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Der kamerunischer Botschafter Victor Ndocki eröffnet die Konferenz mit einer Ansprache.

© Markus Hillbich

„Deutschland ist voll, Kamerun ist leer“: Wie umgehen mit geraubten Kulturgütern?

Was Deutsche in der Kolonialzeit in Kamerun gestohlen haben, muss zurückgegeben werden. Die Frage ist: an wen? Eine Diskussion an der TU Berlin zeigt, wie schmal der Grat zwischen Aufarbeitung und Neokolonialismus ist.

Auf offener Bühne geht der kamerunische Historiker Prince Alexander Kum’a Ndumbe III sein Gegenüber an: „Wer sind denn ihre afrikanischen Partner? Museen?“, fragt Kum’a Ndumbe den Leiter des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum, Lars-Christian Koch.

Kum’a Ndumbe, der dem kamerunischen Königshaus der Bele Bele angehört, fährt fort: „Das Museum ist ein europäisches Konzept. Die Agencies wurden aus Königshäusern und heiligen Stätten geraubt, nicht aus Museen. Die Seele der kamerunischen Völker ist nicht in den Museen. Warum sind also das die Partner der Europäer? Europa sucht nach einem Ebenbild in Afrika.“

Zum Auftakt der Konferenz „Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ an der Technischen Universität Berlin (TU) liegt der Vorwurf des Neokolonialismus in der Luft. Leiter:innen deutscher Museen und kamerunische Wissenschaftler:innen diskutieren auf einem Podium, wie mit geraubten kamerunischen Kulturgütern aus der Kolonialzeit umgegangen werden soll. Im Zentrum der Tagung steht auch die Frage, welche Folgen der Kulturraub für Kamerun bis heute hat.

Der lange Schatten der Kolonialzeit

Von 1884 bis 1919 war Kamerun eine Kolonie des deutschen Kaiserreichs. In den 35 Jahren unter deutscher Herrschaft begingen die Besatzer nicht nur unzählige Verbrechen gegen die Menschlichkeit und beuteten Land und Menschen aus, sie raubten auch abertausende Kulturgüter.

Eine zweijährige Recherche unter Leitung der renommierten französischen Kunsthistorikern Bénédicte Savoy und des kamerunischen Kulturwissenschaftlers Albert Gouaffo von der Universität Dschang in Westkamerun ergab, dass sich heute noch rund 40.000 solcher „Objekte“ in Deutschland befinden.

Deutschland ist voll, Kamerun ist leer. Die Objekte müssen zurück. Wir brauchen sie, um uns zu rekonstruieren.

Maryse Nsangou Njikam, kamerunische Germanistin

„Deutschland ist voll, Kamerun ist leer. Die Objekte müssen zurück. Wir brauchen sie, um uns zu rekonstruieren“, sagt die kamerunische Germanistin Maryse Nsangou Njikam. Dass die geraubten Kulturgüter wieder an Kamerun zurückgegeben werden müssen, ist auf dem Podium Konsens. Allen Teilnehmern geht es um Restitution. Damit ist gemeint, dass die ehemals kolonialisierten Staaten Wiedergutmachung erfahren. Unter anderem dadurch, dass sie alle geraubten Objekte zurückerhalten.

Museumsobjekte als Problem an sich

Objekte. Savoy, die an der TU Kunstgeschichte lehrt und das Podium moderiert, bricht sofort mit der Bezeichnung. „Instrument, Schmuck, Maske und Kochtopf - mit dem Wort werden unterschiedlichste Dinge zusammengefasst. Diese Dinge haben einen Charakter, Kraft und Temperament. Zu passiven Artefakten, Objekten, sind sie erst in deutscher Hand geworden.“ Savoy schlägt deshalb vor, den englischen Begriff „Agency“ zu verwenden, um über die geraubten Kulturgüter zu sprechen.

