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Die Grundsteinlegung für das Bauprojekt Havelschanze in Spandau.

© Job&Wohnen e.V.

Neuer Job plus günstiger Mietvertrag: Berliner Unternehmer bauen nun selbst Wohnungen für ihre Mitarbeiter

Die erste Berliner „Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft“ baut in Spandau Wohnungen für Azubis und junge Fachkräfte. Vorbild sind die klassischen Wohnsiedlungen großer Unternehmen wie AEG oder Siemens.

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Immer, wenn Bauherren von ihren Projekten erzählen, mischt sich in ihre Begeisterung auch ein wenig Gruselkabinett. Endloser Briefwechsel mit Behörden, renitente Grundstücksnachbarn, steigende Zinsen oder insolvente Baufirmen. „Wir sind durch alle Katastrophen gegangen mit dem Projekt – Corona, Ukraine-Krieg, Zinsen“, sagte Peter Diedrich vom Verband „Job & Wohnen“ auf der Neustart-Konferenz von Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Radioeins und Euref-Campus.

Eine hohe Hürde waren natürlich die Finanzen. „Erbbaurecht zu finanzieren, it’s a nightmare“. Diedrichs Alptraum bevölkern zaudernde Bankenvertreter, die lieber Grundstückseigentum als Sicherheit akzeptieren als eine Genossenschaft auf gepachtetem Grund. Daher sein Appell an den Senat, innovative Projekte wie die „Erste Mitarbeiterwohnungsbaugenossenschaft Berlin eG“ mit Landesbürgschaften zu unterstützen.

Peter Diedrich vom Verband „Job & Wohnen“ auf der Bühne der Neustart-Konferenz.

© Jörg Carstensen, FunkeMedien

Denn das Projekt hat Vorbildcharakter, darin war sich die Neustart-Jury einig. Sie hatte „Job & Wohnen“ unter 70 Bewerbungen ausgewählt und im großen Saal des Euref-Gasometers vorgestellt. Im Kern geht es um den Bau von Wohnungen für Mitarbeiter von Unternehmen.

Inzwischen hat sich die Wohnungskrise so verschärft, dass begehrte Spezialisten Jobangebote in Berlin ausschlagen. „Wenn ich keine bezahlbare Wohnung zur Verfügung habe, werden die besten Fachkräfte nicht kommen“, sagt Diedrich. Weil Staat und Immobilienwirtschaft es nicht geschafft haben, das Wohnungsproblem zu lösen, sollten die betroffenen Unternehmer nun selber aktiv werden. „Das ist die Renaissance des Werkswohnungsbaus“, sagte Diedrich.

13
Unternehmen haben sich zur Baugenossenschaft „Havelschanze“ zusammengeschlossen.

Für das erste Berliner Pilotprojekt wurde vor ein paar Tagen der Grundstein gelegt: Die „Havelschanze“ ist eine Baugenossenschaft von bislang 13 Unternehmern, die durch einen Baukostenzuschuss von 675 Euro pro Quadratmeter und Anteile an der Genossenschaft Belegungsrechte für die entstehenden Wohnungen erwerben. Das Projekt ist noch für weitere Unternehmer-Genossen offen.

Die 112 Wohnungen sollen 2027 bezugsfertig sein. Außerdem entstehen eine Kita, ein Coworking-Bereich für mobiles Arbeiten, ein Waschhaus, eine Nachbarschaftswerkstatt und ein Urban-Gardening-Projekt.

Der größte Teil der Wohnungen wird mit Darlehen aus der Berliner Wohnungsbauförderung finanziert, dort sollen die Mieten später zwischen sieben und elf Euro kalt liegen. Weitere Wohnungen sind frei finanziert und entsprechend teurer. Vor allem für Auszubildende, aber auch junge Mitarbeiter, die in den Beruf starten, ist das Angebot gedacht. Sie können sich die teuren Mieten auf dem regulären Markt nicht leisten.

Es ist längst überfällig, dass es in Berlin wieder Engagement von Unternehmen gibt, um ihre Mitarbeiter unterzubringen.

Engelbert Lütke-Daldrup, ehemaliger Staatssekretär und Flughafen-Chef

„Es ist längst überfällig, dass es in Berlin wieder Engagement von Unternehmen gibt, um ihre Mitarbeiter unterzubringen“, lobte der ehemalige Berliner Staatssekretär und Flughafen-Chef Engelbert Lütke-Daldup, der zur Jury gehörte. Ein zweites Pilotprojekt von „Job & Wohnen“ ist in München angesiedelt.

Ein Problem ist bislang, dass Wohnberechtigungsscheine – eine Voraussetzung für geförderte Sozialwohnungen – in Berlin nach Angaben von Diedrich nicht zum Bezug eines WG-Zimmers berechtigen. Azubi-WGs gehören aber zum Konzept des Projekts.

Auf der Neustart-Konferenz von Tagesspiegel und Morgenpost wurden neun Projektideen für Berlins Zukunft vorgestellt.

© Jörg Carstensen, FunkeMedien

Eine weitere, nicht ganz einfach zu lösende Frage ist, was passiert, wenn der Mitarbeiter den Job kündigt oder ihm gekündigt wird. Verliert er damit auch seine Wohnung? Im Prinzip schon, sagte Diedrich, aber es werde eine „soziale Härtefallregelung“ geben.

Ob Unternehmer-Baugenossenschaften die akute Wohnungsnot lindern können, ist noch nicht ausgemacht. Immerhin können kleinere Unternehmen, die sich eigene Bauprojekte nicht leisten können, mit diesem Modell Wohnraum reservieren.

Konzerne wie Siemens oder Bayer halten sich bislang zurück

Größere Player wie Siemens, Bayer oder Daimler sollten in der Lage sein, die „Renaissance des Werkswohnungsbaus“ selber in die Hand zu nehmen. Doch bislang ist in dieser Hinsicht nichts bekannt. Bayer macht bislang eher Schlagzeilen mit dem Abriss von werkseigenen Wohnungen.

Die neuen Wohnquartiere in der Siemensstadt (Siemensstadt Square) haben zwar mit 2700 Wohnungen (bis 2035) eine beachtliche Größe, aber Siemens selbst möchte dort nicht als Eigentümer oder Vermieter auftreten.

Die landeseigene Charité geht einen anderen Weg. Sie hat zwar keine Wohnungen gekauft, aber von der Berlinovo angemietet, um sie wiederum ihren dringend benötigten Pflegekräften vermieten zu können. Das Land Berlin verfügt über rund 5500 eigene Wohnungen, die sie ihren Bediensteten anbieten kann. Ebenso der Bund.

In diesem Markt agieren auch Agenturen, die Unternehmen Wohnungen für Mitarbeiter anbieten. Die wahrscheinlich recht üppige Miete teilen sich Mitarbeiter und Unternehmen. „Ein solcher Benefit entlastet den Mitarbeiter nicht nur von der oft stressigen Wohnungssuche, sondern vermittelt auch das Gefühl, dass das Unternehmen das Wohlbefinden und den Komfort seiner Mitarbeiter ernst nimmt“, wirbt eine dieser Agenturen.

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