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Nicht alle Beschäftigten in der Altenpflege werden nach Tarifvertrag bezahlt.

© Getty Images/iStockphoto

„Wir sind das Stiefkind“: Beschäftigte einer Vivantes-Tochter fordern mehr Geld

Die Klinikkette Vivantes zahlt den Angestellten mancher Tochterfirmen eine Inflationsprämie, einige gehen leer aus. Der Konzern versteht die Aufregung nicht.

Ob man eine Inflationsprämie erhalte oder nicht, könne man auf dem Lohnzettel sehen. Tauche dort das Wort „Inflationsausgleich“ nicht auf, gehe man leer aus. Das teilte der landeseigene Vivantes-Konzern seinen Beschäftigten im Juni per Newsletter mit. Zynisch sei das, findet Marion Schneider. Die Angestellte heißt eigentlich anders, möchte jedoch in diesem Artikel nicht namentlich genannt werden, weil sie um ihren Job fürchtet. Schneider fragt sich: Warum kriegen manche Kolleg:innen einen Inflationsausgleich und andere nicht?

Sie gehört jedenfalls zu denen, die ihn nicht bekommen. Und das bringe sie in finanzielle Nöte: „Für einen Einkauf habe ich vor einem Jahr 40 Euro gezahlt. Mittlerweile ist der auf 80 Euro hochgerutscht“, erzählt sie.

Aufgrund der hohen Teuerungsrate ermöglicht die Bundesregierung, dass Unternehmen ihren Angestellten eine steuerfreie Inflationsprämie in Höhe von bis zu 3000 Euro zahlen können. Auch Vivantes tut das für rund 3000 Beschäftigte von sechs Tochtergesellschaften, zum Beispiel die der SVL Speiseversorgung und Logistik GmbH.

Andere, darunter die Mitarbeitenden des Vivantes Forum für Senioren, kriegen keine Bonuszahlung. Betroffen sind diejenigen Töchter, die nicht beim Klinikstreik von 2021 mitmachten. Damals erkämpfte die Gewerkschaft Verdi einen Tarifvertrag für die beteiligte Belegschaft. Das Forum für Senioren hingegen ist derzeit tariflos.

Die Vivantes-Tochter ist der größte stationäre Pflegedienstleister in Berlin. In den 18 Pflegeheimen des Unternehmens arbeiten rund 1700 Angestellte, darunter auch Schneider. Weitere Beschäftigte bestätigten ihre Angaben daraufhin gegenüber dem Tagesspiegel und legten entsprechende Gehaltsnachweise vor. Auch diese Beschäftigten möchten anonym bleiben.

Senat will Tochterunternehmen wieder eingliedern

Marion Schneider verdient bei 30 Wochenstunden rund 1450 Euro netto. Einem Kollegen bleiben am Ende des Monats 1700 Euro, er arbeitet 39 Stunden in der Woche. Beim Forum arbeiten unter anderem Sozialarbeiter:innen, Pflegefachkräfte und Pflegehelfer:innen.

Das Vivantes Forum für Senioren ist Berlins größter Anbieter für stationäre Pflege. Einen Tarifvertrag gibt es dort nicht.
Das Vivantes Forum für Senioren ist Berlins größter Anbieter für stationäre Pflege. Einen Tarifvertrag gibt es dort nicht.

© dpa/Paul Zinken

Im Flur eines Hauses hängt eine Gehaltstabelle: Ein Krankenpfleger steigt mit fast 3900 Euro ein – und verdient damit mehr als ein Kollege, der nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt wird. Hausmeister:innen verdienen in der höchsten Gehaltsstufe 2550 Euro brutto.

In erster Linie gehe es ihr um Fairness, betont Schneider: „Wir arbeiten Seite an Seite mit den Kollegen, die einen Inflationsbonus bekommen haben.“

Der Senat möchte laut schwarz-rotem Koalitionsvertrag die Tochterfirmen von Vivantes und Charité „schnellstmöglich“ in die Mutterkonzerne zurückführen. Dort verdienen die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Würden die outgesourcten Häuser wiedereingliedert, verdienten viele Beschäftigte also mehr als jetzt. „Wir sind das Stiefkind“, klagt ein Beschäftigter.

Wie hätten wir hier streiken sollen, wir arbeiten schon am Limit.

Marion Schneider, Beschäftigte (Name geändert)

Doch Schneider meint, ihre Vorgesetzte hätten kein Verständnis für die Beschwerden. Das Forum zahle seinen Mitarbeitenden bereits verschiedene Boni, habe eine Chefin gesagt, damit könnten die Kolleg:innen zufrieden sein. Vivantes habe unter dem Strich genug bezahlt.

Ähnlich sieht es auch Christoph Lang, der Sprecher von Vivantes. Im Konzern gälten viele Entgeltregelungen und Tarifverträge. Er sagt, dass Vivantes deshalb unterschiedliche Maßnahmen ergreife, damit die Beschäftigten am Monatsende mehr Geld hätten, das gelte auch für das Forum.

„Bereits im September 2022 stiegen die Tabellenentgelte dieser Beschäftigten um mehr als 20 Prozent und liegen aktuell deutlich über denen des TVöD – auch bei Einrechnung des dort gezahlten Inflationsausgleichs“, teilt er mit.

Trotzdem sehen die Beschäftigten nicht ein, dass manche den Bonus kriegen und andere nicht. „Die Inflationsprämie hat ja mit den anderen Sachen nichts zu tun“, sagt einer. Ungerecht sei außerdem, dass Kolleg:innen mit Verträgen aus der Zeit vor dem Outsourcing den Bonus erhalten, die mit neueren Verträgen aber nicht.

Keine Gewerkschaft, kein Streik

Alle Beschäftigten, mit denen der Tagesspiegel gesprochen hat, sind keine Gewerkschaftsmitglieder. Auf die Frage, wieso sie sich nicht in einer Interessenvertretung organisiere, antwortet Schneider: „Wie hätten wir hier streiken sollen, wir arbeiten schon am Limit.“

Manchmal sei eine Person für zwanzig Bewohner:innen zuständig. Versorgungsengpässe bestünden nicht, aber die Taktzahl erhöhe sich. Sie renne über die Stationen, habe nie Zeit, mal mit einer Bewohnerin zu plauschen.

Gisela Neunhöffer, im Verdi-Landesverband Berlin-Brandenburg zuständig für Altenpflege, wünscht sich mehr Initiative von den Beschäftigten. „Wir brauchen ein gewisses Level von Aktivität und Engagement, um gemeinsam mit den Kolleg:innen etwas durchsetzen zu können“, sagt sie. Das Ziel müsse sein, alle tariflosen Betriebe wieder tariflich zu binden. „Unsere Haltung ist klar: Alle Beschäftigten von Vivantes sollten den Inflationsausgleich bekommen.“

Doch Verdi hat scheinbar kaum Verbindung zu den Beschäftigten in den Vivantes-Töchtern. In Gewerkschaftskreisen gilt die Altenpflege als schwer organisierbar. Die Forum-Mitarbeitenden werfen dem Betriebsrat Untätigkeit vor. „Die melden sich nur, wenn sie gewählt werden wollen“, sagt einer. Eine Anfrage ließ der Betriebsrat unbeantwortet.

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