Von Agencies spricht auch Kum’a Ndumbe, als er den Leiter des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum, Lars-Christian Koch, kritisiert. Koch hatte dafür geworben, den Prozess der Restitution, die Rückgabe der Kulturgüter, gemeinsam zu beschreiten. „Wir können das nicht alleine machen. Wir müssen kollaborativ mit Partnern arbeiten, vor allem mit Museen in Afrika. Wir brauchen mehr Perspektiven, andere Narrative.“

Das Museum ist ein europäisches Konzept. Warum sind also das die Partner der Europäer? Europa sucht nach einem Ebenbild in Afrika.

Prince Kum’a Ndumbe III, kamerunischer Historiker

Bei Kum’a Ndumbe stößt er damit auf Unverständnis. Europa solle Afrika nicht seine Museen aufzwingen, sondern den Familien ihr Eigentum zurückgeben. Das gebe die Gesetzgebung nicht her. Die Rückgabe müssen auf staatlicher Ebene abgewickelt werden wie es zuletzt mit Nigeria geschehen ist, rechtfertigt sich Koch.

Eine Frau aus dem Publikum kommentiert Kochs Aussage: „Das ist der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Und was wir brauchen, ist Gerechtigkeit.“ Es sind Worte, die viel Applaus bekommen. Deutlich machen sie auch, wie schwierig es ist, den Prozess der Restitution umzusetzen.

Aufgeheizte deutsche Restitutionsdebatte

Mit seinem Verweis auf die Rückgabe von Kulturgütern an Nigeria spricht Koch den Fall an, der die Restitutionsdebatte in Deutschland in den letzten Monaten geprägt hat. Außenministerin Annalena Baerbock und Staatsministerin für Kultur Claudia Roth (beide Grüne) übergaben die ersten 20 von rund 1100 Benin-Bronzen an den nigerianischen Kulturminister. 

Entgegen der Erwartung der Bundesregierung werden die Benin-Bronzen aber nicht wie in Aussicht gestellt in einem öffentlichen Museum ausgestellt. Per Verfügung ordnete der nigerianische Präsident an, dass die Stücke an den König von Benin und damit in Privatbesitz übertragen werden.

Während ein Mitglied der Königsfamilie von Benin in der „Berliner Zeitung“ versicherte, dass die Skulpturen in einem anderen Museum öffentlich zu sehen sein werden, wird das in Deutschland bezweifelt. AfD und CDU wollen deshalb die Rückgabe weiterer Benin-Bronzen an die Bedingung knüpfen, dass diese öffentlich zugänglich bleiben.

Die Ampel-Koalition hält das für falsch. Den ehemals kolonialisierten Staaten Bedingungen für den Umgang mit eigenen Kulturgütern zu diktieren, wäre eine Form des Neokolonialismus.

Signale des Aufbruchs

In der Podiumsdiskussion zum Auftakt der Konferenz an der TU würde niemand so etwas fordern. Im Gegenteil: Man bekommt den Eindruck, dass alle Teilnehmer auf eine gelingende Restitution hinarbeiten möchten.

Leontine Meijer-van Mensch, die Leiterin des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig, sieht die Museen dennoch in der Bringschuld: „Dass es die Perspektive von außen gebraucht hat, um zu klären, welche Bestände wir überhaupt in deutschen Museen haben, ist beschämend. Wir als Museen stehen vor großen Hausaufgaben.“

Trotzdem wird die Diskussion getragen von einem Gefühl des Aufbruchs. Als die Teilnehmer gefragt werden, welchen Traum sie in Bezug auf die Restitution haben, mischt sich ein Mann aus dem Publikum ein und gibt sich versöhnlich gegenüber Koch: „Ich wurde zwar nicht gefragt, aber ich will meinen Traum teilen. Ich träume davon, dass der Albtraum endet. Es stimmt. Wir brauchen mehr Perspektiven, mehr Narrative.“ Auch er bekommt Beifall.

„Es geht hier um die Zukunft, die schon begonnen hat“, blickt auch Moderatorin Savoy optimistisch nach vorne.

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