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„Aus eigener Kraft nicht stemmbar“: Mehr als 1200 Sturmschäden im Norden Berlins – Reinickendorf fordert Soforthilfe vom Senat
Nach Unwettern steht Reinickendorf vor aufwändigen Aufräumarbeiten. Der Bezirk macht deutlich: Ohne schnelles Geld vom Land ist das nicht zu schaffen.
Stand:
Dass ein Bezirk den Berliner Senat um finanzielle Soforthilfe für Sturmschäden bittet, kommt nicht alle Tage vor. Doch die Bezirksverordnetenversammlung von Reinickendorf stimmte am Mittwochabend einstimmig dafür, Geld vom Land einzufordern.
Im Bezirk haben die Unwetter Ende Juni besonders heftig gewütet. Als Stadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) den Lokalpolitikern die Bilanz vortrug, wurde es ruhig im Rathaussaal.
„Die Schäden durch den Sturm am 26. Juni sind immens – in der Fallanzahl, aber auch in der Qualität“, erklärte die Stadträtin für Umwelt und Ordnung. „Es kommen täglich neue Meldungen hinzu.“

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Inzwischen zählt der Bezirk über 1200 Schäden. Etwa 1000 davon gingen ans Straßen- und Grünflächenamt, sie betreffen öffentliche Flächen oder Gebäude wie Parks, Schulhöfe, Spiel- und Sportplätze. Weitere 200 Meldungen für private Flächen bearbeitet das Umwelt- und Naturschutzamt.
Der Bezirk brauche dringend finanzielle Unterstützung, um allein die Schäden im öffentlichen Raum zu beheben, sagte die Stadträtin. „Aus eigener Kraft und mit eigenem Personal ist das nicht stemmbar.“
Die meisten Schäden gibt es Schrod-Thiel zufolge in Heiligensee. Sie machen ein Viertel aller Meldungen aus. Fast jede fünfte käme aus Hermsdorf, jede zehnte aus Waidmannslust.
Externe Dienstleister räumen auf
Der Bezirk bearbeitet die Schäden nach einer Priorisierung von eins bis fünf. Allein die Hälfe der Schäden fallen laut Schrod-Thiel in den sehr dringenden Bereich „Eins“. Von diesen Schäden gehe eine erhöhte Gefahr aus, zum Beispiel durch herunterhängende Äste oder abgebrochene Baumkronen. „Insbesondere bei verdrehten, abgebrochenen oder anderweitig beschädigten Baumkronen ist das Gefährdungspotenzial deutlich höher als wir Laien es einschätzen könnten“, warnte die Stadträtin.

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Weitere 26 Prozent der Meldungen gehören in die Priorität „Zwei“. „Von denen geht aber keine akute Gefahr mehr aus“, erklärte Schrod-Thiel. Trotzdem: Mehr als Dreiviertel der Schäden müssten also mit hoher Dringlichkeit bearbeitet werden.
Weil das Straßen- und Grünflächenamt selbst kaum hinterherkommt, wurden mehrere Dienstleister mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Zudem musste der Bezirk eine Hebebühne zur Begutachtung der Baumkronen anmieten.

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Das alles verursacht für Reinickendorf deutlich höhere Kosten als Geld zur Verfügung steht. „Schon jetzt ist klar, dass mit den derzeit vorherrschenden finanziellen Möglichkeiten nicht mehr lange Dienstleister im Bezirk unterwegs sein können, um diese Sturmschäden zu bearbeiten und zu beheben“, sagte die Stadträtin und machte die Dimensionen deutlich: Allein im Steinbergpark seien Aufräumkosten von etwa einer Million Euro zu erwarten.
„Der Park ist nur einer von insgesamt 200 geschützten Grünanlagen im Bezirk“, betonte Schrod-Thiel. Zum Vergleich: Dem Straßen- und Grünflächenamt stehen im Bezirkshaushalt für das ganze Jahr nur gut 3,6 Millionen Euro zur Verfügung, um Grünflächen, Parks und Spielplätze im Bezirk zu pflegen und herzurichten.
Lehren aus dem Sturmchaos
Unter den Bezirksverordneten herrschte am Mittwochabend Einmütigkeit. Alle Parteien außer der AfD meldeten sich zu Wort. Viel Lob und Dank gab es für Einsatzkräfte und Helfer.
Das sind eben keine Wetterkapriolen, das sind die Folgen des Klimawandels.
SPD-Bezirkspolitikerin Angela Budweg
„Innerhalb weniger Minuten waren die Freiwillige Feuerwehr, das Technische Hilfswerk und das Bezirksamt zur Stelle“, sagte die CDU-Fraktionsvorsitzende Sylvia Schmidt. „Sie haben in gefährlichen Situationen gearbeitet, Wege freigeräumt, Dächer gesichert, Menschen beruhigt mit einer Professionalität und Hingabe, die man nicht hoch genug würdigen kann.“
Schon nach dem Sturm „Xavier“ im Jahr 2017 habe der Senat Reinickendorf mit Soforthilfe unterstützt. „Wir brauchen auch jetzt konkrete finanzielle Unterstützung, um den Menschen in Reinickendorf zu zeigen: Euer Einsatz, eure Solidarität, das bleibt nicht ohne Echo.“

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Die SPD-Politikerin Angela Budweg mahnte an, Lehren aus dem Sturm zu ziehen: „Das sind eben keine Wetterkapriolen, das sind die Folgen des Klimawandels, deshalb dürfen wir auf Bezirksebene bei Klimaschutzmaßnahmen nicht nachlassen.“ Der Senat müsse langfristig mehr Geld zur Verfügung stellen. „Die Kosten für Baumgutachten, Wiederaufforstung und Pflege können nicht nur von den Bezirken allein geschultert werden.“
Schulhöfe werden vor Parks und Spielplätzen geräumt
Der Linken-Politiker Felix Lederle drängte den Bezirk, sich nachhaltiger um seinen Baumbestand zu kümmern und marode Stämme konsequent fällen zu lassen. „Mit Blick auf den Klimawandel müssen die Bezirke im Bereich Baumschutz zukünftig mehr unterstützt werden und nicht nur nach Sturmereignissen mit Soforthilfe“, sagte er. „Wenn richtig investiert wird, könnten Sturmschäden und Kosten minimiert werden.“
Solche Sperrungen sind natürlich für eine gewisse Zeit in Ordnung und absolut verständlich, aber das kann auf keinen Fall für Monate zu weiter gehen.
Grünen-Politikerin Günes Keskin zur Sperrung aller Parks und Spielplätze
Gegen die pauschale Sperrung aller öffentlichen Parks und Spielplätze kam leise Kritik auf. Die Allgemeinverfügung hatte Stadträtin Schrod-Thiel zuvor verteidigt. Erst wenn eine Grünanlage inklusive all ihrer Bäume komplett überprüft sei, könne der Bezirk sie wieder freigeben, erklärte sie. „An dieser Stelle sind wir noch nicht, da die Schulhöfe im Bezirk unsere höchste Priorität genießen.“
Nach zwei Wochen brauche es einen genaueren Fahrplan für die nächsten Monate, mahnte die Grünen-Politikerin Günes Keskin. „Solche Sperrungen sind natürlich für eine gewisse Zeit in Ordnung und absolut verständlich, aber das kann auf keinen Fall für Monate zu weiter gehen“, sagte sie. „Wälder, Parks, Spiel- und Sportplätze sind keine netten Extras. Für viele Menschen sind sie der einzige kostenlose Ort für Erholung, Bewegung und mentale Stabilisierung.“
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