
Wahlcheck Migration und Integration: Ein Berlin für alle – wie kann das gehen?
Der Hauptstadt steht ein Superwahltag bevor, doch ein Viertel der Berliner ist davon ausgeschlossen. Die Parteien machen ihnen höchst unterschiedliche Angebote.
EU-Bürger:innen oder Geflüchtete, hier Geborene ohne deutschen Pass oder Zugewanderte: So vielfältig wie die Bevölkerung in Berlin ist auch der Status der Einwohner:innen mit Migrationsgeschichte. Was hat die Politik ihnen zu bieten? Ein Überblick über die Vorschläge der Parteien zu Wahlrecht und Einbürgerung, Arbeitsmarkt, Wohnen und Diversität in der Verwaltung.
1. Wahlrecht
Am 26. September sind alle Berliner:innen aufgerufen zu wählen. Alle? Nein. Fast ein Viertel der Einwohner:innen sind ausgeschlossen, weil sie keinen deutschen Pass haben. Das betrifft laut Ausländerzentralregister etwa 824.000 Menschen in der Hauptstadt. Davon hat rund jede:r Dritte einen EU-Pass, der zumindest zur Bezirkswahl befähigt.
Die Linke fordert, das Wahlrecht für alle zu öffnen. „Nicht nur Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sollten in unserer Stadt das Wahlrecht haben, sondern alle Menschen, die hier leben.“ Ähnlich sehen es die Grünen. Wer in Berlin gemeldet ist oder hier seinen Lebensmittelpunkt hat, soll wahlberechtigt sein.
Die Grünen wollen in den Bezirken und auf Landesebene Bürger:innenräte etablieren, „die temporär zu bestimmten Themen gebildet werden und die gewählten Repräsentant:innen beraten“. In diesen Räten sollen immer auch Migrant:innen sitzen.
Die SPD wirbt lediglich dafür, dass auch Nicht-EU-Bürger:innen bei Kommunalwahlen, Bürgerbegehren und Volksentscheiden wählen dürfen. In Ländern wie Neuseeland etwa dürfen Menschen wählen, wenn sie seit mindestens einem Jahr dort leben.
2. Bürokratische Hürden
Meist dauert es sehr lange, bis Menschen in Deutschland eingebürgert sind. Die SPD will das ändern – und Einbürgerungen unabhängig vom Wohnort des Antragstellers oder der Antragstellerin erlauben.
Auch die Grünen wollen Einbürgerungen erleichtern: Menschen, die seit Jahren in Berlin leben, sollten dafür keinen Sprachtest benötigen oder ausgeschlossen werden, weil sie Transferleistungen beziehen. „Wer in Deutschland geboren wird, soll die Möglichkeit erhalten, deutsche:r Staatsbürger:in zu werden, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.“ Auch die Linke will die Einbürgerung erleichtern und doppelte und Mehrfachstaatsangehörigkeiten ohne Einschränkungen zulassen.

Die CDU will Integrationsmanager einführen, die bei Problemen wie Abbrüchen von Sprachkursen oder Ausbildungen frühzeitig intervenieren. Die FDP will vor allem gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland anziehen. Dazu will die Partei das Einwanderungsverfahren so vereinfachen, dass Antragsteller:innen mit Arbeitsvertrag binnen sechs Wochen nach Berlin ziehen und ihre Arbeit aufnehmen können.
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3. Zugang zum Arbeitsmarkt
In vielen Berufen werden Abschlüsse aus dem Ausland nicht anerkannt. Einige Parteien wollen das ändern. Die FDP etwa will Schul- und Ausbildungsabschlüsse schneller und bundesweit vergleichbar anerkennen lassen – bezieht sich dabei aber ausdrücklich auf Fachkräfte. Die Grünen fordern: „Die deutsche oder EU-Staatsbürger:innenschaft darf nur in Berufen als Voraussetzung verlangt werden, in denen dies absolut notwendig ist.“

Die Linke will neue Ausbildungswerkstätten in landeseigenen Betrieben einrichten und dort eine Ausbildungsquote für Jugendliche mit Migrationsgeschichte einführen. Eine assistierte Ausbildung solle auch für Geflüchtete zugänglich sein. Zudem will die Linke die Ausbildungsduldung erweitern auf Migrant:innen, die sich weiterbilden, Sprachkurse oder Praktika absolvieren oder eine Teilzeitbeschäftigung ausüben.
Die CDU plädiert dafür, dass arbeiten auch ohne abgeschlossenen Sprach- oder Integrationskurs möglich sein sollte, wenn vorher das Jobcenter beratend tätig geworden ist. Die SPD bleibt hier auffällig vage: Man arbeite dafür, dass allen Berliner:innen die gleichen Lebenschancen zuteilwerden, heißt es im Programm.
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Für die AfD ist Integration „in allererster Linie eine Bringschuld des Zuwanderers“ – wenn Migrant:innen ihren Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren können, „muss dies mittelfristig aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben“. Für Deutsche, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren, sieht die AfD keine Strafen vor.
4. Mehr Migrant:innen in Ämtern
Mehrere Parteien wollen eine Diversitätsoffensive in der Berliner Verwaltung, darunter die SPD. Menschen mit Migrationsgeschichte sollten gemäß ihres Anteils an der Stadtbevölkerung im öffentlichen Dienst beschäftigt werden.
Die Grünen gehen einen Schritt weiter. Sie fordern eine Quote. Zudem wollen sie die Verwaltung mehrsprachig ausrichten, besonders für den Kundenkontakt. Auch die Linke fordert eine muttersprachliche Beratung in Jobcentern und Bürgerämtern. Die AfD ist gegen eine Quote. Chancengleichheit für alle auf dem Arbeitsmarkt schließe „jegliche Quotenregelung aus“, schreibt die AfD.
5. Wohnraum
Selbst konservative Parteien wie die CDU sind dafür, Geflüchtete dezentral statt in Sammelunterkünften unterzubringen. Dort fehle der gesellschaftliche Anschluss. Auch die FDP schreibt, dass Sammelunterkünfte nur als Not- und Erstaufnahmeeinrichtung dienen sollten. Aber eine Wohnung zu finden, ist für Migrant:innen ungleich schwieriger als für Muttersprachler:innen. Hinzu kommt, dass viele Vermieter:innen deutsch klingende Namen bei der Auswahl ihrer Mieter:innen bevorzugen.
Die Linke fordert daher einen Wohnberechtigungsschein für alle Geflüchteten. Es müsse einen diskriminierungsfreien Zugang für Geflüchtete zu allen Lebensbereichen geben – insbesondere beim Thema Wohnen. „Die Vorbehalte, die weiterhin auf der Seite von Vermieter:innen und Eigentümer:innen von Wohnungen bestehen, wollen wir durch Aufklärung und Beratungsangebote auflösen.“
Auch die Grünen setzen auf Hilfestellung. „Zur Wahrnehmung ihrer Rechte (...) beim Zugang zu Wohnen (...) sind diese Menschen abhängig von einer niedrigschwelligen Rechts- und Sozialberatung. Diese wollen wir stärken und langfristig sichern.“ Im Programm der SPD ist beim Thema Wohnraum dagegen keine Rede von Migrant:innen. Als unterstützenswert gelten da etwa Studierende und Auszubildende.