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Hadass Gilboa, Martin Lotz und Pia Szur in der Lithowerkstatt Treptow

© Julia Schmitz

35 Jahre Lithowerkstatt : Treptow macht Druck

Die Künstler:innen in der Defreggerstraße feiern Jubiläum: Seit mehr als drei Jahrzehnten entstehen hier Litographien. Und das Interesse an den alten Techniken steigt.

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Wer die Lithowerkstatt in der Treptower Defreggerstraße betritt, könnte meinen, in einer längst vergangenen Zeit gelandet zu sein: Entlang der Wände reihen sich drei überlebensgroße alte Lithographiepressen auf, in einem Regal am hinteren Ende des Raumes lehnen dicke Steinblöcke, die aussehen, als könnten sie schon den alten Griechen und Römern zum Schriftverkehr gedient haben. In der Luft hängt ein intensiver Geruch nach Chemikalien – und nach Kaffee.

„In Deutschland ist Lithographie ein bisschen ins Hintertreffen geraten. Das hat auch damit zu tun, dass bestimmte Firmen die benötigten Materialien nicht mehr herstellen, weil die Nachfrage so gering ist. Das wird aber wiederkommen, wenn das Interesse an alten Drucktechniken weiterhin so steigt wie jetzt“, sagt Martin Lotz. 35 Jahre ist es bereits her, dass er die Lithowerkstatt gründete. Und das war eher Zufall.

Lithographiepresse als Blumenständer

„In der DDR gab es die strikte Trennung zwischen Berufskunst und dem so genannten ‚künstlerischen Volksschaffen‘“, erzählt der 71-Jährige. Laienkünstler konnten sich in Malzirkeln zusammentun und beim „Kreiskabinett für Kulturarbeit“ melden. Das befand sich damals unweit vom jetzigen Standort der Werkstatt in der Puderstraße.

„In den Räumen stand eine Lithographiepresse von 1850, aber die wurde als Ablage oder Blumenständer genutzt“, erzählt Lotz. Weil sein Bekannter Michael Diekmann im Kreiskabinett arbeitete, entschieden sie, die Presse zu reaktivieren. Allerdings ohne genau zu wissen, wie eigentlich. Wolfgang Arnoldi, der eine Flachdruckwerkstatt in Müggelheim betrieb, weihte sie kurzerhand in die Kunst der Lithographie ein: Die Werkstatt war geboren.

Pia Szur vor dem Regal mit den Lithographie-Steinen

© Julia Schmitz

Über die Jahre hatten sie einige Herausforderungen zu meistern. Als nach dem Mauerfall die Mieten im Kiez stiegen und die Räume der Werkstatt privatisiert wurden, sprang der Bezirk ein: 1992 zogen die Künstlerinnen und Künstler mitsamt der Lithographiepresse in das freistehende Haus in der Defreggerstraße und kauften zwei weitere Pressen.

Als Klaus Wowereit Anfang des neuen Jahrtausends dem öffentlichen Dienst massive Sparmaßnahmen verordnete, verlor die Druckwerkstatt ihren Status als kommunale Werkstatt. Durch den Verein, den sie vorausschauend bereits zur Wendezeiten gegründet hatten, konnten die Mitglieder aber das Schlimmste verhindern. Bis heute läuft die Werkstatt in freier Trägerschaft, Unterstützung vom Bezirk bekommt sie weiterhin.

„Wir arbeiten hier alle ehrenamtlich“, sagt Pia Szur. Die gelernte Grafikdesignerin kam 2004 dazu und lebt sich seitdem künstlerisch in der Werkstatt aus. Für sie ist es besonders wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler, die sich mit alten Drucktechniken auskennen, hier selbstständig arbeiten können. Wer nur ab und zu vorbeikommt, zahlt eine Tagespauschale; wer häufiger an der Lithographiepresse stehen möchte, kann das mit einer Jahrespauschale tun.

Das Gefühl, etwas mit den eigenen Händen hergestellt zu haben, ist etwas ganz besonderes

Pia Szur, Künstlerin

Gemeinsam organisieren die Künstlerinnen und Künstler mindestens eine Ausstellung pro Jahr; anlässlich des 35. Jubiläums gab es in diesem Jahr sogar zwei. Dass mittlerweile auch viele jüngere Menschen, darunter die israelische Künstlerin Hadass Gilboa, die die Ausstellung in der Kommunalen Galerie Rathaus Johannisthal kuratiert hat, die alten Drucktechniken für sich entdeckt haben, freut Pia Szur: „Moderne Medien haben ihre Vorteile. Doch das Gefühl, etwas mit den eigenen Händen hergestellt zu haben, ist etwas ganz besonderes. Immer mehr Menschen möchten ein Gefühl für Material bekommen.“ Dass in der Defreggerstraße auch in den nächsten 35 Jahren Drucke entstehen, ist also nicht unwahrscheinlich.

Die Ausstellung „Tell me a story“ der Lithowerkstatt Treptow läuft noch bis zum 24. Februar 2023 in der Kommunalen Galerie Rathaus Johannisthal.

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