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Im Prozess gegen einen Ex-Stasi-Mitarbeiter werden die Plädoyers erwartet. (Archivbild)

© Sebastian Gollnow/dpa

Update

DDR-Verbrechen in Berlin: Zwölf Jahre Haft für Ex-Stasi-Mitarbeiter gefordert

Hinterrücks wird ein Mann am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße erschossen. Rund 50 Jahre später kommt es zum Prozess gegen einen Ex-Stasi-Oberleutnant.

Stand:

Wer erschoss Czesław Kukuczka? Ein damaliger Stasi-Offizier, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Zwölf Jahre Haft beantragte sie in dem Fall, den das Berliner Landgericht mehr als 50 Jahre nach dem tödlichen Schuss auf den polnischen Familienvater am DDR-Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, dem „Tränenpalast“, prüft. Manfred N. habe sich des heimtückischen Mordes schuldig gemacht, so die Anklägerin. Die Verteidigerin plädierte auf Freispruch. Am 14. Oktober wollten die Richter ein Urteil verkünden.

Der 80-jährige Manfred N., der am Rande von Leipzig lebt, soll am 29. März 1974 dem 38-jährigen Polen aufgelauert haben, um ihn „nach dem Durchtreten des letzten Kontrollpunktes zu töten“, so die Anklage. Er sei als Mitarbeiter einer Operativgruppe des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit mit der „Unschädlichmachung“ des Polen beauftragt worden. Das gehe aus Dokumenten hervor, die Jahrzehnte später gefunden wurden.

Der damalige Stasi-Oberleutnant habe den erhaltenen Auftrag wegen seiner „Fähigkeiten und Regimetreue“ erhalten, so Staatsanwältin Henrike Hillmann in ihrem Plädoyer. Die Ausführung der Tat sei “karriereförderlich“ gewesen. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass N. „im Rahmen einer geheimdienstlichen Aktion“ gehandelt habe.

Kukuczka, ein dreifacher Vater, träumte von einer Zukunft in Florida. Seine Ausreise in den Westen wollte er mit einer Bombenattrappe erzwingen. Er betrat die polnische Botschaft nahe dem Brandenburger Tor und behauptete, einen Sprengsatz in seiner Aktentasche zu haben – ein Bluff, wie sich später herausstellte.

Die Stasi wurde eingeschaltet, zum Schein eine Ausreise fingiert, Kukuczka mit Dokumenten ausgestattet und zum „Tränenpalast“ begleitet. An dem belebten Grenzübergang, wo sich jahrzehntelang Ostberliner von ihren Westverwandten nach Besuchen verabschieden mussten, erwartete der Pole seinen Gang in die Freiheit.

Schülerinnen beobachteten Mord

Doch gegen 13 Uhr beobachteten Schülerinnen einer 10. Klasse aus Hessen, die damals nach einem Ausflug zurück in den Westteil wollten, eine Szene wie aus einem Agententhriller. Ein Mann mit Reisetasche kam, sie sollten zur Seite gehen. Der schlicht gekleidete Mann sei schnell durch die Kontrolle gekommen und der weitere Besucherverkehr umgeleitet worden, schilderten 50 Jahre später drei Zeuginnen vor dem Landgericht.

„Der Mann ging ein paar Meter in die Unterführung, hinter ihm von links trat ein Mann in dunklem Mantel heran, ein Schuss, der Mann mit Reisetasche brach zusammen“, berichtete eine der damaligen Schülerinnen. Dann hätten Uniformierte die Türen der Unterführung geschlossen.

Zwölf Stasi-Mitarbeiter erhielten kurz nach dem tödlichen Schuss auf Czesław Kukuczka einen Orden – auf höchstem Stasi-Befehl. Manfred N. ist laut Akten einer der Belobigten. Er habe den Auftrag, einen „Angriff“ auf die DDR-Grenze zu verhindern, „mutig und entschlossen“ gelöst, sei begründet worden.

Das Dokument ist im Prozess von zentraler Bedeutung. Ist es wahr und ein sicherer Beleg für die Schuld des Angeklagten? Es hatte 2016 einen entscheidenden Hinweis zur Identität des mutmaßlichen Schützen geliefert. Zunächst allerdings bewertete die Staatsanwaltschaft den Fall als Totschlag und ging von Verjährung aus.

Verteidigerin Andrea Liebscher sagte, es könne nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, dass ihr Mandant der Schütze gewesen sei. Sie gehe zudem davon aus, dass es sich um Totschlag und nicht um Mord handelte. Kukuczka habe nach der Bombendrohung nicht arglos sein können.

Die Anwälte der Nebenkläger – eine Tochter und zwei Söhne sowie eine Schwester des Opfers– beantragten einen Schuldspruch wegen Mordes, einen konkreten Antrag stellten sie nicht. Den Hinterbliebenen sei es nie um ein bestimmtes Strafmaß oder Rache gegangen. „Der Anspruch auf Aufklärung wurde im Verfahren erfüllt.“

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