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In Berlin gibt es nur zwei Bürgerämter, in denen man noch ohne Termin sein Anliegen vorbringen kann.

© imago/Olaf Wagner

Überlastete Bürgerämter in Berlin: Der lange, lange Dienstweg

Einst waren Berlins Bürgerämter hochmodern, heute sind sie Symbol der Verwaltungsmisere. Wie konnte es so weit kommen?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Eigentlich ging es nur um die Beglaubigung einer Unterschrift. Keine große Sache. Doch der notwendige Stempel war auf einmal nicht mehr zu finden, so schildert eine Leserin dem Tagesspiegel ihre Erfahrungen in einem Berliner Bürgeramt. Und wann sollte sie wiederkommen? Frühestens in neun Tagen, diese Auskunft habe sie bekommen. Es ist eine dieser Geschichten, von denen es viel zu viele gibt in einer Stadt, deren Bürgerämter bestenfalls noch notdürftig funktionieren. Die kommunale Verwaltung der Hauptstadt hatte zwar schon immer einen schlechten Ruf, aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Wie kam es dazu? Schließlich galt das erste Bürgeramt, das 1993 in Weißensee als Modellversuch gegründet wurde, als Meilenstein einer modernen, dienstleistungsorientierten Verwaltung im zusammenwachsenden Berlin.

„Die Bürger schätzen vor allem, dass sie zu günstigen Öffnungszeiten mehrere Anliegen an einem Ort erledigen können und ausführliche Beratung erhalten“, fasste Jörg Schönbohm (CDU), Mitte der Neunzigerjahre Innensenator, den Zweck der Reform damals zusammen. Ein Jahrzehnt später gab es schon 60 Bürgerämter an 46 Standorten, flächendeckend über alle Bezirke verteilt. Fast hundert verschiedene Dienstleistungen wurden angeboten und seit 2003 auch ein mobiler Bürgerdienst erprobt.

Rechtliche Eigenständigkeit

Das entwickelte sich aber nicht reibungslos. Bezirke, Senat und die Experten im Parlament stritten sich heftig um die Finanzierung, um Öffnungszeiten und geeignete Standorte. Die IT-Ausstattung, Technik und Software, war von Anfang an ein Schwachpunkt der Bürgerämter. Außerdem fühlten sich die Bezirke von der Innen- und Finanzverwaltung des Senats gegängelt und pochten auf ihre rechtliche Eigenständigkeit als kommunale Dienstleister. Und manche Ziele, die man sich setzte, waren unrealistisch. So kündigte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) 2001 den elektronischen Zahlungsverkehr und die digitale Unterschrift an. Es blieb bei der Ankündigung.

Das eigentliche Problem war aber die Personalausstattung. Die Stellen waren chronisch knapp, die Mitarbeiter großenteils überaltert und teilweise schlecht qualifiziert. Bis heute gibt es keine spezielle Berufsausbildung für die Bürgerämter. Der Krankenstand war immer hoch und die bezirklichen Fachabteilungen hatten keine Lust, ihre Aufgaben samt Stellen an den Bürgerservice abzugeben. Es herrschte teilweise organisiertes Chaos. Und so kam es schon 2002 zu langen Wartezeiten, die der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Wieland als „nicht hinnehmbar“ kritisierte. Er schlug vor, Bürger sollten per Internet Termine vereinbaren.

Steigende Arbeitsbelastung

Dafür wurde 2008 in Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf der erste Pilotversuch gestartet. Im Laufe der Jahre setzte sich das Modell in allen Bezirken durch. Wieland konnte allerdings nicht wissen, dass seine gute Idee jetzt missbraucht wird, um die Berliner in die Warteschleife zu hängen. Aber schon damals deutete sich an, dass das Serviceangebot der öffentlichen Hand mit der wachsenden Nachfrage der Bürger nicht mithalten konnte. Zumal der rot-rote Senat angesichts des Haushaltsnotstands in Berlin auch beim Personal massiv sparte. Weniger Stellen und höhere Fallzahlen führten zu steigender Arbeitsbelastung. Die pauschale Senkung der Gehälter im Landesdienst drückte auf die Motivation.

