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Seefahrerinnen. Inka Löwendorf (l.) und Julia von Schacky eröffneten vor zehn Jahren den Heimathafen wieder.

© Kai-Uwe Heinrich

Zehnjähriges Bestehen des Heimathafen Neukölln: Blödsinn mit Köpfchen

Glitzerkleidchen, Kopftuch und Schnauze: Bunt wie die Stadt ist der Heimathafen Neukölln. Am Freitag feiert das Theater sein Jubiläum mit einer Feier am Abend.

Überall hämmert es im Foyer, Techniker tragen Scheinwerfer vorbei, im Keller wummert die Waschmaschine. „Hallo, meine Lieben“, ruft Inka Löwendorf, Schauspielerin und künstlerische Leiterin, in das Klangkonzert der Fleißigen. Umbau, Aufbau, jeden Tag: eine Geräuschkulisse, die Löwendorf kennt und liebt, die den Heimathafen ausmacht. Zwischen Dürüm, Badelatschen und Glitzertaschen auf der wuseligen Karl-Marx-Straße versteckt sich im alten Saalbau Neukölln dieses charismatische Theater, das es nunmehr seit zehn Jahren gibt.

Früher Theater der einfachen Leute im Vergnügungsviertel Rixdorf, Lichtspielhaus in den 1930ern, der hintere Teil der Bühne im Krieg weggebombt. Dann wieder Kino, Jahre nach der Wende die Sanierung. Auf der Suche nach einem neuen Konzept erhielten drei Theatermacherinnen aus Berlin den Zuschlag: Der Heimathafen Neukölln zog aus der Alten Post in den Saalbau und brachte das Volkstheater zurück auf die große Bühne.

Im Pachtvertrag stand damals etwas von einem „niedrigschwelligen Kulturauftrag“. Was heißt das, was kann das sein? „Ich finde niederschwellig super“, sagt Julia von Schacky, künstlerische Leiterin im Bereich Regie und Bühne. „Wenn keine große Schwelle da ist, reinzukommen, dann ist es einladend. Für mich ist Kultur nicht das, was auf der Bühne passiert, sondern die Situation, in der man zusammenkommt und gemeinsam etwas erlebt.“

Der Heimathafen ist eine Liebeserklärung an Berlin, an die Originale der Stadt, an die Probleme rechts und links der Spree und an das Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen. Eine Liebeserklärung an all das, was Theater sein kann – lokal, anders, neu – abseits der großen Häuser in Mitte. Hier wissen Zuschauer nicht immer, was sie erwartet, wie der Abend endet, manchmal bestimmen sie selbst mit.

Die berühmten „Rixdorfer Perlen“, drei Kiezköniginnen in der fiktiven Kneipe „Zum feuchten Eck“, tanzen, singen und berlinern sich seit zehn Jahren erfolgreich durch den Heimathafen. Bunte Revues, klassische Musik für Babys, Science- oder Reporterslams, Lesungen, Tanztheater – und schon zweimal kämpften hier aserbaidschanische Boxer gegeneinander. Die großen Erfolge „Arab Queen“ und „Arab Boy“ zeigten Neuköllner Alltag und Herausforderungen des Miteinanders.

Berliner Tatort-Kommissarin Meret Becker singt im Heimathafen, Bodo Wartke tritt in einem Gesangwettstreit an, Studenten der Universität der Künste führten den Freischütz auf. Vierzig Musiker quetschten sich in den kleinen Orchestergraben, die letzten standen schon im Gang. Fast jeden Tag läuft ein anderes Programm mit „intelligentem Blödsinn“, sagt Inka Löwendorf lachend und blickt von der Galerie den Saal hinab auf die roten Polstersessel und hinauf zum Stuck an der Decke.

Der Heimathafen ist ein Ort des Austauschs

Löwendorf und von Schacky wollen die Leute dort abholen, wo sie sind. „Reinhängen in das, was jedem aus der Seele spricht, ohne dass man ein gelbes Reclamheft gelesen haben muss“, beschreiben sie ihren Ansatz. Auch den Frust wollen sie ansprechen, den viele mit sich rumtragen und dann darüber lachen.

Der Heimathafen ist ein Ort des Austauschs. Manchmal auch ein „Blök-rein-Theater“, wie Inka Löwendorf das nennt. „Wer sich Neukölln einlädt, bekommt auch Neukölln“ – etwa, wenn Theaterbesucher während der Vorstellung Snickers-Packungen öffnen oder ans Telefon gehen und laut sagen: „Ich kann jetzt nicht, ich bin im Theater“. Sie spielen damit.

Ein Schwelbrand vor sechs Jahren zerstörte vor ein paar Jahren die Technik

In der Garderobe im Keller legt Inka Löwendorf Lidschattenpaletten für den Abend bereit und knipst die Lichtröhren rund um den Spiegel an. Eine feste Maske gib es im Heimathafen nicht, meist schminken sich die Schauspieler selbst. Viel Arbeit, viele Überstunden und noch mehr Idealismus, der Heimathafen lebt von der Leidenschaft der Macherinnen.

Krisenerprobt sind sie. Ein Schwelbrand, den ein Beatboxer auf der Bühne erst lässig versuchte, auszutreten, bevor evakuiert werden musste, zerstörte vor ein paar Jahren die Technik. Dann kam die Feuerwehr und zerstörte mit dem Löschwasser alles, was noch auf der Bühne stand. Es folgten drei Monate Schließzeit und dank der Hilfe anderer Theater neue Scheinwerfer, diesmal mit LED.

„Heimat ist ein ganz wertvoller, schöner Begriff"

Der Heimathafen, so unruhig und spannend wie der Kiez. Es passiert ständig etwas. Klobrillen und Klobürsten kommen weg, eine Kasse oder die dritten Zähne mit den Goldkronen aus der Jackentasche. „Immer drei Schritte vor, zwei zurück und trotzdem kann ich nicht sagen, ich hätte es nicht machen wollen“, sagt Löwendorf und strahlt begeistert.

In Zeiten, in denen die AfD Begriffe wie „Heimat“ und „Volk“ für sich deklariert, ist der Name des Theaters für die Macherinnen aktueller denn je. „Heimat ist ein ganz wertvoller, schöner Begriff. Und das ist genau das, was es sein soll, ein Heimathafen für die Menschen, wo sie anlegen und an Land gehen können.“

Zum Jubiläum gibt es am heutigen Freitag, 19.30 Uhr, ein Fest – der Eintritt ist frei, um Kostümierung und Anmeldung wird gebeten: www.heimathafen-neukoelln.de.

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