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Dieses Jahr gab es in der Mathematikprüfung der Neuntklässler eine positive Entwicklung (Archivfoto).

© dpa/ Armin Weigel

Vera 8 - neue Ergebnisse für Berlin: Deutsch, Mathe, Englisch - keine Besserung in Sicht

Berlins Achtklässler offenbaren erschreckende Lücken. Schon die Grundschulen leiden unter dem starken Mangel an Fachlehrern.

Nichts Gutes kündigt sich an. Wenn an diesem Freitag die Ergebnisse des neuesten Ländervergleichs im Bildungswesen präsentiert werden, wird Berlin sich wieder auf einen hinteren Platz in den Fächern Deutsch und Englisch einstellen müssen. Darauf deuten die ersten Hinweise, die es am Donnerstag gab. Allerdings kommen diese Hinweise nicht überraschend: Schon ein Blick in die Vergleichsarbeiten „Vera 8“ aus 2014 hätte genügt, um ungefähr zu wissen, wo Berlins Schüler stehen, denn es waren über 3000 der damaligen Achtklässler, die im Folgejahr als Neuntklässler für den großen Ländervergleich untersucht wurden: Ihre Ergebnisse lagen in weiten Teilen unterhalb des von der Kultusministerkonferenz herausgegebenen Mindeststandards. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) appellierte am Donnerstag an die Lehrer, aus den Vera-Ergebnisse mehr Konsequenzen für eine gezieltere Förderung der Schüler zu ziehen.

Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Dies zeigen die neuesten Vera-8-Ergebnisse von 2016, die das Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) am Donnerstag - nach Absprache mit der Bildungsverwaltung - überraschend online stellte. In der Mathematik gibt es sogar eine massive Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr: Die Risikogruppe stieg demnach von 56 Prozent im Vorjahr auf jetzt 68 Prozent. Diese Schüler sind weit davon entfernt, ausbildungsreif zu sein, und beherrschen teilweise noch nicht einmal die Grundrechenarten. Vera 8 soll den Lehrern und Schülern diese Defizite deutlich machen, damit anschließend eine gezieltere Förderung einsetzen kann.

Bei den Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache gibt es noch größere Probleme: Von ihnen schafften es sogar vier Fünftel nicht, den Mindeststandard zu erreichen. Im Vorjahr hatte diese Quote noch bei 75 Prozent statt 80 Prozent gelegen.

Die Ergebnisse von Vera 8 sollen ernster genommen werden

Im Bereich Deutsch unterschritten 2016 über 35 Prozent der Neuntklässler die Mindestanforderungen; im Jahr zuvor lag diese Quote noch bei 25 Prozent. Diese Schüler haben kaum eine Chance, bis Klasse 10 die Defizite aufzuholen. Bei den Kindern aus Migrationsfamilien war es sogar mehr als jeder Zweite, der vom deutschen „Regelstandard“ weit entfernt ist. Ebenso wie Scheeres forderte die ehemalige Berliner Bildungssenatorin Sybille Volkholz (Grüne) in einem aktuellen Meinungsbeitrag für den Tagesspiegel, mehr auf den Umgang mit den Vera-Arbeiten zu achten. Allerdings ist der Umgang mit den Ergebnissen kompliziert: Erstens beklagen Lehrer, dass es nicht genug Personal gibt, um Schüler gezielt zu fördern. Zweitens weisen Fachleute darauf hin, dass ein Vergleich der Resultate von Jahr zu Jahr schwierig ist, da die Aufgabenformate wechseln. Darum lassen sich nur ungefähre Tendenzen ablesen.

Unbestritten ist: Die schwachen Ergebnisse belegen abermals, wie wichtig es war, dass Berlin seine Lehrerbildung umstrukturiert hat: Neuerdings müssen alle Grundschullehrer Deutsch und Mathematik belegen. Es dauert allerdings noch rund fünf Jahre, bis diese neu ausgebildeten Lehrer in den Schulen ankommen.

Seit vielen Jahren beklagen die Oberschullehrer, dass die Sechstklässler mit mangelndem Vorwissen aus den Grundschulen kommen. Dies gilt nicht nur für Deutsch und Mathematik, sondern auch für Englisch: Es gibt zu wenige Grundschullehrer, die Mathematik oder Englisch studiert haben. Dies führt dazu, dass diese Hauptfächer „fachfremd“ unterrichtet werden. Der Anteil des „fachfremd“ erteilten Unterrichts wird kaum erhoben, dürfte aber an vielen Schulen bei über 50 Prozent liegen. Dies bedeutet, dass viele Schüler etwa in Mathematik nur maximal in vier von zehn Schuljahren von Fachlehrern unterrichtet werden.

Fachlehrer sind an Grundschulen Mangelware

Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Fachlehrer nicht für die Klassen 5 und 6 ausgebildet sind: Sie belegen normalerweise Lehrveranstaltungen, die auf die Klassen 7 bis 13 vorbereiten. Warum Berlin sich diese Art der Lehrerausbildung „leistete“, obwohl es hier bereits seit dem Krieg die sechsjährige Grundschule gibt, lässt sich nur damit erklären, dass die Grundschullehrerausbildung für Universitäten als wenig prestigeträchtig gilt. Inzwischen beginnt aber ein Umdenken - etwa in der Englisch-Didaktik der Freien Universität.

Diese Tatsache hatte auch dazu geführt, dass die Universitäten jahrelang viel zu wenig Grundschullehrer ausbildeten.

