
© Gestaltung: Tagesspiege; Foto: HR/Till Brönner
Als geborener Berliner liegt mir die Stadt besonders am Herzen. Umso mehr betrübt es mich, dass die Stimmung aktuell nicht besonders gut ist.
Viele Menschen sind einfach nicht glücklich, wenn man mit ihnen in Berlin spricht. Nicht wenige wollen auch weggehen. Da fällt einem der gerade veröffentlichte internationale „Glücksreport“ ins Auge, wonach die glücklichsten Menschen in Finnland leben. Deutschland liegt auf Platz 22. Was macht die Finnen so viel glücklicher als die Deutschen und damit auch die Berliner?
Es lohnt sich ein Blick in die Begründung des „Glücksreports“: Die Finnen haben Vertrauen in ihren Staat. In Finnland möchte der Staat dem Bürger dienen, heißt es. Der Staat sei eine gemeinsame Sache – keine Obrigkeit, die den Bürger in Zaum halten will. So entsteht Vertrauen.
Rechtsstaat macht glücklich
Und genau diese Begründung ist eine Erkenntnis für Berlin. Der Staat soll dem Bürger dienen und nicht als Obrigkeit wahrgenommen werden. Er soll seine Bedürfnisse erkennen und sich danach in seinem Tun ausrichten. Das hätte in Berlin übrigens eine gewisse Tradition. Schon Friedrich der Große, der aufgeklärte Regent Preußens, erkannte: „Ich bin der erste Diener des Staates.“
Es ist mein Eindruck, dass dieses Verständnis von einem Staat, der sich um seine Bürger kümmert, gegenwärtig doch stark abhandengekommen ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass einer der wichtigsten Gründe für die Lebensqualität in Deutschland der funktionierende Rechtsstaat ist. Das gilt natürlich auch und insbesondere für Berlin. Und hier liegt einiges im Argen. Die Bürgerinnen und Bürger Berlins müssen wissen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Haben sie mehr Vertrauen in den Staat, fühlen sie sich sicher und sind, genau: glücklicher.
Wie ist also meine Vision für Berlin 2030 in Bezug auf den funktionierenden Rechtsstaat in Berlin? Natürlich müssen die Themen wie Görlitzer Park, konsequente Verfolgung von Hatespeech, Clankriminalität, um sich greifender Antisemitismus angepackt werden. Es ist ein schier unerträglicher Zustand, dass Juden in der Stadt der Wannsee-Konferenz wieder Angst haben müssen, mit einer Kippa durch Berlin zu laufen. Umso wichtiger ist es, genug Mittel zur Verfügung zu stellen, die die Polizei und die Justiz personell so ausstatten, diesem mit aller Härte des Rechtsstaates zu begegnen.
Digitale Aufrüstung
Insbesondere aber auch die Berliner Justiz muss in mehrfacher Hinsicht effektiver sein und damit den Berlinerinnen und Berlinern dienen. Bundesweit sind etwa die Zivilprozesse nach einem Gutachten des Bundesjustizministeriums um ein Drittel zurückgegangen. Im Zusammenhang mit der Erforschung der Ursachen des Rückgangs von Eingangszahlen bei den Zivilgerichten wurde von der Anwaltschaft immer wieder ausweislich des Gutachtens auf zwei Dinge hingewiesen:
Es gäbe eine große Frustration wegen des schlechten Grades der Digitalisierung in der Justiz, aber auch wegen der fehlenden Spezialisierung an den Gerichten. Insofern konkret zu den Problemen der Digitalisierung in der Berliner Justiz:
Erinnert sei zunächst an die Trojanerattacke vor wenigen Jahren auf das Berliner Kammergericht, die zu monatelangen Problemen führte und auch damit begründet wurde, dass in dem schrittweisen Modernisierungsprozess der IT an Berliner Gerichten das Kammergericht am Ende der Reihe gestanden habe. Wohlgemerkt, das höchste Berliner Zivilgericht.
Seit der Einführung der Pflicht, Zivilklagen bei den Berliner Gerichten digital einzureichen, kommt es nicht zu Beschleunigungen der Verfahren, sondern zu Verzögerungen. Teilweise dauert es Monate, dass überhaupt Aktenzeichen vergeben werden. Laufen einmal die Verfahren, ist es nicht selten notwendig, Schriftsätze per Telefax direkt auf die Geschäftsstellen der zuständigen Zivilkammern zu senden, um sicherzustellen, dass die Richter sie rechtzeitig vor dem Termin erreichen, da dies bei einer digitalen Einreichung der Schriftsätze nach wie vor nicht immer gesichert ist.
Anders als bei vielen Gerichten im Bundesgebiet sind die meisten Gerichtssäle der Berliner Gerichte nach wie vor nicht so ausgestattet, dass digitale Verhandlungen aus ihnen möglich sind, obwohl sie seit der Corona-Pandemie bereits vom Gesetz ausdrücklich erlaubt und vorgesehen sind.
Eine Vision für Berlin 2030 wäre daher unbedingt, die Berliner Justiz mit allen Mitteln digital aufzurüsten, um so die Verfahren zu beschleunigen. Die rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, dass die Berliner Justiz ihre Anliegen schnell bearbeitet und Gerechtigkeit herstellt, soweit dies überhaupt im Einzelfall immer möglich ist. Auch hier muss gelten: Der Staat kümmert sich um seine Bürgerinnen und Bürger, wenn es um ihr Recht geht.
