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Ukrainische Geflüchtete konnten auf der von der IHK und der Agentur für Arbeit organisierten Jobmesse nach Beschäftigungen suchen.

© picture alliance/dpa/Christoph Soeder

Ukraine-Krieg: Berliner Betriebe meistern die schwierige Lage entschlossen

Die Auswirkungen des Angriffskriegs spürten nahezu alle Unternehmen. Viele suchten neue Wege, um unterbrochene Lieferketten zu kompensieren – und halfen Betroffenen.

Sebastian Stietzel
Ein Gastbeitrag von Sebastian Stietzel

Stand:

Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland die europäische Friedensordnung zerstört. Zum Kalkül der russischen Führung gehörte dabei wohl die Annahme, Europa könne auf Russland als Energie- und Rohstofflieferanten nicht verzichten, ohne wirtschaftlich abzustürzen. Dies ist nicht geschehen.

Man mag angesichts des unermesslichen Leids in der Ukraine nicht von guten Nachrichten sprechen, aber unsere ökonomischen Strukturen haben sich als anpassungsfähig, effizient und solide, also resilient erwiesen.

Nahezu alle Unternehmen bekamen die Auswirkungen zu spüren

Berlins Wirtschaft war mit der Hoffnung auf einen rasanten Post-Corona-Aufschwung in das vergangene Jahr gestartet. Diese zerschlug sich mit Beginn des Krieges. Was folgte, waren Monate der Ungewissheit. Im Unterschied zu den Corona-Maßnahmen bekamen die Auswirkungen des Krieges nahezu ausnahmslos alle Unternehmen zu spüren: vom Lebensmittelproduzenten über Baugewerbe, Einzelhändler, Dienstleister nahezu alle Gewerbebetriebe. Denn die Kosten für Energie schnellten in die Höhe, die Inflation stieg auf zehn Prozent und die Gefahr der Gasmangellage hing wie ein Damokles-Schwert über allem. Abschaltkaskade – diesen Begriff haben 2022 wahrscheinlich viele – auch viele Unternehmen – zum ersten Mal gehört: Wer wird in welcher Reihenfolge von der Energieversorgung abgetrennt, wenn das Gas nicht für alle reicht? Stillstand statt Aufbruch, keine ermutigenden Aussichten.

Doch die Berliner Betriebe entwickelten eine entschlossene Aktivität, die schwierige Lage zu meistern. Sie suchten neue Lieferanten, um die durch Krieg und Corona unterbrochenen Lieferketten zu kompensieren, investierten in energetische Effizienz und machten sich auf die Suche nach neuen Energiequellen. Das Bestreben der Bundesregierung, in kurzer Zeit alternative Gaslieferabkommen zu schließen und Hilfen für die erwartete winterliche Energiekrise bereitzustellen, stärkten das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern und nahm den ärgsten Krisenängsten die Spitze. Heute wissen wir, dass die Anstrengungen der Wirtschaft und entschlossenes staatliches Handeln den befürchteten Krisenwinter verhindert haben.

Rasante Preissteigerungen und die plötzliche Zinswende haben zum Beispiel der zuvor boomenden Baukonjunktur vorerst ein Ende bereitet.

Sebastian Stietzel, IHK-Präsident

Kurzfristige Anpassungsfähigkeit und staatliches Handeln waren es aber nicht allein. Die enorme Widerstandskraft Berlins erwächst aus vielen, sehr unterschiedlichen Bausteinen, die untrennbar mit der Metropole verbunden sind: Wir sind ein Zuwanderungsland und Touristenmagnet, einer der größten Wissenschafts- und Forschungsstandorte Europas, deutsche Gründungs- und Venture-Capital-Hauptstadt, Ort der Experimente, des Streits und der Debatte. Dieser Mix hat in den vergangenen zwei Dekaden eine resiliente Wirtschaftsstruktur hervorgebracht, die innovative, wissen-getrieben Unternehmen und traditionelle, alteingesessene Betriebe vereint.

Spurlos ist das Krisen- und Kriegsjahr jedoch auch an den Berliner Betrieben nicht vorübergegangen. Rasante Preissteigerungen und die plötzliche Zinswende haben zum Beispiel der zuvor boomenden Baukonjunktur vorerst ein Ende bereitet. Der Preisschock dämpfte die Konsumlaune der Verbraucher und damit auch das Wachstum in den Handels- und Dienstleistungssektoren. Investitionen und Neuaufträge entwickelten sich schwächer, als der in der Corona-Krise angestaute Nachholbedarf erwarten ließ.

Doch der 24. Februar 2022 hat zum wiederholten Male auch gezeigt, dass Solidarität in der Not keinen Aufruf braucht. Der erste Impuls – das zeigen die vielen Anrufe und Mails von Mitgliedsunternehmen, die bei uns kurz nach dem Beginn des Angriffs eingingen – war: Wie können wir helfen? Sei es bei der Unterbringung von Geflüchteten, der Bereitstellung von Transportmitteln für Hilfsgüter oder die Freistellung von Beschäftigten für den freiwilligen Einsatz.

100
Unternehmen nahmen an den IHK-Jobmessen für Geflüchtete teil

Nicht jede Unterstützungsleistung musste dabei an die große Glocke gehangen werden. Ich kenne Projekte und Hilfsmaßnahmen von Unternehmen, die zum Beispiel beim Wiederaufbau kritischer Infrastruktur in der Ukraine geholfen haben – abseits jeglicher Öffentlichkeit. Diese stillen Helfenden haben einen ganz besonderen Dank verdient.

Große Bereitschaft Ukrainern eine Perspektive zu bieten

Die Entwicklungen des vergangenen Jahres zeigen überdies die große Bereitschaft der Berliner Wirtschaft, den zehntausenden Menschen, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind, eine dauerhafte Perspektive zu geben. Besonders deutlich wurde dies bei den beiden Jobmessen der IHK im vergangenen Jahr, an denen über 100 Unternehmen teilnahmen, um insgesamt über 2.500 Besucherinnen und Besucher über einen Einstieg in Arbeit zu informieren.

Hierbei wurde jedoch auch erneut deutlich, wie Berlin noch besser und resilienter werden könnte. Wir brauchen in Zukunft mehr Unterstützung durch schnelle und unbürokratische Lösungen bei der Integration in den Arbeitsmarkt, mehr Angebote zum Spracherwerb sowie ein ausreichendes Angebot an Wohnraum und Kinderbetreuung, damit Berlin nicht nur eine Station auf der Flucht vor Aggressoren ist, sondern ein Zuhause für Menschen in allen Lebenslagen werden kann.

Am Ende geht es immer um das Schaffen persönlicher Perspektiven und ein Hoffnungschöpfen für Menschen. Dafür haben sich viele Berlinerinnen und Berliner im letzten Jahr eingesetzt – oder tun dies immer noch. Ihnen gebührt unser aller Dank und die höchste Anerkennung!

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