
© Steffi Bey
Vierfaches Engagement: Wie eine Berliner Lehrerin im Ruhestand eine zweite Karriere fand
Gudrun Bernhagen aus Marzahn engagiert sich nach ihrer Pensionierung in vier Ehrenämtern. Wie es dazu kam und warum sie die Tätigkeiten erfüllen.
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Schon als Gudrun Bernhagen noch an einer Schule im Wedding unterrichtete, wusste sie: „Als Rentnerin werde ich mir eine Beschäftigung suchen, die mir großen Spaß macht.“ Aus einer Idee sind inzwischen vier Ehrenämter geworden. Die Marzahnerin führt regelmäßig einen Lesekreis durch, außerdem leitet sie den „Philosophischen Stammtisch“, organisiert im Stadtteilzentrum Marzahn-Mitte die „Morgenlektüre“ und sie schreibt für das Magazin Kosmos, das von der „FreiwilligenAgentur“ im Bezirk herausgegeben wird.
Die ehrenamtlichen Einsätze schätzt sie alle gleichermaßen und möchte keinen davon missen. „Aber noch mehr sollen nicht dazukommen“, sagt die 70-Jährige überzeugt. Sie ist gut organisiert und stellt sich jede Woche einer neuen Aufgabe. Wenn sie zum Beispiel den Lesekreis im Kursana Domizil Marzahn vorbereitet, denkt sie manchmal daran, wie alles begann. Denn der Ausgangspunkt ihres Engagements ist ihre große Leidenschaft fürs Schreiben.
Sie hat eine riesige Sammlung von kleinen Zetteln, auf denen sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer wieder notierte, was sie bewegte, was sie ärgerte, was sie nicht verstand. „Ich wurde bestimmte Ereignisse auf diese Art erst einmal los“, sagt sie. Es waren Dinge, über die sie mit niemandem sprechen wollte – auch nicht mit ihrem Mann oder den Kindern. Vieles hatte mit ihrem Beruf zu tun. „Ich war gerne Lehrerin für Französisch und Ethik, aber irgendwann kam so viel zusammen, dass ich krank wurde“, erzählt die Marzahnerin.
In dieser Zeit half ihr das Schreiben. Sie spricht nicht gerne „über diese schwierigen Jahre“. Wichtig sei aber, dass sie mit mehr Lebensmut neu durchstarten konnte. Sieben Bücher hat Gudrun Bernhagen schon veröffentlicht: Erzählungen, Romane und ein Tagebuch. Es sind eigene Erlebnisse, aber auch Geschichten aus dem ungewöhnlichen Alltag interessanter Menschen, die sie oft zufällig traf. Auch als sie noch unterrichtete, begann sie aktiv an ihrem ersten Buch zu arbeiten. „Frischlufttherapie“ wurde 2014 veröffentlicht.
Etwas übermütig hatte sie sich aus Anlass des 90-jährigen Jubiläums vom Campingplatz am Tonsee im Landkreis Dahme-Spreewald bereiterklärt, „90 Geschichten zu schreiben“, erzählt Gudrun Bernhagen amüsiert. Sie kennt das idyllische Plätzchen gut, schließlich zeltet die Familie dort seit den 1980er Jahren. Aus der eher scherzhaft gemeinten Bemerkung wurde ein großes Projekt. Die überzeugte Camperin fing an, Zeltnachbarn zu interviewen, die Spannendes über den Platz erzählten. Herausgekommen ist ein Buch aus überlieferten und selbst erlebten Geschichten, unterhaltsam und schmunzelnd erzählt.
Als nach ihrer Reha 2014 zunächst unklar war, ob Gudrun Bernhagen wieder zurück in ihren Beruf kann, dachte sie: „Ich könnte doch die Zeit nutzen und älteren Menschen etwas zurückgeben – ihnen etwas vorlesen.“ Sie wandte sich an die „FreiwilligenAgentur“ und wurde an das Kursana Domizil Marzahn vermittelt.
Am Schönsten sind die Momente, wenn nach einer Lesung die alten Menschen zu mir kommen und mit mir sprechen.
Gudrun Bernhagen veranstaltet einmal im Monat einen Literaturkreis in einem Pflegeheim
Das war der Beginn ihrer ehrenamtlichen Arbeit. Seitdem leitet sie dort einmal im Monat den Literaturkreis: Sie stellt Bücher vor, die ihr gefallen, und liest ab zu aus ihren Eigenen. „Es ist genau das, was ich wollte, es erfüllt mich und am Schönsten sind die Momente, wenn nach einer Lesung die alten Menschen zu mir kommen und mit mir sprechen“, berichtet die ehemalige Lehrerin.
Die folgenden drei ehrenamtlichen Beschäftigungen hätten sich ohne große Planungen ergeben. Sie entdeckte beispielsweise einen Aushang, dass Mitstreiter für den Philosophischen Stammtisch gesucht werden und meldete sich. Freude bereitet ihr ebenso die einmal monatlich stattfinde „Morgenlektüre“. Gemeinsam mit der ehrenamtlichen Helferin Brunhild Hauschild bereitet sie die Veranstaltung mit Frühstück und einer Lesung oder einem Meinungsaustausch vor.
Mit ihrem jüngsten Ehrenamt verbindet Gudrun Bernhagen auch einen heimlichen Gedanken: Nämlich dass sie vielleicht früher den Weg als Journalistin hätte einschlagen sollen. Seit einigen Jahren schreibt sie für das Magazin „Kosmos“, das die „FreiwilligenAgentur“ herausgibt. In der aktuellen Ausgabe stellt das ehrenamtliche Redaktionsteam seine Lieblingsplätze vor. Für die Marzahnerin ist das der Parkfriedhof am Wiesenburger Weg. „Ein wunderschönes Gelände, das meiner Seele gut tut“, sagt sie.
Die genaue Zahl ehrenamtlich Aktiver in Marzahn-Hellersdorf ist nicht bekannt. Doch die „FreiwilligenAgentur“ kooperiert mit mehr als 200 gemeinnützigen Einrichtungen. Für das Magazin „Kosmos“ werden unter anderem freiwillige Mitarbeiter gesucht. Berlinweit sind rund 800.000 Menschen ehrenamtlich aktiv.
Gudrun Bernhagen zieht ein positives Resümee. Ihr Leben sei durch die ehrenamtlichen Tätigkeiten reicher geworden. Gudrun Bernhagen genießt es, ständig neue Menschen und ihre Lebensgeschichten kennenzulernen. Sicher gebe es dabei die nächsten Ideen für ein Buch, sagt sie.
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