Mit der Sparpolitik des Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) waren die besseren Zeiten vorbei. 2004 hatten die Bürgerämter noch mehr als 720 Stellen. 2010 waren es noch 582 und im Mai dieses Jahres war die Zahl der Vollzeitstellen auf 544 gesunken. Zudem sind nicht alle Stellen besetzt und die Krankheitsquote liegt bei mehr als zehn Prozent. Bei den Bezirksbürgermeistern galt Sarrazin als „Mr. Gnadenlos“, aber sein Nachfolger Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) hatte keinen besseren Ruf. Sein Plan war die Kürzung der Stellen im Berliner Landesdienst auf 100 000, davon 20 000 in den Bezirken. Er verfolgte ihn unbeirrt, mit Rückendeckung des damaligen Senatschefs Klaus Wowereit (SPD).

Von 60 auf 46 Bürgerämter

Als der Sparkurs korrigiert wurde, blieben von den ehemals 60 Bürgerämtern nur noch 46 übrig. Die meisten davon gibt es heute in Reinickendorf: sechs feste Standorte und vier mobile Bürgerämter. Der Senat will mit der Misere nichts zu tun haben. „Die Entscheidung über Standortschließungen liegt in der Disposition der Bezirke“, teilte Innensenator Ehrhart Körting im September 2011 mit. Trotzdem mussten die geschrumpften Servicestellen neue Aufgaben übernehmen: Kfz-Führerscheine (2007), Pässe und neue Personalausweise (2009/10), elektronische Aufenthaltstitel (2011). Entlastend wirkte sich 2011 nur der Wegfall der Angelegenheiten rund um die Lohnsteuerkarten aus.

Erst ein Jahr später spendierte der neue, rot-schwarze Senat den Bürgerämtern 17 zusätzliche Stellen. Es war der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Bezirke blieben überfordert, zumal der Senat regelmäßig neue Gesetze, Regelwerke, Zielvereinbarungen und Arbeitsgruppen zur Verwaltungsreform initiierte. Ein mehrfaches „Kundenmonitoring“ und externe Organisationsanalysen sollten Abhilfe schaffen, taten es aber nicht. Doch erst im Sommer 2014 räumte Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) ein, dass „einige Bürgerämter überlastet sind“.

Wie sieht die Zukunft aus?

Für ihn waren die langen Wartezeiten aber nur die Folge des „hohen Besucherandrangs, der durch die Ferienzeit verursacht ist“. Und Krömer lobte weiterhin die Internet-Terminbuchung als „geeignetes Instrument zur Lenkung der Kundenströme“. Dieses Erklärungsmuster wurde erst aufgegeben, als die Ferien vorbei waren und sich die Lage weiter verschärfte. Stattdessen erinnerte die Innenverwaltung daran, dass die Finanzverwaltung für Fragen der Personalausstattung der Bezirke zuständig sei, und machte im IT-Ausschuss des Abgeordnetenhauses Hoffnung auf die „zunehmende elektronische automatische Verfahrensabwicklung, um die Zahl der Vor-Ort-Kunden langfristig zu reduzieren“.

Und wie sieht die Zukunft der Bürgerämter aus? Die Rede ist von E-Government und „medienbruchfreien Onlineverfahren“. Diese sollen den Besuch des Amts möglichst überflüssig machen, indem der Bürger alles online erledigt. Bis es so weit ist, werden die höchst geheimnisvollen Organisationsabläufe in den Bezirksbehörden durch unabhängige Gutachter weiter untersucht und das Personal schrittweise aufgestockt, um wenigstens den Bevölkerungswachstum in Berlin auszugleichen. 31 zusätzliche Stellen wurden in diesem Jahr neu geschaffen. Weitere 36 Stellen , die im neuen Haushalt finanziert werden, müssen von den Bezirken bis Juni 2016 besetzt werden.

Die Standardsoftware der Bürgerämter namens Meso ist seit 1996 in Betrieb. Im Januar 2016 wird sie ersetzt, durch ein System namens ProVois. Das wird den Bearbeitungsstau erst einmal erhöhen, denn die Mitarbeiter müssen geschult, das neue System muss installiert und in Schwung gebracht werden. Es sieht ganz so aus, als wenn die Suche nach einem Termin im Bürgeramt vorerst ein Glücksspiel bleibt.

I survived Bürgeramt - einen persönlichen Leidensbericht aus Wedding lesen Sie hier.

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