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Bei den Warnsteiks im Juni und Juli waren 2000 bis 3000 Kita-Beschäftigte auf der Straße. 6500 gibt es insgesamt.

© dpa/Fabian Sommer

Update

Eltern von 30.000 Kindern können aufatmen: Landesarbeitsgericht verbietet Kitastreik in Berlin

Doch kein Ausnahmezustand in Berlins 280 öffentlichen Kindertagesstätten: Verdi unterliegt auch in zweiter Instanz vor Gericht gegen das Land Berlin.

Stand:

Der unbefristete Streik an Berlins öffentlichen Kitas ist abgewendet und bleibt verboten. Das Landesarbeitsgericht ist am Freitag der Vorinstanz gefolgt und hat der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi untersagt, seine Beschäftigten ab kommendem Montag, 14. Oktober, zum Erzwingungsstreik aufzurufen. Knapp 30.000 Kinder werden somit weiter regulär betreut werden können. Verdi sprach danach von einer „Fehlentscheidung des Gerichts“.

Aus Sicht des Gerichts wäre ein unbefristeter Streik ein Verstoß gegen die geltende sogenannte Friedenspflicht, wie die Vorsitzende Richterin Birgitt Pechstein zur Begründung sagte. Die Gefahr, dass Berlin im Falle eines Alleingangs aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ausgeschlossen werden könnte, wurde nicht als Argument gegen den Streik angeführt. Darin unterschied sich das Urteil des Landesarbeitsgericht von dem des Arbeitsgerichts.

Das Risiko des Landes, aufgrund des Beschlusses aus der TdL ausgeschlossen zu werden, überwiege nicht das Grundrecht der Gewerkschaft auf Arbeitskampfmaßnahmen aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz, erläuterte das Gericht im Anschluss. Streiks zur Durchsetzung von Tarifverhandlungen mit dem Land Berlin über Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher in den Eigenbetriebs-Kitas des Landes Berlin seien „nicht grundsätzlich unzulässig“.

Finanzsenator Stefan Evers und Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU) begrüßten den Beschluss des Gerichts. Das sei eine „gute Nachricht für tausende Familien“, so Evers. Er hoffe, dass die Gewerkschaftsvertreter nun „zu Maß und Mitte zurückfinden“. Die Türen für konstruktive Gespräche über realistische Wege zur Entlastung von Kita-Beschäftigten stünden weiter offen. Es bleibe dem Senat ein wichtiges Anliegen, die Situation für die Beschäftigten in den Kita-Eigenbetrieben „im Rahmen des Machbaren weiter zu verbessern“.

Mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts sind weitere Streikmaßnahmen auf unbestimmte Zeit untersagt.

Die Gewerkschaft Verdi in ihrer Stellungnahme zum Urteil

Verdi kündigte „eine intensive Prüfung des Urteils“ an und behält sich vor, „das Land zu zwingen, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten“. Dies habe jedoch keine Auswirkung mehr auf die laufende Tarifauseinandersetzung, denn mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts seien weitere Streikmaßnahmen auf unbestimmte Zeit untersagt, erläuterte die Gewerkschaft. Sie werde aber nach Vorliegen der Entscheidungsgründe des Gerichts „seine weiteren Optionen für den Bereich der Beschäftigten in den Kita- Eigenbetrieben des Landes Berlin prüfen“.

Das Urteil gilt indirekt auch für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die zusammen mit Verdi hatte streiken wollen. Beide Gewerkschaften wollten durch den Ausstand erreichen, dass der Senat einen zusätzlichen Tarifvertrag abschließt. Er sollte der Entlastung der Beschäftigten dienen.

GEW-Tarifexpertin Anne Albers betonte noch im Gerichtssaal, dass die Gewerkschaft sich ungeachtet des Urteils weiter für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen werde. Zudem werde die GEW prüfen, wie es jetzt bei den angestellten Lehrkräften weitergehen könne, die ebenfalls einen Entlastungs-Tarifvertrag fordern.

Die Friedenspflicht als zentrales Argument des Gerichts

Der Senat hatte Ende September eine einstweilige Anordnung beim Arbeitsgericht gegen Verdi und den Kita-Dauerstreik beantragt. Das Arbeitsgericht folgte dem Antrag und hatte Verdi den Ausstand untersagt. Dagegen legte die Gewerkschaft Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht ein – ohne Erfolg.

Schon das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz das Streikverbot unter anderem damit begründet, dass der Streik gegen die Friedenspflicht verstoße, da es einen geltenden Tarifvertrag gebe, der noch nicht abgelaufen sei.

30.000
Kinder besuchen die öffentlichen Kitas Berlins.

Die Gewerkschaften sehen das anders, da es bei dem geltenden Tarifvertrag vom Dezember 2023 um ganz andere Inhalte, nämlich nur um mehr Lohn gegangen sei. Sie aber wollten mit dem neuartigen Entlastungs-Tarifvertrag nicht mehr Lohn, sondern eine bessere Erzieher-Kind-Relation erreichen.

