beschäftigte geworben, aber auch circa 350 Mitarbeiter verloren. Zehntausende Pflegekräfte fehlen bundesweit, alle Kliniken und Heime werben um Personal.

Neben dem hausinternen Ausbilden wird sich eine für die Suche im Ausland eingerichtete Charité-Stabsstelle umsehen. Mehr als sieben Prozent der 5000 Charité-Pflegekräfte sind schon aus dem Ausland angeworben worden.

Die Pflegebranche wünscht sich hierzulande mehr Befugnisse

In den meisten Staaten mit vergleichbaren Gesundheitssystemen aber erhalten Pflegekräfte mehr Befugnisse. Sie dürfen in bestimmten Fällen etwa Medikamente verschreiben. Das wünschen sich in der Branche viele auch hierzulande. Der Deutsche Pflegerat forderte immer wieder, Potenziale von Pflegekräften besser zu nutzen. Auch Charité-Personalchefin Eysel plädiert für entsprechende Gesetzesänderungen.

Die Kosten für das Klinikpersonal und die Medikamente zahlen laut Gesetz die Krankenkassen, wobei da die Höhe der Tariflöhne maßgeblich ist. Viele Pflegekräfte aber arbeiten für Leih- und Zeitarbeitsfirmen, die mindestens auf die Schicht gerechnet höhere Löhne zahlen und zudem Vermittlungshonorar veranschlagen. Die Leiharbeit im Gesundheitswesen müsse deshalb strenger reguliert werden, sagte Eysel. Ähnlich äußerten sich zuletzt Krankenhausgesellschaft und SPD.

Um die Pflege zu entlasten, sollten zudem Verwaltung und Hauswirtschaft besser ausgerüstet werden, sagte Charité-Vorständin Eysel, wofür es mehr Mittel brauche. Umfragen zufolge befassen sich Mediziner und Pflegekräfte drei Stunden pro Schicht mit Dokumentation und Abzeichnen.

Bald starten Verdi und der Beamtenbund deutschlandweit die Tarifrunde für die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Deren Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) gilt neben dem erwähnten Entlastungssystem auch an der Charité, insbesondere was die Lohntabellen angeht.

Für die Ärzte und Tochterfirma des Krankenhauses gibt es eigene Verträge. Erst im November einigten sich Charité-Vorstand und Marburger Bund auf einen neuen Tarif für die 2700 Ärzte der Hochschulklinik.

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