zum Hauptinhalt
Wir sind Supermarkt: Vorständlerin Johanna Kühner (von links) und Sigrun, Carla, Ria, Merle, Josey, Max, Lena und Vera.

© gn

„SuperCoop“ in Berlin-Wedding: Einkaufen im eigenen Supermarkt

Sozial und ökologisch: Seit einem Jahr zeigt die Weddinger Genossenschaft "SuperCoop", wie günstig gute, gesunde und fair gehandelte Lebensmittel sein können.

| Update:

Die Regalreihe mit Unverpackt-Produkten wird gerade aufgestockt, Waschmittel kann ebenfalls selbst abgefüllt werden, der Käse und das Gemüse sind frisch, und an anderer Stelle im Laden zeigt Johanna Kühner ein neues Sortiment direkt aus Wedding. „Knabba Baba“ produziert verschiedene Nussmischungen. Ständig kommen nicht nur neue Produkte hinzu. „Es gibt so viele Ideen, die noch nicht umgesetzt sind“, sagt Johanna Kühner: „uns wird nicht langweilig.“ Das gilt auch für die Menschen, die im Laden von „SuperCoop“ in den Weddinger Osram-Höfen herumwuseln.

Ob sie gerade im Supermarkt einkaufen, hinter der Kasse stehen oder Regale auffüllen, spielt keine Rolle: Sie alle sind Eigentümer, teilen sich die Aufgaben und gestalten die Entwicklung mit. Denn „SuperCoop“ ist eine Genossenschaft, die jedem Menschen den Zugang zu guten, gesunden und fair hergestellten Lebensmitteln ermöglichen möchte. Eine überaus erfolgreiche Initiative. Ein Jahr nach der Eröffnung des Ladens an der Weddinger Seestraße hat sich die Zahl der Genossenschafts-Mitglieder*innen auf 960 bereits verdoppelt.

Jede und Jeder kann Genosse werden, wenn er bereit ist, im Monat mindestens drei Stunden selber im Laden in der Oudenarder Straße 16 zu arbeiten, erzählt Johanna Kühner, eine von vier Vorständlerinnen. Sie ist seit Beginn dabei und heute eine von fünf fest angestellten Mitarbeiter:innen. Wer Mitglied werden will, muss einmalig 100 Euro zahlen. Allerdings könne man die Summe auch über zwei Jahre in Raten abzahlen – und in Härtefällen gibt es einen Soli-Fonds, bei dem Mitglieder den Mitgliedsanteil übernehmen.

Damit reagiert man darauf, dass für manche Menschen einhundert Euro eine Menge Geld ist, gerade hier in Wedding, wo der Berliner Sozialatlas die meisten armen Kinder und Hilfe-Empfänger ausweist. Schließlich sei man mit dem Laden bewusst nach Wedding gegangen und nicht nach Prenzlauer Berg, wo es eine besser verdienende Bioladen-Klientel gibt, erzählt Johanna Kühner über das soziale und ökologische Anliegen des Projekts. Die 24-jährige hat Politikwissenschaften und Betriebswirtschaft studiert und wie die anderen drei Vorständler*innen vorher nie was mit der Lebensmittelbranche zu tun gehabt. Das sei durchaus ein Vorteil, sagt Kühner. „Ein bisschen Naivität hilft, so ein Projekt zu beginnen“, weil es einen anderen, unverstellten Blick ermöglicht.

Vorbilder für das Konzept gibt es in New York und Paris

Die Idee für die „SuperCoop“ ist bereits mehrere Jahrzehnte alt. So lange existiert nämlich in New York das Vorbild, die „Park Slope Food Coop“ mit mittlerweile 17.000 Mitglieder*innen. Seit acht Jahren gibt es in Paris auch das „La Louve“. Die beiden aus Frankreich stammenden Vorständler:innen Eugénie Wateau und Marie Populus haben dortige Erfahrungen eingebracht. Auch die vielen anderen Mitgründer:innen haben die verschiedensten Fähigkeiten und Qualifikationen zum Nutzen der Idee investiert. Mitten in der Corona-Zeit ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, war eine extreme Herausforderung, gibt Kühner zu.