Personalmangel, wechselnde Vorsitzende, fehlende Expertise
Auch zu der anderen Erkenntnis des oben beschriebenen Gutachtens zu den Gründen für den Rückgang der Zivilprozesse, nämlich die „Fehlende Expertise und fachliche Spezialisierung der Richterschaft in konkreten Rechtsgebieten“, sind die Zustände in der Berliner Justiz beklagenswert.
In der Berliner Pressekammer des Landgerichts etwa, einem der regelmäßigen Aushängeschilder der Ziviljustiz eines jeweiligen Bundeslandes, trafen die Anwälte in den letzten zwei Jahren aufgrund von Personalnot regelmäßig auf ständig wechselnde Vorsitzende, die teilweise aus völlig anderen Rechtsgebieten mit der Materie des Presse- und Persönlichkeitsrechts betraut wurden.
Dies ist deswegen besonders problematisch, da das Persönlichkeits- und Presserecht in Deutschland Case Law ist, man also nicht in ein Gesetz schauen kann, sondern die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs der letzten 60 Jahre kennen muss. Dies ist kaum einem Richter in kurzer Zeit zuzumuten. Der aktuelle Vorsitzende war jahrelang bis zuletzt der Vorsitzende einer Mietberufungskammer und ist jetzt mit Fällen von Persönlichkeitsrechtsverletzungen der „Bild“-Zeitung oder der Yellow Press betraut.
Die Stelle des Vorsitzenden Richters des Pressesenats am Kammergericht, also der nächst höheren Instanz, war monatelang unbesetzt, da Konkurrentenklagen eine Besetzung verhinderten. Nach Abschluss der entsprechenden Verfahren bekleidet den Vorsitz nunmehr ein Vorsitzender Richter, der ein ausgewiesener Experte für Wohnungseigentumsrecht, nunmehr aber der höchste Berliner Richter in Entscheidungen im Presse- und Persönlichkeitsrecht geworden ist.
Spezialisierte Richter wie in anderen Städten
Ein Blick nach Hamburg zeigt, wie man der Frustration in der Anwaltschaft wegen der fehlenden Spezialisierung der Richter entgegentritt. So ist es in Hamburg Tradition, dass etwa die langjährige Vorsitzende oder der langjährige Vorsitzende der Pressekammer irgendwann den Vorsitz des Pressesenats im Hanseatischen Oberlandesgericht übernimmt.
Das sichert seit Jahrzehnten eine hochspezialisierte Rechtsprechung in Hamburg, auch und insbesondere im Instanzenzug, von der in Berlin keine Rede sein kann. Naturgemäß gehen die Anwälte aufgrund der Möglichkeit, den Gerichtsstand in bestimmten Rechtsgebieten frei zu wählen, dann lieber zu den Gerichten, die hochspezialisiert agieren und nicht zu den Gerichten, die durch ständige Wechsel der Vorsitzenden oder auch Neubesetzungen zur erheblichen Rechtsunsicherheit beitragen.
Es ist insofern bedauerlich, dass sich durch die Beachtung der Spezialisierung von Richterinnen und Richtern im übrigen Bundesgebiet anerkannte Gerichte im Bundesgebiet herausgebildet haben. So ist der Gerichtstandort Frankfurt für hohe Spezialisierung im Wettbewerbsrecht, der Gerichtsstandort Düsseldorf für hohe Spezialisierung im Patentrecht, Köln für Urheberrecht oder eben Hamburg für Presse- und Persönlichkeitsrecht bundesweit renommiert. Insofern landen in den jeweiligen Rechtsgebieten naturgemäß die Verfahren bei den Gerichten, die für ihre hohe Kompetenz in den Spezialgebieten bekannt sind.
Das hat auch fiskalische Vorteile: Gerichtsgebühren, die teilweise nicht unerheblich sind, landen immer in dem Bundesland, in denen die Klagen eingereicht werden. Es wird also mit der Justiz für den Staatssäckel auch mehr Geld verdient, je mehr Zivilprozesse bei dem jeweiligen Gericht anhängig sind.
Der Rückgang von Zivilverfahren, etwa in dem beschriebenen Rechtsgebiet der Pressekammer, aufgrund der beschriebenen Personalsituation in Berlin, ist erheblich. Die Spruchkörper in Hamburg sind dagegen völlig überlastet.
Nachwuchsjuristen gehen frustriert in andere Bundesländer
Geradezu katastrophal ist auch die Situation der Wartezeiten für das Referendariat, also derjenigen, die das 1. Staatsexamen abgeschlossen haben. Während man in Bayern innerhalb weniger Monate eine Stelle bekommt, warten die Absolventen in Berlin teilweise zwei Jahre. Gerade leistungsstarke Nachwuchsjuristen, die die Hauptstadt so dringend braucht, gehen daher frustriert in andere Bundesländer, um schneller ihr zweites Staatsexamen abschließen zu können. Die Verschwendung von Ressourcen ist offensichtlich.
Auch das monatelange Gezerre um die Neubesetzung des Postens des pensionierten Kammergerichtspräsidenten, welches in dieser Zeit führungslos war, haben sicherlich nicht zur Optimierung der beschriebenen Situation beigetragen. Die Vision für einen modernen Justizstandort Berlin wäre also definitiv, bei der Personalbesetzung auf Spezialisierungen zu achten, um den Gerichtsstandort Berlin zu stärken.
Das Berliner Kammergericht hat eine jahrhundertelange Tradition, auf welches es stolz sein kann. Es hat auch schon Friedrich dem Großen seine Grenzen aufgezeigt im bekannten Urteil für den Müller von Sanssouci. Die Vision für Berlin 2030 wäre, Rechtsstaat aufladen (reloaded): Justiz digital aufrüsten und personell verstärken. Die Menschen werden glücklicher sein.
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