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Rund ein Drittel der jungen Neuköllner in Not: Erste Konferenz zu Kinderarmut sucht Auswege
In Berlin-Neukölln sind besonders viele Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Bei einer Konferenz diskutierten verschiedene Akteure über Hürden und mögliche Lösungen.
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Rund ein Viertel der Berliner Kinder gelten aktuellen Erhebungen zufolge als arm oder armutsgefährdet. In Neukölln sind mit über einem Drittel besonders viele Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Um an Lösungen und Strategien zu arbeiten, veranstaltete der Bezirk jetzt seine erste Kinderarmutskonferenz.
Im Neuköllner Jugendamt kümmert sich seit einiger Zeit ein Kernteam um die Prävention von Kinder- und Familienarmut. Auf der Konferenz sollten nun verschiedener Akteure zusammenkommen und sich zum Thema austauschen. Unter den rund 90 Teilnehmenden waren unter anderem Vertreter:innen von Jugendclubs, freien Trägern, aus dem Jugend- und Gesundheitsamt sowie von Sozialunternehmen.
In Workshops sammelten die Teilnehmenden Ideen zu Themen wie einem gesunden Aufwachsen, der Stärkung armutsbetroffener alleinerziehender Eltern und der Sprachförderung. Besprochen wurden verschiedene Hürden, vor denen vor allem arme Kinder stehen: etwa enge Wohnsituationen, fehlende Rückzugsräume, aber auch fehlende Zugänge zu Sport-, Bildungs- und Kulturangeboten.
Wir müssen die Kompetenzen anerkennen, die gerade arme Kinder haben.
Lin Vobig, langjährige Schulsozialarbeiterin
Bei einer anschließenden Podiumsdiskussion betonte allerdings etwa die frühere Schulsozialarbeiterin Lin Vobig, dass man nicht nur auf die Defizite schauen dürfe: „Wir müssen die Kompetenzen anerkennen, die gerade arme Kinder haben: Wenn sie etwa von klein auf für ihre Eltern übersetzen und bei Behördengängen helfen mussten.“
Zugleich betonte Vobig aber auch, dass Armut sich real auf die Stimmung an Schulen auswirke: Viele Kinder würden sehr aggressiv, wenn sie hungrig seien. Als Schulsozialarbeiterin habe sie daher immer Müsli vorrätig gehabt. „Dann werden die Kinder erfahrungsgemäß sofort ruhiger.“
Auch Diskriminierung spielt eine Rolle
Der Roma-Aktivist, Medienpädagoge und Sozialarbeiter Hamze Bytyci berichtete von strukturellen Hürden und Diskriminierung vor allem gegen migrantische Familien. Er habe für ein Mädchen zweieinhalb Jahre lang um einen Kita-Platz gekämpft, erzählte er. „Dabei wollte dieses Kind unbedingt in die Kita.“ Die Einrichtungen hätten aber immer wieder abgelehnt, wenn sie gehört hätten, dass sie aus einer Roma-Familie stammt. „Bei dieser Community wissen wir ganz genau, dass es gesellschaftlich einen Doppelstandard gibt“, sagte er.
Ein weiteres Problem sei die Nicht-Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Ausbildungen: Wenn die Kinder die Erfahrung machten, dass ihre Eltern nicht wertgeschätzt und einen erfüllenden Job finden würden, habe das psychologische Folgen.
Soziale Arbeit hat selbst ein finanzielles Problem
Ein großes Problem bei allen möglichen Lösungsansätzen, auch das kam zur Sprache, ist die schwierige Haushaltslage Berlins: Sie Regine Schefels, Referatsleiterin für Familienpolitik in der Senatsverwaltung, sagte, dass sie lediglich den Mangel verwalte. Sie appellierte an den Zusammenhalt und forderte kreative Lösungen – was bei den Anwesenden im Publikum auf Kritik stieß.
Denn gerade durch fehlende Mittel, befristete Verträge und unklare Perspektiven sei eine vernünftige Prävention von Armut nur schwer möglich, sagte eine Teilnehmerin. Auch Verena Teuber vom Paritätischen Wohlfahrtsverband forderte, die Laufzeit von Verträgen im sozialen Bereich zumindest von einem auf zwei Jahre zu verdoppeln.
Die Kinderarmutskonferenz sollte Auftakt für mehrere Veranstaltungen in Neukölln sein. Auch auf Berliner Ebene ist eine ähnliche Konferenz in Planung, ebenso wie in anderen Bezirken. Im kommenden Jahr wolle das Jugendamt auch einen Zustandsbericht über die Kinder- und Familienarmut im Bezirk vorlegen, kündigte Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke) an.
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