Zusammen haben sie die Räume ausgebaut, Wasseranschlüsse und Elektroleitungen gelegt und Wände gezogen. Aber es hat sich gelohnt. In diesem Mai wurde die Verkaufsfläche noch einmal verdoppelt – jetzt ist auf über 700 Quadratmeter genug Platz für ein „Vollsortiment“, sagt Johanna Kühner. Natürlich gibt es ein großes Bio-Sortiment, aber auch – mit orangenem Punkt gekennzeichnete - herkömmliche Produkte. Warum? Wir möchten, dass alle Menschen sich besser ernähren können, auch jene mit geringerem Einkommen, sagt Johanna Kühner. Immerhin sei Bio-Pesto dreimal teurer als normales Pesto. Schließlich möchte die Genossenschaft für alle Menschen aus dem Kiez eine Einkaufs-Alternative sein, nicht nur für jene, die sich vegan ernähren, bereits in Bioläden einkaufen oder sich mit der Macht der Lebensmittelkonzerne kritisch auseinandergesetzt haben.

Nicht zu dogmatisch, nicht zu teuer

Bloß nicht dogmatisch zu sein, sei deswegen wichtig. Das sei schon ein gewisses „Spannungsfeld“ in Debatten, gibt Kühner zu. Man stelle sich dem aber, etwa bei der Frage der Erschwinglichkeit von Produkten. Im Laden gibt es deswegen nicht nur Bio oder vegan, sondern auch Wurst, Fleisch und normale Milch – freilich mit zugleich klarer Absage an Massentierhaltung.

Die Preise sind deutlich niedriger als in normalen Supermärkten, von Bio-Läden zu schweigen. Jedes Mitglied kauft im Monat für 110 Euro ein, rechnet Johanna Kühner vor. Damit sich aber das Projekt langfristig durch den Umsatz trägt, seien 1700 Mitglieder notwendig. Da ist sie guter Dinge, dies alsbald zu erreichen. Wöchentlich gibt es online ein Willkommenstreffen für neue Interessent:innen und Nicht-Mitglieder dürfen auch einmal einkaufen, um den Laden zu kennenzulernen, bevor sie sich entscheiden. Regelmäßig wird der Supermarkt zum Bildungsort, wo es um Produkt-Qualität geht oder darum, wie die Preise entstehen. Genossen arbeiten auch beim regionalen Erzeuger „Tiny Farms“ mit, um auf dem Acker mehr über die Feld-Früchte zu lernen.  Mit dem Hof aus Müncheberg hat die SuperCoop auch einen Anbauplan vereinbart, um regelmäßig frische Ware zu erhalten.

Die Genossenschaftler:innen können digital ihre Arbeitseinsätze eintragen – entweder Wochen voraus, was Familien entgegenkommt, oder auch eher spontan. Jede:r wie er es will. Manche möchten immer mit der gleichen Gruppe zusammen arbeiten, andere immer neue Mitglieder kennenlernen, einige immer an der Kasse stehen, andere lieber den in großen Laiben angelieferten Käse schneiden – natürlich immer unter Beachtung und Einweisung in die amtlichen Hygiene-Vorschriften. Ältere Mitglieder arbeiten auch durchaus mehr als die nötigen drei Pflichtstunden.

Inzwischen hat sich der ungewöhnliche Supermarkt herumgesprochen. Es gibt viele Anfragen von regionalen Erzeugern, die SuperCoop hat auch eigene „Produkt-Scouts“. Das Sortiment soll bis auf 3000 Produkte erweitert werden, so der Plan. Wer die Regale abläuft, stellt erstaunt fest, dass es zahlreiche lokale Produzenten gibt, die ebenfalls als Stiftung oder Genossenschaft nicht profitorientiert arbeiten. Märkisches Landbrot gehört dazu oder auch der Kreuzberger Bier-Brauer Quartiermeister.  Auch davon fühlt sich Johanna Kühner bestätigt.  Ebenso, dass in Hamburg gerade auch eine SuperCoop-Genossenschaft gegründet wird. Erfolg ist ansteckend. Das einjährige Jubiläum soll deshalb in Berlin gefeiert werden: Mit einem Fest für Genossen und allen Interessierten am Sonnabend, dem 1. Oktober.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false