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Ein langer Stau auf der B1 in Berlin.

© Bernd Settnik/dpa

Berliner Studie fordert weniger KfZ-Verkehr: Das Auto ist Pankows größter Krankmacher

Pankows neue Mobilitätsstudie fordert deutlich weniger KfZ-Verkehr - er mindere die Lebensqualität in der Stadt. Das Problem: Viele sind auf das Auto angewiesen.

Von Christian Hönicke

Das Auto ist Pankows größter Krankmacher. Zu diesem Ergebnis kommt der erste Pankower „Mobilitätsbericht“ im Auftrag des Bezirksamts. Etwa ein Drittel der Bevölkerung des Bezirks leidet demnach an gesundheitlichen Einschränkungen durch Lärm und Schadstoffen, die insbesondere durch das hohe Kfz-Aufkommen entstehen. Das müsse daher deutlich reduziert werden, parallel müsse der „Umweltverbund“ (Öffentlicher Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr) intensiv ausgebaut werden.

Nach Angaben des Bezirksamts ist der „Mobilitätsbericht“ der deutschlandweit erste Bericht dieser Art. Entwickelt wurde er gemeinsam mit ForscherInnen der TU Berlin und TU Dresden, die die Mobilität im Bezirk erfassten (wir hatten darüber berichtet). Die interessanteste Zahl: 81 Prozent aller Wege in Pankow werden mit dem „Umweltverbund“ – also den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß – zurückgelegt. Dennoch dominiert das Auto das Stadtbild.

Ein zentraler Punkt ist dabei die „Umweltgerechtigkeit“. Im Bericht heißt es dazu: „Jede*r Einwohner*in von Pankow hat – unabhängig von seinem Einkommen, seiner Bildung oder Tätigkeit – das Recht, in einer gesunden Wohnumgebung zu wohnen.“ Doch das treffe aktuell nicht zu. Laut Studie fühlen sich 40 Prozent der Einwohner Pankows konkret von Verkehrslärm belastet. „Insbesondere Menschen mit geringem Einkommen verfügen allerdings über weniger Ressourcen, um sich vor Verkehrslärm und hoher Luftschadstoffbelastung zu schützen.“

Gemäß der Studie stellen die Belastungen durch den Kfz-Verkehr die größte Schwachstelle in der bezirklichen Mobilität dar. Das „hohe Kfz-Aufkommen durch autoorientierte Straßenraumaufteilung“ generiere nicht nur Lärm und Schadstoffe, sondern „beeinträchtigt die öffentlichen Räume“, heißt es dazu. Durch die Dominanz des Autos leide generell die Lebensqualität in den Vierteln.

Die Auto-Vorfahrtstellung beeinträchtige auch den Rad- und Fußverkehr enorm. Dort gebe es „hohe Defizite in subjektiver und objektiver Sicherheit“ insbesondere an Hauptverkehrsstraßen. Radfahrende hätten hohe Unfallrisiken „durch fehlende und schlecht instand gehaltene Infrastruktur“. Auch die Gehwege seien oft in schlechtem Zustand, außerhalb der Innenstadt würden sie häufig ganz fehlen.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Ein schlechtes Zeugnis erhält zudem der öffentliche Nahverkehr im Bezirk. Lediglich der Innenstadtbereich sei durch den ÖPNV ausreichend erschlossen. Im suburbanen Raum (nördliches Pankow) ist die ÖPNV-Erreichbarkeit dagegen „unzureichend“. Dies treffe generell auch auf die „Erreichbarkeit von Orten der Daseinsvorsorge im Umweltverbund“ im nördlichen Pankow zu. Anders ausgedrückt: Ohne Auto geht außerhalb von Prenzlauer Berg (fast) nichts. Sogar Krankenhäuser seien ohne eigenes Kfz nur schlecht zu erreichen. Zudem werde „die Kapazität der Verkehrsmittel des ÖPNV (…) als ausgeschöpft wahrgenommen“.

Die Studie fordert nun ein Umsteuern und warnt eindringlich davor, die Muster der Vergangenheit fortzuschreiben und auf das Auto als Fortbewegungsmittel Nummer eins zu setzen. Eines der größten Risiken sei der „Bau neuer Stadtquartiere unter alten Planungsparadigmen (z. B. fehlende Nutzungsmischung, Vernachlässigung Infrastruktur des Umweltverbunds, geringe Wohndichte)“.

Der Bericht empfiehlt zehn konkrete Strategien zur Umplanung.  Generell müsse der „Umweltverbund“  (ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) attraktiver werden. Die Verfasser der Studie sehen hier insbesondere im Ausbau des ÖPNV-Netzes außerhalb der Innenstadt einen entscheidenden Punkt. Gerade dort müsse der ÖPNV verbessert werden, da er ansonsten „gegenüber dem MIV nicht konkurrenzfähig ist“.

