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Die Dornier Komet II D223 der Deutschen Luftreederei am 30. Dezember 1922 bei der Zwischenlandung in Rotterdam.

© Spaarnestad Photo

Kolumne „Aus der Zeit“: Erster Linienflug von Berlin nach London vor 100 Jahren

Es ging um Fristen und Flugrechte. Daher wagten ein Pilot und drei Manager der späteren Lufthansa bei schlechtestem Wetter einen Flug, der Geschichte schreiben sollte.

Eine Kolumne von Beata Gontarczyk-Krampe

Freunde der „Mutter aller Flughäfen“ erinnern sich an den 30. Oktober 2008. Als die letzten Maschinen von Tempelhofer Flughafen abhoben, regnete es in Strömen.

Noch schlechter war das Wetter vor fast genau 100 Jahren: Am 27. Dezember 1922 hob die erste Linienmaschine auf der Strecke Berlin-London vom Flugplatz Staaken in Spandau ab. Es stand viel auf dem Spiel: Es ging um die Lizenz für kommerzielle Flüge zwischen Berlin und London. Schaulustige wurden zudem Zeuge des Abflugs der ersten zivilen deutschen Flugmaschine, die England nach dem Ersten Weltkrieg anfliegen durfte.

Der Fünfsitzer Dornier Komet Eindecker trug die Werknummer 24 und später Seriennummer D223 und war erst am 9. Oktober 1922 zugelassen worden. Am Steuer saß Kapitän Max Kahlow, ein Held der Kaiserlichen Fliegertruppe. Er fühlte sich in dem offenen Cockpit, vom Wind und Regen gepeitscht, sicher nicht pudelwohl, aber wenigstens wie zu Hause. Etwas geschützter in der Kabine saßen drei Manager von der Deutschen Luftreederei (DLR, später Deutsche Lufthansa), die ein paar Monate zuvor einen Vertrag mit der britischen Fluglinie Daimler Hire Ltd. unterschrieben hatten, um ab 1923 gemeinsam eine regelmäßige Flugverbindung Berlin-London zu betreiben.

Voraussetzung für die Lizenzierung der Maschinen auf beiden Flughäfen war Abnahme der jeweiligen Behörden: Die Briten mussten für die Kontrolle bei den deutschen Experten nach Staaken fliegen, ihre De Havilland DH34 war am 19. Dezember 1922 gelandet. Das deutsche Flugzeug sollte sich schnellstmöglich in London vorgestellt werden. Das hieß: Die D223 der DLR musste die britische Hauptstadt noch vor 1. Januar 1923 erreichen.

Die Dornier Komet II D223 der Deutschen Luftreederei am 30. Dezember 1922 bei der Zwischenlandung in Rotterdam.
Die Dornier Komet II D223 der Deutschen Luftreederei am 30. Dezember 1922 bei der Zwischenlandung in Rotterdam.

© Spaarnestad Photo

Auch nach der Aufhebung vom totalen Flugverbotes 1922 war es Deutschland untersagt, Flugzeuge mit Motoren stärker als 200 PS auszustatten. Die D223 wurde daher von nur 185 Pferdestärken getrieben, galt aber als großartig konstruierte Maschine, die sich im Betrieb mit den 400PS-starken Flugzeugen der Briten messen konnte.

Dennoch war Fliegen im Jahr 1922 für Passagiere kein Pleesirverjniejen. Piloten mussten bei Wind und Regen und im dicken Nebel ohne elektronische Navigation auf Kurs bleiben, öfter mal zwischenlanden. An jenem zweiten Weihnachtsfeiertag Wetter lag über ganz Nordeuropa eine dicke Wolkendecke, es gab Regen und Nebel. Doch die Fluglinienbetreiber hatten keine Wahl. Also nahm Kapitän Kahlow zunächst Kurs auf Bremen.

Eine US-amerikanische Maschine auf dem Flugplatz Berlin-Staaken, wo die Dornier Komet im Dezember abgehoben war. Dieses Foto stammt aus dem März 1924. 
Eine US-amerikanische Maschine auf dem Flugplatz Berlin-Staaken, wo die Dornier Komet im Dezember abgehoben war. Dieses Foto stammt aus dem März 1924. 

© Bundesarchiv

Schnell wurde klar, dass dies nicht der letzte Zwischenstopp sein würde. Es gab keine Chance auf den ursprünglich geplanten Direktflug! Erst nach zwei Tagen ging es weiter. Auch beim nächsten Stopp in Amsterdam war das Wetter nicht besser. Rotterdam erreichte man erst am nächsten Tag. Die Spannung wurde fast unerträglich. Wie in Jules Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt“ standen die Helden dieser Geschichte unter enormen Zeitdruck. Nur noch ein Tag blieb ihnen, um in London zu landen. So hob die Dornier Komet zum vierten Mal ab, jetzt in den stürmischen Himmel über der holländischen Küste.

Über den verregneten Stränden Belgiens und Frankreichs erreichten die furchtlosen Aeronauten Calais und wagten den Überflug über den Kanal nach Dover. Dort wartete auf sie, was man aus den Geschichten von Charles Dickens und über Jack the Ripper kannte: dicker, fast greifbarer Nebel. Die englische Küste geisterhaft verhüllt, London schien da so weit weg wie Berlin. Die Komet würde es nicht schaffen. Es regnete weiter, und die Dämmerung setzte ein – am Nachmittag des 31. Dezember 1922.

Das „Berliner Tageblatt“ berichtete am 2. Januar 1923 von dem London-Flug der Dornier Komet.
Das „Berliner Tageblatt“ berichtete am 2. Januar 1923 von dem London-Flug der Dornier Komet.

© Staatsbibliothek

Kapitän Kahlow entschloss sich, auf dem nächstliegenden und völlig aufgeweichten Rasenflugplatz Lympne zu landen. Seine Mission schien gescheitert. Am nächsten Morgen, den 1. Januar 1923, stiegen trotzdem alle wieder in die Maschine und flogen Richtung Croydon im Süden Londons. Ihre Landung wurde mit viel Beifall und Bewunderung quittiert. So bekam die dickbauchige Dornier Komet trotz der Verspätung die Abnahme von den britischen Luftfahrtbehörden. Der Himmel zwischen Berlin und London stand ihnen fortan offen.

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