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Berlin: Eine Ausstellung über den ersten sowjetischen Generalkommandanten Berlins 1945

Vor fünf Jahren flammte der Straßennamenkampf in Berlin wieder auf. An vorderster Front kämpfte der CDU-Abgeordnete Günter Toepfer für die Rückbenennung des Bersarinplatzes in Baltenplatz.

Vor fünf Jahren flammte der Straßennamenkampf in Berlin wieder auf. An vorderster Front kämpfte der CDU-Abgeordnete Günter Toepfer für die Rückbenennung des Bersarinplatzes in Baltenplatz. Der Name des ersten sowjetischen Stadtkommandanten Berlins sollte vollständig aus dem Stadtbild getilgt werden, da Nikolaj Bersarin, so der Christdemokrat, ein Stalinist gewesen sei, der 1940 47 000 Letten habe deportieren lassen und die größte Bücherverbrennung im Baltikum geleitet habe. Außerdem verantworte Bersarin die sowjetischen Gräueltaten beim Einmarsch in Berlin. Kurz nach der Wende hatte man deshalb die Bersarinstraße in Petersburger Straße rückbenannt und den Namen des Russen aus der Ehrenbürgerliste Berlins gestrichen. Umso erstaunter liest man dieser Tage in der FAZ, der Mann "war ein Glücksfall für die Stadt".

Vielleicht ist das das größte Kompliment für Peter Jahn, den Leiter des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst. Die kleine, gründlich recherchierte Schau zum Leben des Generals fügt sich hervorragend ein in das Konzept des Museums, dessen Leitmotiv lautet, "Mythen auseinander zu knacken und mit Klischees aufzuräumen", wie der Museumschef formuliert.

Seit 1995 zeigt das Museum Karlshorst die Dauerausstellung "Erinnerung an einen Krieg", die von den Leiden beider Völker und den Verbrechen beider Armeen handelt. Anders als in der "Wehrmachtsausstellung", die die Verbrechen der Wehrmacht plakativ darstellt, setzt man hier nicht auf Effekte, sondern auf die Faszination des Originaldokuments und die Attraktivität des Unfassbaren. Deutsche und sowjetische Wochenschauen laufen unkommentiert und ohne Ton, man kann eine Rede Himmlers vor SS-Angehörigen in Posen hören oder Schlachtpläne im Original bewundern. Das Gros der Ausstellung bilden Privatfotos von Wehrmachtssoldaten und Bilder der sowjetischen Kriegsberichterstatter: unspektakulär, nüchtern erklärt.

Die Ausstellung über Bersarin funktioniert unter anderem als Lehrstück über die Entzauberung von Legenden. Der General hat unmittelbar nach der Kapitulation nur knapp sieben Wochen die Geschicke des zerstörten Berlins geleitet; aber als er im Juni 1945 bei einem Motorradunfall ums Leben kam, gab es bereits wieder Strom, die Lebensmittelversorgung funktionierte, öffentliche Verkehrsmittel fuhren, eine neue Verwaltung war ins Leben gerufen. "In der Verantwortung des Kommandanten Bersarin war der leblose Stadtkörper reanimiert worden", steht im Ausstellungskatalog. Doch die Plünderungen und Vergewaltigungen seiner Soldateska konnte Bersarin erst durch grausame Strafmaßnahmen stoppen.

Den differenzierten Blick auf diesen Vertreter der Siegermacht ließ der Kalte Krieg nicht zu. Je nach Ideologie wurde Bersarin als gesichtsloser Held gefeiert oder als Repräsentant einer Armee verdammt, die man nicht als Befreier sah, sondern als Vorboten des stalinistischen Terrors. Dank der Mithilfe von Bersarins Töchtern, die zahlreiche Familienfotos zur Verfügung gestellt haben, ist es nun gelungen, beide Klischees zu entlarven und den General als Individuum zu zeigen wie auch als Produkt der sowjetischen Gesellschaftsordnung. Bersarin war kein Held. 1938 ins Visier der stalinistischen Säuberer geraten, verleugnete er (zu diesem Zeitpunkt schon ermordeten) Freunde und ehemalige Vorgesetzte und setzte, der Anklage knapp entronnen, seine Bilderbuchkarriere in der Sowjetarmee fort. War er deshalb der Prototyp des willenlosen Funktionärs? Als Militär war Bersarin an Befehle gebunden, er galt als entschlossen und gebildet und der Sache der Partei ergeben; doch zum Missfallen des Kreml bewahrte er sich seine Marotten. Als "disziplinlosen Rowdy" beschimpfte ihn Stalin wegen seiner Leidenschaft für schnelle Motorräder. Auch Bersarins Kontakte mit Vertretern aus dem bürgerlichen Lager und seine Unterstützung für die Einführung des Religionsunterrichts in Berlin stießen in Moskau auf Misstrauen. Aus Stalins distanzierter Haltung haben diejenigen, die in Bersarin den Vertreter eines Kommunismus mit menschlichem Antlitz sehen wollten, die Legende von seiner Ermordung durch den NKWD gestrickt. Bersarin war am 16. Juni mit einer Zündapp KS 750 an der Kreuzung Am Tierpark/Alfred-Kowalke-Straße in eine Lastwagenkolonne gerast und auf der Stelle tot. Nichts spricht für eine Verschwörung, auch wenn der arrangierte Unfall zum Repertoire des sowjetischen Geheimdienstes gehörte. Der General beherrschte einfach das deutsche Motorrad nicht, das ihm von seinen Soldaten geschenkt worden war.

Eine neue historische Lesart entwickelt die Ausstellung für Bersarins Pragmatismus beim Wiederaufbau des in Schutt und Asche gelegten Berlins. Auf vielen Bildern erscheint er als sich kümmerndes Familienoberhaupt zwischen seiner Frau und den beiden Töchtern. Der frühe Verlust seiner Eltern hatte ihm die Bedeutung des familiären Zusammenhalts schmerzlich eingeprägt; in Berlin übertrug er seine Vaterrolle auf die Stadt, sprach fürsorglich von "seinen Berlinern" und war erstaunlich engagiert, wenn es um die Bedürfnisse der städtischen Zivilgesellschaft ging. Der Sowjetoffizier als erster Stadtvater Berlins? Das passt so wenig ins Feindbild wie die Tatsache, dass Bersarin erst 1941 ins Baltikum versetzt worden war und deshalb mit den Deportationen und Bücherverbrennungen in Lettland nichts zu tun hatte.Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, bis 21. November, Dienstag bis Sonntag 10 - 18 Uhr, Eintritt frei.

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