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Der Aktivist der „Letzten Generation“ mit seinem Anwalt Gregor Gysi am Mittwoch vor Gericht.

© Tagesspiegel/Julius Geiler

Amtsgericht Berlin-Tiergarten: So verteidigte Linken-Politiker Gysi einen Aktivisten der „Letzten Generation“

Ein 24-Jähriger ist wegen seiner Beteiligung an Straßenblockaden zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Anwalt Gysi und sein Mandat kündigen Berufung an.

| Update:

Über fünf Minuten dauerte es, bis der Staatsanwalt seine Anklage verlesen hat – ungewöhnlich lange. Beweis dafür, wie umtriebig die Klimaaktivisten der „Letzten Generation” seit Beginn des Jahres in der Hauptstadt sind. In einigen Wochen des laufenden Jahres blockierte die Gruppe gleich mehrmals am Tag Berliner Straßen und Plätze.

So auch der 24-jährige Münchner Student Lukas P., der sich für diverse Straßenblockaden am Mittwochmittag im Amtsgericht Tiergarten verantworten musste. Seine Verteidigung hatte relativ kurzfristig der ehemalige Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi übernommen.

Fast im Wochentakt finden in Berlin mittlerweile Prozesse gegen unterschiedliche Mitglieder der Klimabewegung statt, die meisten endeten bisher mit Geldstrafen. Wenig überraschend also, dass auch der P. nach zweistündiger Verhandlung zu 90 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro verurteilt wurde. Der öffentliche Fokus lag an diesem Mittwoch sowieso nicht auf dem Angeklagten, sondern vielmehr auf seiner Verteidigung. 

Vertreter der „Letzten Generation” hatten Gysi zuvor im Bundestag besucht. Daraufhin sagte der Linken-Politiker zu, den Aktivisten zu verteidigen, dem in insgesamt acht Fällen Nötigung, in sechs Fällen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall Hausfriedensbruch vorgeworfen wird.

Vor allem zu Beginn des Jahres hatte der 24-Jährige im Januar und Februar an unterschiedlichen Tagen Straßen blockiert und sich dabei in einigen Fällen auch festgeklebt. Allein das Festkleben am Asphalt der Fahrbahn wurde von der Staatsanwaltschaft bereits als Widerstandshandlung gegenüber Beamten gewertet. Der Tatbestand des Hausfriedensbruchs kommt durch die kurzzeitige Besetzung des Eingangsportals des Bundesjustizministeriums durch eine Gruppe um P. zustande.

Die „Bedrohlichkeit“ der Klimakrise und die „Dringlichkeit“, dagegen vorzugehen

In einer emotional vorgetragenen Erklärung bekannte sich der in Hamburg lebende Aktivist zu allen Vorwürfen und entschuldigte sich sogar bei den durch die Blockaden betroffenen Autofahrern. Unter Tränen rechtfertigte P. die Aktionen mit der „Bedrohlichkeit“ der Klimakrise und der gebotenen „Dringlichkeit”, dagegen vorzugehen.

„Meine Angst vor der Klimakrise ist so groß, dass ich den zivilen Ungehorsam für richtig halte”, sagte der 24-Jährige. Immer wieder unterbrach der Student seine Erklärung, um sich zu sammeln und seine brüchige Stimme zu schonen.

Sein Anwalt Gregor Gysi reichte ihm eine Vielzahl von Taschentüchern. Als die Packung zur Neige ging, sprang der Richter ein. In einem Beweisantrag der Verteidigung schlug Gysi schließlich vor, renommierte Klimawissenschaftler wie Hans-Joachim Schellnhuber als Zeugen zu vernehmen, um die Gefahr des Klimawandels auch vor Gericht erneut deutlich zu machen. Der Antrag wurde abgelehnt. 

Wenn ich da im Stau gestanden hätte, wäre ich genauso wütend gewesen wie alle anderen.

Anwalt und Linken-Politiker Gregor Gysi

Nachdem der Staatsanwalt in seinem Plädoyer unter anderem auf die erhebliche Länge der Rückstaus von bis zu 1,8 Kilometern durch die Blockaden einging, ergriff Gysi das Wort. „Wenn ich da im Stau gestanden hätte, wäre ich genauso wütend gewesen wie alle anderen”, erklärte der Linken-Politiker.

Viel wichtiger sei es aber laut Gysi, dass es um die „großen Fragen der Gesellschaft” gehe. Mit dem Satz „Ich bin 74 Jahre alt und werde den Klimawandel bis zu meinem Tod aushalten, aber der Angeklagte und andere nicht” eröffnete der Bundestagsabgeordnete rhetorisch einen Konflikt zwischen den Generationen.

Der Tenor: Junge Menschen bekommen zu wenig Gehör, der Konflikt zwischen den Generationen verschärft sich. Dabei gehe es den Aktivisten der „Letzten Generation” nur um das „eigene Überleben”. Schließlich plädierte Gysi auf Freispruch, auch weil die Blockaden durch Artikel acht des Grundgesetzes vom Versammlungsrecht gedeckt seien. 

Das Gericht sieht das etwas anders. Die 90 Tagessätze fallen aber auch deswegen niedriger aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert, weil der Angeklagte nicht vorbestraft ist und sich außerdem geständig zeigte. Zusätzlich zur Geldstrafe kündigte der Richter die Beschlagnahmung einer Tube Sekundenkleber an, die offenbar bereits im Winter von Beamten eingezogen worden war.

Gysi und sein Mandat kündigten Berufung an und ziehen sogar die Möglichkeit in Betracht, den Fall vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Dabei dürfte es ihnen am wenigsten um den Sekundenkleber gehen.

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