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Es wird eng im Klassenzimmer.

© dpa

„Meine Frau kommt mir vor wie eine Leibeigene“: Mann einer Berliner Lehrerin kritisiert Arbeitsbelastung

Ein Mann aus Pankow fühlt sich wegen Überlastung seiner Frau als Lehrerin in der Pandemie „praktisch alleinerziehend“. Ein Erfahrungsbericht.

Stand:

„Ich bin allein erziehender Vater – meine Frau ist Lehrerin“, so beginnt ein Erfahrungsbericht eines Mannes aus Pankow. Er möchte anonym darüber berichten, dass Lehrkräfte in Berlin „Leibeigene“ seien und er daher de facto alleinerziehend sei. „Nein, ich bin nicht geschieden und wir leben auch nicht getrennt. Noch nicht.“ Doch seine Frau sei Lehrerin. Hier sein Bericht:

„Um den Ruf von Lehrkräften steht es ja schon länger nicht so gut. Aber ich möchte hier und jetzt eine Lanze für die Lehrer und Lehrerinnen in diesem Land brechen. Das liegt daran, dass ich mit einer Lehrerin zusammen bin und weiß, was es für die betreffende Person und deren Angehörige heißt, diesen Beruf auszuüben.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Ich erlebe es oft genug, dass der Unterricht noch nachts vor- oder nachbereitet wird, die Zeugnisse vor der Tür stehen und diverser Zettelkram erledigt werden muss, egal, ob der eigene Nachwuchs krank ist oder noch nicht schlafen kann. Es gibt Zeiten, in denen ich praktisch alleinerziehend bin.

Unsere vier Kinder haben im Laufe der Jahre gelernt, dass es effektiver ist, nach mir zu rufen. Mama kommt in den meisten Fällen nicht. Sie sitzt in ihrem Arbeitszimmer und erfüllt die Bedürfnisse anderer Kinder.

Zu Beginn des Jahres 2021 hat sich diese Situation noch einmal verschärft. Während viele Menschen zu Hause bleiben mussten, wurde meine Frau für die Notbetreuung in ihrer Schule eingeplant. Das klingt soweit erst mal nicht schlimm. Hinzu kam aber der Online-Unterricht. Den gibt es nirgendwo zu kaufen. Der will entwickelt werden.

Konkret sah das so aus: Meine Frau verließ 6.30 Uhr das Haus und kam zwischen 15 und 16 Uhr nach Hause. Sie setzte sich meist direkt in ihr Arbeitszimmer, wo sie bis 22 oder 23 Uhr arbeitete, um Unterrichtsinhalte auf die ‚Schulplattform‘ zu stellen, die Arbeiten der Schüler auszuwerten, Videokonferenzen zu halten, sich mit Kollegen zu besprechen…

Die Wochenenden sahen nicht viel besser aus. Arbeit für meine Frau. Wenn sie etwas Freizeit hatte, holte sie den Schlaf nach, den sie unter der Woche versäumte. Am Montag ging alles wieder von vorne los. Die Kinder bekamen ihre Mutter kaum noch zu Gesicht. Wenn, dann vielleicht kurz am Esstisch oder zum Gute-Nacht-Sagen. Bei Störungen reagierte sie gereizt. Wie sollte sie so auch ihre Arbeit schaffen.

Für mich bedeutete es, dass auch ich wieder Notbetreuung machte – nur zu Hause. Meine Aufgaben im Homeoffice erledigte ich zwischendurch, wenn die Kinder miteinander spielten oder selber ihre Aufgaben für die Schule erledigten. Oder aber am Abend, wenn sie zu Bett gegangen waren.

Nach ein paar Wochen fragte ich meine Frau: Wie lange hältst du das aus? Und was meinst du, wie lange wir das noch aushalten?! Daraufhin sprach sie mit ihrer Schulleitung, welche sie etwas entlastete. Ein Familienleben ist jetzt am Wochenende wieder ansatzweise möglich. Welche Mutter oder welcher Vater macht wohl jetzt diese Arbeit, um welche meine Frau entlastet wurde?

Seit Jahren finden sich kaum noch Menschen, welche als Lehrer*in arbeiten wollen. In den letzten Jahren fehlten in Berlin jährlich mehrere hundert, manchmal über eintausend Lehrkräfte. Dieser Schwund wird mit Quereinsteigern kompensiert. Aber auch von diesen steigen viele noch im Referendariat aus.

Wenn man langjährige Lehrer*innen fragt, werden diese bestätigen, dass die Arbeitsbelastung seit Jahren stetig steigt. Hier muss dringend gegengesteuert werden, sonst ist die Notbetreuung überall der Regelfall – in der Schule und zu Hause.

Meine Frau kommt mir manchmal vor wie eine Leibeigene. Klar bleibe ich auch mal länger auf Arbeit, aber im Großen und Ganzen kann ich nach Ende meiner Arbeitszeit den Hammer fallen lassen und nach Hause gehen. Das sollten Lehrkräfte auch tun können und dürfen.“

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