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Der Center Court vom Majakowskiring: Berlins geheimster Tennisplatz verschwindet
Versteckt am alten SED-Regierungsviertel in Pankow lag ein Tennisplatz. Nach der Wende nutzte ihn der Tennislehrer Gunther Steinmetz privat - damit ist nun Schluss.
Stand:
Der vermutlich exklusivste Tennisplatz Berlins wird gerade abgerissen. Er liegt in der Grabbeallee in Pankow auf dem Gelände der ehemaligen "Australischen Botschaft bei der DDR". Dort errichtet der Humanistische Verband aktuell einen neuen „Bildungscampus“ mit Schule und Kita. Und wo seit den 1970ern die Tennisbälle flogen, werden künftig Kinder über einen Pausenhof toben.
Der Tennissport war im Arbeiter- und Bauernstaat DDR als elitär verpönt - zudem war er bis 1988 nicht einmal im Olympiaprogramm und versprach damit auch keine Ruhmesmehrung für den Sozialismus. Entsprechend wenige Tennisvereine gab es bis zum Mauerfall im Osten. Einer der ältesten in Pankow ist die Tennisabteilung der SG Bergmann Borsig. Sie wurde 1951 gegründet, 1959 erhielt sie eine eigene Anlage im Volkspark Schönholzer Heide. Eine anderer Platz lag gut versteckt vor öffentlichen Blicken im alten DDR-Regierungsviertel direkt am Majakowskiring in Niederschönhausen.
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Dort wurde 1973 die Australische Botschaft in Ost-Berlin errichtet. Am westlichen Ende des Majakowskirings (Postadresse Grabbeallee 34 - 40) entstand das Gebäude mit einem großzügigen Garten. Kaum einsehbar von der Straße war, dass in diesem Garten auch ein Tennisplatz lag. Ein schlichter, eingezäunter Sandplatz, umrankt von Bäumen, der hinter der Botschaft angelegt wurde - quasi direkt gegenüber dem ehemaligen Wohnhaus von Otto Grotewohl im Majakowskiring.
Die Australian Open von Pankow existierten bis 1986. Dann gab das Land die Botschaft auf. Die Nutzungen für das Gebäude wechselten, mal zog ein Labor ein, mal ein Medienunternehmen, zuletzt waren Künstler dort am Werk und wandelten die Botschaft zum „Atelierhaus“ um. So häufig neue Nutzer kamen und gingen, der Tennisplatz blieb.
Doch nun ist Schluss für den "Court Grabbeallee". 2019 erwarb der Humanistische Verband das ehemalige Botschaftsgrundstück und präsentierte die Pläne für seinen Bildungscampus. Eine Kita für 60 Kinder und eine einzügige Grundschule bis zur sechsten Klasse mit 120 Plätzen in freier Trägerschaft sind geplant.

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Für Tennis ist da kein Platz mehr. Und auch nicht für Gunther Steinmetz. Der Tennislehrer betrieb den versteckten Sandplatz fast ein Vierteljahrhundert in Eigenregie - er hatte ihn gepachtet und gab dort private Trainingsstunden. Wir haben mit ihm über das Ende seines Kleinods in Niederschönhausen gesprochen.
Herr Steinmetz, Tennis ist ein teurer Sport, Plätze und Vereinsmitgliedschaften sind begehrt. Sie brauchten sich darum die letzten 24 Jahre nicht zu kümmern - Sie hatten Ihren eigenen Center Court.
Ja. So wie andere eine Wohnung haben, hatte ich meinen Sandplatz in der Grabbeallee. Da konnte ich rund um die Uhr spielen. Wenn Sie so wollen, war es mein privater Tennisplatz mitten in Berlin.
Wie haben Sie den ergattert?
Ich bin Anfang der 1990er über eine ABM-Stelle Tennislehrer geworden. Ich habe in der Nähe gewohnt und kannte den Platz vom Vorbeifahren - die Ortskundigen wussten von seiner Existenz. 1997 war ein Labor in das Gebäude gezogen, da bin ich zum Tag der offenen Tür hingegangen. Der Tennisplatz war damals ein Schandfleck, seit Jahren ungenutzt und mit Unkraut überwuchert. Ich habe gefragt, ob ich den nicht als Trainer übernehmen kann, und am nächsten Tag bekam ich die Zusage. Ich habe den Platz dann selbst wiederhergerichtet und mir neuen Sand besorgt. Und am 8. Juni 1997 habe ich darauf zum ersten Mal gespielt.