Allerdings ist die Lage an den Sekundarschulen nicht viel einfacher. Nuri Kiefer vom GEW-Schulleiterverband weist darauf hin, dass es inzwischen Sekundarschulen gibt, die nur noch über einen einzigen ausgebildeten Mathematiklehrer verfügen. Eine Folge der Pensionierungswelle und der Tatsache, dass Mathematiker auch außerhalb der Schulen attraktive Arbeitsmöglichkeiten haben. Diese Lage führt dazu, dass der einzige verbliebene Mathematiklehrer auch noch die Aufgabe hat, die Quereinsteiger einzuarbeiten und Referendare zu betreuen. Falls er dann auch noch der einzige Physiklehrer ist, wird die Lage noch dramatischer.

Auch im Fach Deutsch fehlen vielen fundamentale Kenntnisse

Für den Deutschunterricht gibt es zwar mehr ausgebildete Lehrkräfte, jedoch gibt es an den Universitäten noch immer zu wenig Wissen über eine gute Didaktik für Deutsch als Zweitsprache. Wie berichtet, gab es jahrelang noch nicht einmal eine Professur für diesen elementaren Bereich, obwohl in Berlin 35 Prozent der Schüler zu Hause kein Deutsch sprechen. Die Lage erschwert sich künftig weiter, weil der Anteil der Migranten durch die höhere Geburtenrate und die Flüchtlinge weiter steigt.

Die Schüler mit Migrationshintergrund bilden in allen Bereichen die größte Risikogruppe. So konnten bei den Vera-8-Arbeiten im Jahr 2014 bei den Schülern mit Migrationshintergrund nicht der Mindeststandard im Deutschen erreicht werden. Laut Forschung bedeutet dies, dass „die basalen Kenntnisse fehlen, um ein selbstbestimmtes und beruflich erfolgreiches Leben bestreiten zu können“.

Im Englischen war die Lage noch schlechter: Hier verpassten fast 40 Prozent der Sekundarschüler den Anschluss: Die Hälfte der Migranten war nicht imstande, einen englischen Text so zu lesen, dass sie etwas mit dem Gelesenen anfangen können, weitere 40 Prozent haben ebenfalls Probleme und landen auf der zweituntersten von den fünf Kompetenzstufen.

Nur im Französischen sieht es besser aus: In den Sekundarschulen gehören nur 22 Prozent (Gymnasien: 6 Prozent) zur Risikogruppe, die Ergebnisse von Deutschstämmigen und Migranten unterscheiden sich kaum.

Wie berichtet, hatte es zunächst Verwirrung um die Veröffentlichung der Vera-Ergebnisse gegeben. Offenbar gibt es dazu unterschiedliche Ansichten in der Bildungsverwaltung, zumindest widersprachen sich dazu die Darstellungen. Die Ergebnisse von Brandenburg standen am Donnerstagabend noch nicht online.

Scheeres stellt unbequeme Forderungen

Angesichts der abermals schwachen Ergebnisse für Berlin meldete sich am Donnerstag Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) zu Wort. Es gebe nicht „die eine Stellschraube bei der Schulqualität“. Neben der ausreichenden Ausstattung mit gut qualifizierten Lehrern sieht sie aktuell folgende Möglichkeiten, zu einer Qualitätsverbesserung zu kommen.

Um die Schülerleistungen zu steigern hält Scheeres es für unabdingbar, dass die Lehrer Schlussfolgerungen aus den Vera-Ergebnissen ziehen. „Die einzelnen Schüler sowie die Eltern müssen eine ausreichende Rückmeldung bekommen, wo die Kinder gut abgeschnitten haben und wo Probleme bestehen“, sagte Scheeres auf Anfrage. Die Lehrkräfte müssten dann „die notwendigen Schlussfolgerungen für die Förderung des einzelnen Kindes ableiten und den Unterricht danach ausrichten. Schulen, bei denen ein negativer Trend absehbar ist, schneller geholfen werden soll. Zudem sollen die 1200 Stellen für die Sprachförderung „passgenauer“ eingesetzt werden.

Nur wenige Schulleiter und Schulräte wollen sich begutachten lassen

Optimierungsbedarf sieht die Senatorin auch bei der freiwilligen Bewertung („Selbstevaluation“): Das entsprechende Onlineportal, bei dem sich Lehrer durch Schüler, Schulleiter durch Lehrer und Schulräte durch Schulleiter anonym bewerten lassen können, wird zu wenig genutzt. Scheeres will daher eine „größere Verbindlichkeit“ – besonders bei Schulräten und Schulleitern. Die Lehrer machen zwar mehr von dem Portal Gebrauch, aber auch bei ihnen sei „grundsätzlich eine größere Verbindlichkeit denkbar“. Allerdings führe dieses Instrument nur zum Erfolg, wenn die Akzeptanz da sei. Dieser Vorbehalt ist nicht neu. Auch Lehrer sollen verstärkt angehalten werden, sich dem Urteil ihrer Schüler zu stellen, vor einer Verpflichtung schreckt Scheeres aber noch zurück: Die Befürchtung ist, dass durch einen Zwang die Akzeptanz für die Nutzung des Onlineportals (www.isq-bb.de) schwinden würde.

Dem Abrutschen einer Schule soll nicht erst dann gegengesteuert werden, wenn die Schulinspekteure die Probleme sehen, denn sie kommen nur alle fünf Jahre. Darum sollen Indikatoren entwickelt werden, die frühzeitig zeigen, ab welchem Zeitpunkt eine Schule aus dem Ruder läuft. Dazu könnten schlechte Leistungen gehören aber auch eine hohe Schwänzerquote. In diesem Fall soll eine Schule schneller Hilfe von der Berliner Schulaufsicht erhalten. Allerdings gibt es inzwischen eine Reihe von Beispielen, die belegen, dass die massiven Probleme von Brennpunktschulen noch lange nicht gelöst sind, nur weil die Schulaufsicht darüber Bescheid weiß.

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