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Schüler:innen des Leibniz Gymnasiums bemalen Strom- und Verteilerkästen im Bergmannkiez mit Szenen zu Folgen des Klimawandels.

© Corinna von Bodisco/Tagesspiegel

Kreuzberger Schüler machen Kunst im Kiez: „Menschen schauen beim Klimawandel einfach weg“

Schüler des Leibniz Gymnasiums bemalen Strom- und Verteilerkästen im Bergmannkiez mit Szenen zu den Folgen des Klimawandels.

Auf Carlas Kunstwerk ist die Großstadt der Zukunft überschwemmt, nur noch einzelne schwarze Gebäudespitzen ragen aus dem Wasser. Sie malt auf die Wand im Foyer ihrer Schule, dem Leibniz-Gymnasium im Kreuzberger Bergmannkiez. „Ich will zeigen, was schlimme Folgen des Klimawandels sein könnten“, sagt die 17-Jährige, die das Szenario gar nicht so unrealistisch findet.

Carla ist eine von 16 Schüler:innen des Kunst-Leistungskurses, die seit September 2022 gemeinsam an einem Projekt arbeiten – und zwar in und außerhalb der Schule. Zum Thema „Begegnungen in Zeiten des Klimawandels“ gestalten die jungen Künstler:innen Motive auf den Schulwänden oder auf Strom- oder Verteilerkästen im öffentlichen Raum.

Ihre Motive haben die Schüler:innen zuerst auf Bananenkisten gemalt, um die Größenverhältnisse zu testen. Schließlich muss das Bild später auf einen Verteilerkasten passen. Einfach los und losmalen geht also nicht. Kunstlehrer Eckart Müller hat sich für das Projekt Unterstützung von „mog61 – Miteinander ohne Grenzen“ geholt. Der Verein setzt sich für den Austausch „zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung unabhängig von Herkunft und Religion“ ein.

Die Aktiven dort haben Erfahrung mit dieser Art von Kunst, denn kurz nach seiner Gründung vor zehn Jahren hatte der Verein ein Projekt gestartet, um die vielen grauen Kästen am Straßenrand bunter und lebendiger zu gestalten. Schüler:innen bemalten damals mehr als 100 Verteilerkästen im Bezirk mit Kunstwerken.

Schüler:innen des Leibniz Gymnasiums bemalen Strom- und Verteilerkästen im Bergmannkiez mit Szenen zu Folgen des Klimawandels. Unterstützt werden sie vom Verein „mog61 Miteinander ohne Grenzen“.
Schüler:innen des Leibniz Gymnasiums bemalen Strom- und Verteilerkästen im Bergmannkiez mit Szenen zu Folgen des Klimawandels. Unterstützt werden sie vom Verein „mog61 Miteinander ohne Grenzen“.

© Corinna von Bodisco/Tagesspiegel

Daran knüpft jetzt das Projekt der Leibniz-Schule an. Marie Hoepfner, Vorsitzende des Vereins, war nach einem Gespräch mit Eckart Müller gleich Feuer und Flamme, denn „was wir vor Jahren hier gestaltet haben, ist mehr oder weniger verschwunden oder verunstaltet“, sagt sie. Hoepfner hat sich um die Erlaubnis für die privat betriebenen Kästen gekümmert – etwa bei der Deutschen Post oder der Telekom.

Auch Vertreter:innen der Post schauen bei der Aktion vorbei. „Uns freut es, wenn die Kästen schöner und bunt werden. Oft werden sie nur vollgeschmiert“, sagt Johannes Nedo von der Deutschen Post, die die Erlaubnis zur Bemalung gegeben hat.

Ein Wettlauf mit Sprayer:innen

Neben dieser offiziellen Erlaubnis sei auch die „inoffizielle Erlaubnis der Community“ wichtig, wie es Eckart Müller nennt. Viele Gemälde würde sofort überklebt, angesprüht oder „getaggt“, also mit Signaturkürzeln markiert – ein Wettlauf mit den Sprayern:innen im Kiez. Nach dem Malen sollen die bunten Bilder mit einem Anti-Graffiti-Schutz versiegelt werden. Trotzdem gibt der Kunstlehrer einen Tipp: „keine gleichmäßigen, einfarbigen Flächen“. Dann sei sofort ein „Tag“ drauf.

Und so zeigen die Werke der Schüler:innen viele Details: Da gibt es apokalyptische Brände und Menschen, die sich davon gar nicht beeindrucken lassen, ein Rededuell zwischen Donald Trump und Greta Thunberg oder Szenen mit bunten Gewächsen und futuristischen Figuren.

Die Kästen auf der Bergmannstraße befinden sich direkt neben einem Radweg. Für die Kunstaktion wurden zum Schutz der jungen Künstler:innen Hütchen aufgestellt.
Die Kästen auf der Bergmannstraße befinden sich direkt neben einem Radweg. Für die Kunstaktion wurden zum Schutz der jungen Künstler:innen Hütchen aufgestellt.

© Corinna von Bodisco/Tagesspiegel

Kunstlehrer Eckart Müller trägt zur Aktion eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Ordner“, weil er seine Schüler:innen schützen will. Zwei Postkästen auf der Bergmannstraße stehen direkt an einem Fahrradweg, der an der Marheineke-Markthalle und der Passionskirche vorbeiführt.

Etwas weiter nördlich bemalen Luna und Oscar einen Stromkasten in der Mittenwalder/ Ecke Fürbringer Straße. Ihr Kunstwerk hat zwei Seiten: Ein Strandmotiv mit Explosion – und eine Clubnacht. „Wir haben bewusst gewählt, welches Motiv auf welcher Seite ist“, erklärt Oscar. Die Party-Situation fällt vom Bürgersteig gleich in den Blick. Aber nur diejenigen, die um die Ecke schauen, sehen die Naturkatastrophe. Warum? „Man kann gut vergessen, dass es den Klimawandel gibt. Aber schaut man genauer hin, wird klar, was dahinter steckt“, sagt der 17-Jährige.

Das Um-die-Ecke-schauen oder Wegsehen ist ein Narrativ, das sich durch die Kunstwerke der Schüler:innen zieht. Romano sagt dazu: „Menschen schauen selbst in Extremsituationen des Klimawandels einfach weg und reagieren nicht mal dann, wenn es schon zu spät ist.“

Auch Anouk malt die Geschichte einer besonderen Begegnung auf ihren Kasten – die gelben Farbtöne stechen direkt ins Auge. „Mein Bild soll eine Entwicklung darstellen“, sagt sie. Von der Morgen- zur Abendsonne, vom Leben zum Tod. Ihre Figuren schauen die Betrachter:in vom Bürgersteig direkt an.

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