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© Kitty Kleist-Heinrich

Milieuschutz und Modernisierung in Berlin: Wirklich ein „Riesen-Problem“?

Milieuschutzgebiete sollen Mieter vor Verdrängung schützen. Deshalb sind Modernisierungen eingeschränkt. In Berlin wird darüber gestritten, ob dadurch etwa zeitgemäße Dämmung oder der Einbau von Aufzügen verhindert wird.

Teresa Roelcke
Ein Kommentar von Teresa Roelcke

Stand:

Die „Sozialen Erhaltungsgebiete“, besser bekannt als Milieuschutzgebiete, sollen die angestammte Bewohnerschaft eines Kiezes davor schützen, durch Mietsteigerungen verdrängt zu werden. Mittel dazu ist das Baurecht: Baumaßnahmen, die dazu führen, dass Vermieter höhere Mieten veranschlagen dürfen, weil sie den Wohnwert steigern oder auf die Miete umgelegt werden dürfen, sollen verhindert werden.

Das ist sinnvoll, führt aber manchmal auch zu absurd anmutenden Situationen: vor allem dann, wenn Altbauten nicht mit Aufzügen ausgestattet werden – und langjährige Bewohner im Alter nicht in ihren Wohnungen bleiben können. In solchen Fällen verfehlt der Milieuschutz sein Ziel: dafür zu sorgen, dass die Bewohner nicht unfreiwillig zum Auszug gedrängt werden.

Auch darüber, dass die notwendige Dämmung von Häusern nicht gestattet werde, beschwerte sich unlängst Maren Kern, Chefin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU. So etwas wirkt in Zeiten mangelnden Klimaschutzes wie ein Offenbarungseid. Die Frage ist nur: Ist das Problem wirklich so groß, wie Kern behauptet? Behindert der Milieuschutz die notwendige Modernisierung von Mehrfamilienhäusern?

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Für die Jahre 2013 bis 2023 wertete ein Institut für das Abgeordnetenhaus Zahlen von insgesamt neun Bezirken aus. Von 6786 beantragten Genehmigungen für bauliche Veränderungen in Milieuschutzgebieten wurden insgesamt 90 Prozent genehmigt. Von 963 beantragten Aufzügen wurden 75 Prozent aller Anträge ohne Auflagen genehmigt, 14,4 Prozent mit Auflagen. Nur 10,6 Prozent der Anträge wurde nicht stattgegeben. Von 2350 beantragten energetischen Sanierungsvorhaben wurden sogar 88,7 Prozent ohne Auflagen genehmigt und sechs Prozent mit Auflagen. In nur 5,3 Prozent der Fälle wurde die Genehmigung versagt.

Mag sein, dass einige auch gar nicht erst einen Antrag gestellt haben, weil sie dachten: Der kommt wegen des Milieuschutzes eh nicht durch. Trotzdem zeigen die Zahlen: Grundsätzlich sind Aufzüge möglich, auch bei Milieuschutz, und energetische Sanierung ebenfalls.

Ein „Riesen-Problem“, wie Kern die Situation beschreibt, sieht dann vielleicht doch anders aus – auch wenn klar ist, dass einen Aufzug bekommen sollte, wer einen Aufzug braucht, und nachgebessert werden muss, wenn das nicht umgesetzt werden kann.

Die Schwarzmalerei von Maren Kern hat neben den realen Problemen aber womöglich noch auch einen anderen Grund: Der BBU vertritt neben den landeseigenen Wohnungsunternehmen und vielen Wohnungsgenossenschaften auch die großen Konzerne wie Vonovia oder Covivio. Vor allem bei der Vonovia war es in den vergangenen Jahren eine gezielte Geschäftsstrategie, Wohnungsbestände zu modernisieren, um sowohl die Mieten wie auch die Bilanzwerte steigern zu können.

Einen Großteil der Modernisierungskosten konnte das Unternehmen auf die Mieter umlegen, in Form von dauerhaften Mieterhöhungen, die in gleicher Höhe weiterlaufen, auch nachdem sich die Investitionen amortisiert haben. Außerdem erhöhte sich durch die Modernisierungen der Wert der Häuser, was für die Bilanzen des Dax-Konzerns natürlich ebenfalls vorteilhaft war.

Parallel vernachlässigte das Unternehmen aber in vielen Fällen die Instandhaltung des Gebäudebestands, weil die Kosten für Instandsetzungsmaßnahmen eben nicht auf die Mieten umgelegt werden dürfen. Womöglich artikuliert Maren Kern hier also auch schlicht den Wunsch ihrer Mitgliedsunternehmen, dieses Geschäftsmodell auch stärker in Milieuschutzgebieten anwenden zu dürfen.

Für Milieuschutz-Hasser kam in der Vergangenheit als zusätzliches Schmankerl hinzu: dass die Bezirke eine sehr, sagen wir, diversifizierte Genehmigungspraxis hatten. Was im einen Bezirk ging, erlaubte der benachbarte noch lange nicht für die eigenen Milieuschutzgebiete.

Immerhin in diesem Punkt hat der Senat nun etwas angestoßen: Seit 1. Dezember 2024 gilt eine neue Ausführungsvorschrift der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, auf deren Grundlage die Bezirke ihre Genehmigungspraxis vereinheitlichen sollen. Einheitlich geregelt ist darin nun auch, dass Aufzüge „grundsätzlich genehmigungsfähig“ sind – außer sie sind zu kostenaufwendig, „oder wenn im Gebiet eine überdurchschnittlich hohe Verdrängungsgefahr für die vorhandene Wohnbevölkerung besteht“. Hoffen wir, dass daraus folgt, dass fußlahme Bewohner künftig komfortabel in ihre Wohnungen hochgehoben werden – dass aber die Mieten trotzdem am Boden bleiben.

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