Kein Erfolg bei der Verhandlung auf Bundesebene

Mit dieser Argumentation kam Verdi nicht durch, denn die Gewerkschaft hatte schon während der vorangegangenen Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auf Bundesebene erfolglos ersucht, Entlastung durch zusätzliche freie Tage durchzusetzen. Dieses war aber am Widerstand der TdL gescheitert, sodass dieser Punkt nicht in die Einigung vom Dezember 2023 aufgenommen worden war.

Das Arbeitsgericht und nun auch das Landesarbeitsgericht sahen daher einen klaren Verstoß gegen die Friedenspflicht, indem Verdi im Nachgang einer Einigung zum Tarifvertrag erneut zum Streik aufrief. Zudem wiesen sie darauf hin, dass die im Dezember zugestandenen Zulage für die Erziehungsdienste in Höhe von 130 Euro im Monat sehr wohl eine Anerkennung der besonderen Herausforderungen dieses Berufsfeldes bedeute.

Worum es im Kern geht

Mit Tarifverträgen nicht nur Geld und Arbeitszeit festzuschreiben, sondern auch die Arbeitsbedingungen, ist ein altes Ziel der Gewerkschaften. Auf den Kita-Bereich übertragen bedeutet dies, dass sich eine Erzieherkraft um weniger Kinder kümmern muss und dass ein Teil der Arbeitszeit nicht direkt „am Kind“, sondern auch mit Besprechungen und Vor- und Nachbereitung, verbracht werden kann.

Die Kommunen und Länder wollen sich allerdings diese kostenintensiven Stellschrauben nicht von den Gewerkschaften diktieren lassen, sondern – je nach Kassenlage – selbst bestimmen können, wie groß die Kitagruppen sind. Dies erfolgt in der Regel über Gesetze und Verordnungen.

Die Gewerkschaften hatten schon 1989/90 einen ersten Versuch gestartet, einen Extra-Tarifvertrag zur Entlastung der Erzieherkräfte durchzusetzen. Selbst ein zehnwöchiger Erzwingungsstreik hatte damals keinen Erfolg gebracht. Danach lag das Vorhaben brach, bis es 2020 im Bereich der Krankenpflege an der Charité und bei Vivantes erstmals erfolgreich umgesetzt wurde.

Jugendsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) lehnt die Forderung nach einem Entlastungs-Tarifvertrag ab.

© dpa/Fabian Sommer

Danach wurde es im Kita-Bereich wieder versucht: Bei den Verhandlungen mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden hatte Verdi im Jahr 2022 zwei Entlastungs- oder Regenerationstage für Erziehungs- und Sozialberufe durchgesetzt. Dass ihr das nicht bei der Tarifgemeinschaft deutscher Länder auf Bundesebene gelang, wollte Verdi nicht hinnehmen, weshalb sie es jetzt zumindest in Berlin durchfechten wollte.

Erheblicher Sympathieverlust für Verdi

Seit Anfang des Jahres hatte Verdi in den Kitas für den Arbeitskampf getrommelt. Allerdings büßte die Gewerkschaft wegen ihres teilweise harschen Auftretens erhebliche Sympathien bei der Elternschaft ein. Der Landeselternausschuss lehnt den Streik kategorisch ab.

Wie berichtet, betreuen drei der fünf Eigenbetriebe inzwischen erheblich weniger Kinder als vor den Warnstreiks. Die Geschäftsführer und auch die Senatsverwaltung für Jugend führen das auf die Streikaktivitäten zurück: Da es an freien Kitas inzwischen viele freie Plätze gibt, sind die Familien nicht gezwungen, sich den Streiks der öffentlich Bediensteten auszusetzen. Infolge der vielen freien Plätze erhalten die Eigenbetriebe weniger Platzgeld, was sich zu einem Millionendefizit aufzutürmen droht.

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Sympathien verloren hat Verdi aber auch bei den freien Trägern, weil sie eine „Extrawurst“ für die öffentlichen Kitas fordert: Anders als das Kita-Fördergesetz oder die Rahmenvereinbarung für die Tagesbetreuung würde ein solcher Zusatz-Tarifvertrag nicht für alle gleichermaßen, sondern ausschließlich für die öffentlichen Kitas gelten.

Unbehagen verursachte aber auch das Auftreten Verdis gegenüber einer Geschäftsführerin eines Eigenbetriebs, die in der Öffentlichkeit verunglimpft wurde, weil sie versucht hatte, nicht alle Streik-Vorbereitungen Verdis hinzunehmen. Eine Verdi-Kundgebung fand direkt vor ihrem Büro statt.

Intern aber war die Mobilisierung erfolgreich: Bei der Urabstimmung für oder gegen den unbefristeten Streik hatten 91,7 Prozent der Verdi-Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, dafür votiert, bei der GEW waren es 82 Prozent.

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