Der Senat setzt weiter auf die Tram

Gemeint ist mit dem Netzausbau explizit auch die U-Bahn: „Ein Baustein des attraktiven ÖPNV soll der Ausbau des Bus-, Tram- und U-Bahnnetzes sein.“ Trotz des starken Wachstums und der Planung vieler neuer Stadtquartiere im nördlichen Pankow sind jedoch keine echten neuen U- oder S-Bahnstrecken zur Erschließung geplant. Der Senat setzt hier weiter auf die Tram, die insbesondere für innenstadtferne Pendler meist unattraktiver ist als das eigene Auto.

Damit Pendler aus und nach Brandenburg Pankows Kieze nicht noch mehr verstopfen, fordert die Studie darüber hinaus „geeignete Bezirks- und Ländergrenzen überschreitende ÖPNV-Verbindungen“. Insgesamt müssten Fuß- und Radverkehr im Bezirk sicherer werden, die Radinfrastruktur insbesondere an Hauptverkehrsstraßen ausgebaut werden: „Mögliche Nutzungskonflikte, insbesondere in Grünanlagen, zwischen Fuß- und Radverkehr sind zu beachten und zu minimieren.“

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Parallel dazu soll Autofahren deutlich unattraktiver werden, um „den Autoverkehr und seine Umweltbelastungen reduzieren“. Das soll durch „die Umsetzung nachfragereduzierender und geschwindigkeitsmindernder Maßnahmen“ erreicht werden. So soll etwa der Platz für Autos verringert werden. Ruhige, attraktive und sichere Straßen entstünden durch die Planung „von außen nach innen“, also von Fuß- und Radverkehr her. Generell solle die Stadtplanung „lebenswerte öffentliche Räume gestalten und fördern“, statt die Flächen größtenteils dem Autoverkehr vorzubehalten.

Im Innenstadtbereich etwa solle es die Möglichkeiten geben, temporär Straßen für andere Aktivitäten umzunutzen. Weiter nördlich sollen die alten Dorfkerne des Bezirks, die unter Dauerstau und Schwerlastverkehr leiden, wieder als solche nutzbar werden: „Die historischen Ortskerne der ehemaligen Dörfer sind bisher nur Transitraum, sollen aber die Möglichkeit zum Aufenthalt und für Aktivitäten bieten.“ Auch der dort durchrollende Güterverkehr müsse stadtfreundlicher werden.

Die Studie regt dazu verschiedene alternative Maßnahmen von kurz- bis langfristig an. Etwa „Parkplatzflächenumwidmung“: „Parkplatzflächen bieten öffentlichen Raum, der neu interpretiert werden kann. Zur Einsparung von Parkplätzen können Mehrfachnutzungen mit Ausweisungen von Lieferzonen- und Parkplatzzeiten erfolgen, Parkplätze können Parkräume für Fahrräder, Leihräder und E-Scooter-Sharing bieten oder die Parkplätze können mit E-Ladesäulen für neue Fahrzeuge ausgestattet werden. Insbesondere bietet der Raum Möglichkeiten, neue kreative Gestaltungen vorzunehmen, um als attraktive Wohnorte von den Passant*innen genutzt zu werden.“

Außerdem im Angebot:

- "Nebenstraßen durch Fahrradstraßen und/oder Kiezblocks attraktiver machen“

- "Geschützte Radverkehrsanlagen auf allen Hauptstraßen errichten sowie größere Nebenstraßen miteinbeziehen“ 

- "Erweiterung des Nahverkehrsangebotes im ländlichen Raum Pankows und im Umland, z. B. durch Expressbuslinien“ für Pendler

- "Beschleunigung des barrierefreien Ausbaus von Bushaltestellen“

Und was passiert jetzt damit? Abheften und gut ist? “Es handelt sich nicht um einen Abschlussbericht, sondern einen Arbeitsauftrag für den Bezirk”, sagt Professor Oliver Schwedes von der Projektleitung der TU Berlin. Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) erklärt, man wolle dem Auftrag Folge leisten: „Der Mobilitätsbericht unterstützt die Verwaltung hinsichtlich der Umsetzung einer zwingend erforderlichen Mobilitätswende.“

Die Umsetzung habe in Absprache mit der Verkehrsverwaltung auch schon begonnen, so Kuhn. Als Beispiele nennt er den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur, den Umbau der Straßenquerschnitte „im Sinne der Flächengerechtigkeit“ zugunsten von Rad- und Fußverkehr und die Reduzierung der Durchgangsverkehre in den Wohnkiezen. Dazu sei auch eine Mobilitätsmanagerin im  Stadtentwicklungsamt eingestellt worden.

Ab Juni 2021 sollen zudem die Pilotprojekte der sogenannten Kiezblocks als erste konkrete Maßnahmen umgesetzt werden – im Arnimkiez und dem Komponistenviertel. Aber auch für weitere Viertel seien „verkehrsreduzierende Maßnahmen“ geplant, so Kuhn, etwa im Langhansstraßenviertel, am Alten Schlachthof, im Schlossparkviertel, im Blumenviertel und im Helmholtzkiez.

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