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Lieferando-Fahrer streiken in Berlin: Angst vor dem Outsourcing zu „Flottenpartnern“
Beim Essenskurierdienst Lieferando sind rund 2000 Mitarbeitende zum Streik aufgerufen. Doch dass sie streiken dürfen, wissen viele der ausländischen Mitarbeiter gar nicht. Die Kunden sollen nicht unter dem Streik leiden.
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In einer Seitengasse der Warschauer Straße in Friedrichshain haben sich ein paar Dutzend Streikende versammelt, blasen in Trillerpfeifen. Viele haben sich eine orange Jacke mit dem Lieferando-Logo oder eine Warnweste übergestreift. Ein Mann läuft mit einer „Evilrando“-Folie herum. Nachmittags ziehen sie zur Firmenzentrale von Lieferando in der Schlesischen Straße. Aufgerufen zum Streik hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Mit „Evilrando“ dürfte der Mann seinen Arbeitgeber meinen – „evil“ bedeutet böse. Laut Gewerkschaftssekretär Veit Groß hat die Wut gegen das Unternehmen zwei Ursachen: Erstens weigere sich Lieferando seit vielen Jahren, einen Tarifvertrag auszuhandeln. Aktuell bekommen die Beschäftigten den Mindestlohn. Und zweitens wolle die Gewerkschaft ein Zeichen gegen den angedrohten Stellenabbau setzen – sowie gegen den Plan, wie die NGG vermutet, die Personallücke mit prekären Jobs bei Partnerfirmen zu füllen.
Lieferando hatte im Juli angekündigt, bundesweit circa 2000 Jobs zu streichen. In Berlin sind bislang keine konkreten Absichten bekannt geworden. Doch gerade hier befindet sich das Unternehmen in einem harten Wettbewerb mit Plattformen wie Wolt oder Uber Eats.
„Flottenpartner“ übernehmen die Auslieferung
Diese beschäftigen im Gegensatz zu Lieferando wenige Lieferant:innen direkt. Sie überlassen die Auslieferung vor allem sogenannten „Flottenpartnern“, also Drittfirmen. Solche Firmen, erzählt ein Protestierender, der direkt bei Lieferando angestellt ist, würde die Plattform schon heute insbesondere in den Berliner Randbezirken einsetzen. Er befürchtet, sein Arbeitgeber werde mehr und mehr auf solche Partner setzen und künftig den gleichen Weg des Outsourcings gehen wie die Mitbewerber.

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Noch gelten die Arbeitsbedingungen bei Lieferando als vergleichsweise gut. Mitarbeitende sind oft unbefristet angestellt und werden nicht pro Lieferung bezahlt, sondern nach Stunden. In vielen Städten gibt es zudem Arbeitnehmervertretungen.
Bei den Flottenfirmen sollen eigentlich die gleichen Arbeitsbedingungen herrschen. Aber dadurch, dass ihre Namen häufig weder der Gewerkschaft noch Behörden wie dem Zoll bekannt seien, werde es ihnen leichtgemacht, das Arbeitsrecht zu verletzen, sagt Veit Groß von der NGG. „Menschen, die dort arbeiten, sind Tagelöhner in absolut unkontrollierbaren Arbeitsverhältnissen.“
Bezahlt wird pro Bestellung – oft bar auf die Hand
Die Beschäftigten bekämen ihr Gehalt oft bar auf die Hand, erzählt Groß – das deute auf Schwarzarbeit hin. Einer, der es wissen muss, ist Rashid (Name geändert). Rashid ist 25 und kommt aus Indien. Auf Englisch berichtet er, bei einer Flotte zu arbeiten, die Essen über die Plattform Wolt ausliefert.
Einen Arbeitsvertrag habe er zwar schon, aber dafür interessiere sich sein Chef nicht. Dieser bezahle ihm 2,30 Euro pro ausgelieferter Bestellung, am Ende des Monats gibt es Bargeld. Der junge Inder holt sein Handy aus der Tasche und zeigt eine Nachricht, die sein Chef in eine Whatsapp-Gruppe mit mehr als 200 Mitgliedern geschrieben an. Dort steht: Wer nicht die Quoten erfülle, den werfe er raus.
Die direkt bei Lieferando Angestellten haben Angst vor dem Abstieg in solche Verhältnisse. Die meisten von ihnen sind nicht in Deutschland geboren. Ohne deutsche Sprachkenntnisse sind sie leichter auszubeuten.
Kunden in Berlin müssen während des Streiks nicht länger auf ihr Essen warten und können einschränkungsfrei bestellen.
Lieferando-Sprecher
Ein Lieferando-Sprecher teilt auf Anfrage mit, die „zusätzlichen Logistikdienstleister sollen mittelfristig knapp fünf Prozent aller Bestellungen bundesweit ausliefern“. Zugleich behalte das Unternehmen sein „Direktanstellungsmodell bei“, auch Fahrer würden „von der ausdifferenzierten Logistik“ profitieren. „Das verkürzt die Strecken der Lieferando-Kuriere und ermöglicht ihnen mehr Boni und Trinkgelder.“
Streik soll noch bis nach Mitternacht dauern
Lieferando verpflichte seine Partner dazu, alle gesetzliche Regelungen einzuhalten. In der Vergangenheit hieß es, das Unternehmen kontrolliere die Flotten stichprobenartig und höre auf, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sollten bei Kontrollen Verstöße festgestellt werden.
Der Ausstand am Donnerstag soll bis eine halbe Stunde nach Mitternacht dauern. Der Einschätzung, dass Bestellungen über Lieferando heute länger unterwegs sein könnten, widerspricht der Sprecher: „Kunden in Berlin müssen während des Streiks nicht länger auf ihr Essen warten und können einschränkungsfrei bestellen. Erfahrungsgemäß werden nur wenige Fahrer dem Aufruf folgen.“
Damit dürfte er richtig liegen: Wie auf der Versammlung zu hören war, wissen viele, vor allem die ausländischen Arbeiter:innen, nicht, dass sie streiken dürfen. Aufgerufen zum Streik waren insgesamt 1900 Lieferando-Fahrer:innen.
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