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Sie hatten einen Vertrag als alleiniger Nutzer?
Ja. Seit 1997 habe ich den Platz gepachtet und alleinverantwortlich betrieben. Ab 1999 hatte ich sogar einen Vertrag direkt mit dem Bundesamt für offene Vermögensfragen, das das Gelände verwaltete.
Ein schönes Büro.
Ja, zumindest in der Freiluftsaison. Der Platz war zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt, das war natürlich praktisch. Ich habe da aber nicht nur Unterricht gegeben, sondern den Platz auch hin und wieder an Interessenten zum Spielen untervermietet. Und natürlich habe ich auch privat mit Kumpels da gespielt. Dann haben wir uns nach einem Doppel hingesetzt und auch mal ein Bierchen getrunken.
Es gab immer wieder wechselnde Mieter im Botschaftsgebäude. Störten die sich nicht am Geploppe, Gekloppe und Gestöhne im Garten?
Im Gegenteil. Jeder neue Hauptmieter des Gebäudes war vertraglich verpflichtet, den Tennisplatz in Ordnung zu halten. Die waren sogar froh, dass ich mich darum gekümmert habe, weil sie dadurch natürlich Kosten gespart haben.
Haben auch Stars auf Ihrem Platz gespielt?
Es gibt da eine witzige Geschichte. Ich hatte Kontakt zu bekannten Tennistrainern, darunter Anders Jarryd und Peter McNamara. Auch zum Australier Rod Frawley, der 1981 im Wimbledon-Halbfinale dramatisch gegen John McEnroe verloren hatte. Frawley hat Anfang der 2000er bei mir auf dem Platz gespielt. Da hat er mir erzählt, dass er Ende der 1970er Jahre an einem Turnier in Stockholm teilgenommen hat und über West-Berlin zurückgereist ist. Er hatte seinen Pass verloren - und sie haben ihn hierher nach Pankow geschickt, um sich einen Ersatzpass zu besorgen. Frawley hat mir gesagt: „Das gibt’s doch nicht! Ich war damals genau hier in der Botschaft, aber von dem Tennisplatz habe ich überhaupt nichts gesehen.“
Wann haben Sie selbst das letzte Mal auf Ihrem Platz gestanden?
Am 11. April haben Bekannte von mir noch ein Match bestritten, da war ich noch da und habe das Netz abgebaut. Am nächsten Tag war schon der Zaun weg und die Baustelle eingerichtet. Jetzt stehen dort Container, der Platz ist von Fahrzeugen zerfahren, eine betonierte Baustraße führt mitten darüber. Ich habe zwischendurch noch ein paar Seitenlinien rausgenommen, weil man die nochmal verwenden kann.
Sind Sie traurig?
Natürlich bin ich wehmütig. Es ist schon komisch, dass der Platz nun weg ist. Er war ja die längste Zeit meines Arbeitslebens sozusagen mein Hauptquartier.
Aber steht der Tennisplatz nicht wie das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz?
Ja, eigentlich ist auch der Tennisplatz geschützt. Ich habe beim Denkmalamt nachgefragt, die haben das bestätigt. Allerdings ist der wichtige Punkt wohl, dass diese Fläche von einer Bebauung freigehalten wird. Das Denkmalamt findet das Nutzungskonzept in Ordnung, auf dem Tennisplatz künftig eine Freifläche für Kinder auf dem Bildungscampus zu schaffen, solange er nicht bebaut wird.
Gegen die Vertreibung klagen wollten Sie nicht?
Mit dem Humanistischen Verband habe ich ein ordentliches Verhältnis. Deswegen wollte ich auch keine großen Konflikte. Ich war schon länger darauf eingestellt, dass der Platz verschwindet. Eigentlich wollte ich zwar diese Saison noch auf meinem Tennisplatz machen, aber ich bin mit der ganzen Sache im Reinen. Auch privat: Ich stamme aus Thüringen und möchte nun dorthin zurückkehren. Ich habe schon wieder Anschluss in der alten Heimat gefunden und dort auch einen neuen Tennisclub. Ich bin 70 Jahre alt, aber ich spiele noch.
Wann werden Sie das letzte Mal auf Ihrem Platz sein?
Diese Woche gebe ich die Schlüssel ab und schaue ihn mir noch einmal an. Vielleicht mache ich noch ein letztes Foto.
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