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Elektronische Rakete. Das eRockit ist ein Hybrid aus Fahrrad und Motorrad und schafft rund 90 km/h.

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eRockit aus Hennigsdorf: Elektro-Zweirad soll Verkehrsrevolution werden

Die Firma eRockit aus Hennigsdorf möchte den Verkehr nachhaltig verändern. Nun ist sogar eine Expansion nach Indien geplant.

Andreas Zurwehme tritt in die Pedale und fast lautlos schießt das ungewöhnliche Zweirad davon. Das eRockit sieht aus wie eine Mischung aus Motorrad und Fahrrad – und das ist es auch. Um Gas zu geben, dreht man nicht den rechten Handgriff wie beim Motorrad. Stattdessen trampelt der Fahrer wie beim Fahrrad. Dabei ist jedoch nur eine leichte Tretbewegung notwendig. Das Treten dient allein der Geschwindigkeitsregulierung, denn das Fahrzeug wird von einem Elektromotor angetrieben.

Nach ein paar Runden durch das Hennigsdorfer Industriegebiet kehrt Zurwehme zurück in die Werkshalle. Seit 2018 hat seine Firma ihren Sitz in der Stadt nordwestlich von Berlin, in der es zu DDR-Zeiten ein großes Stahlwerk mit 8500 Beschäftigten gab. Heute produziert hier Bombardier Züge für die ganze Welt, außerdem gibt es ein Biotechnologiezentrum und ein Biomassekraftwerk. Der Wirtschaftsstandort wird als einer von 15 regionalen Wachstumskernen im Land Brandenburg von der Landesregierung besonders gefördert.

Andreas Zurwehme, der ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen kommt, mag es hier: Eine „geradlinige Industrieansiedlung“ sei das, genau das benötige man, um straßentaugliche Fahrzeuge herzustellen. Denn der Unternehmer möchte keine Manufaktur leiten, die ein Produkt für eine kleine Zielgruppe urbaner Hipster anfertigt. Wenn es nach ihm geht, soll das eRockit hier so schnell wie möglich in großen Stückzahlen vom Band laufen.

Zweiter Versuch für eRockit

Diese Strategie ist auch die Konsequenz aus der Geschichte des Unternehmens, das bereits einmal Insolvenz anmelden musste. 2013 hatte die Kleinserienproduktion in Berlin-Marzahn begonnen, damals noch unter der Leitung von Stefan Gulas. Der hatte das eRockit erfunden und dafür auch Innovationspreise gewonnen. Doch an der Vermarktung haperte es. Das Zweirad wurde im Direktverkauf und über Händler vertrieben. Allerdings genügte die Nachfrage letztlich nicht, schon 2014 kam die Insolvenz.

Gulas verkaufte seine Erfindung an Zurwehme, der zuvor als Berater für eRockit tätig gewesen war. Zwei weitere Gesellschafter stiegen ein: Monika Haupt und Sebastian Bruch. Doch die drei Neuen legten nicht sofort los. „Wir wollten abwarten, bis E-Mobilität ein Markt ist, bis die Menschen das wirklich wollen“, erklärt Zurwehme.

Nur oberflächlich erinnert das eRockit an ein Pedelec, also ein Elektrofahrrad. Dass seine Leistung deutlich höher ist, liegt an dem originellen Antriebskonzept, das der Erfinder als „Human-Elektro-Hybrid-Antrieb“ bezeichnet hatte. Das System misst die Muskelkraft des Fahrers beim Treten. Das Hinterrad wird indes von einem Motor angetrieben, mit einem Vielfachen der Kraft. Daher kann der Fahrer Geschwindigkeiten von bis zu 90 km/h erreichen – mit einem Kraftaufwand wie beim entspannten Radfahren.

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Aus Sicht der Zulassungsbehörden ist das eRockit ein Leichtkraftrad in der Kategorie der 125er-Motorräder. Mit einem Motorradführerschein darf man es fahren, den benötigt man aber nicht unbedingt. Wer über einen Pkw-Führerschein der Klasse B verfügt, kann einen Zusatzkurs in der Fahrschule machen. In neun Doppelstunden erlangt man dort gewissermaßen ein Upgrade auf die Klasse B 196. Eine weitere Prüfung ist danach nicht notwendig. Auch Autofahrer mit einem Führerschein, der vor 1980 ausgestellt wurde, dürfen einfach aufsteigen und losfahren.

Start mit einer limitierten Kleinserie

An der Wand des kleinen Hennigsdorfer Werks hängen Bilder von bekannten Besuchern. Ende 2019 war zum Beispiel Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) da. Das Land Brandenburg hat den Entwicklungsprozess durch seine Investitionsbank ILB finanziell unterstützt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) war ebenfalls zu Besuch. Aber auch regionale Prominente wie der FC-Union-Stürmer Max Kruse oder der Radiomoderator Martin Kesici sind nach Hennigsdorf gekommen, um das Zweirad Probe zu fahren.

Momentan wird eine Kleinserie produziert, eine „Limited Edition“ von 100 Stück. Die Räder sind fortlaufend nummeriert. Das Fahrzeug hat einen Aluminiumrahmen und ein Leergewicht von 120 Kilogramm. Die 52-Volt-Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 6,6 Kilowattstunden ermöglicht laut Hersteller eine Reichweite von 120 Kilometern. Sie kann an der heimischen Steckdose geladen werden.

In drei Stunden soll es von 20 auf 80 Prozent laden. Der Kaufpreis des Fahrzeugs liegt bei etwa 12 000 Euro. Beim Hersteller gibt es Leasingangebote ab 99 Euro beziehungsweise Finanzierungen ab 190 Euro pro Monat.

Den Weltmarkt im Blick

Das eRockit sei zum Beispiel für Pendler interessant, sagt Sebastian Bruch. Schließlich dürfe man damit sogar auf der Stadtautobahn fahren. Man sei doppelt so schnell unterwegs wie mit einem Roller, benötige aber kein Auto und nur einen Bruchteil der Stellfläche zum Parken. Hinzu komme auch ein sportlicher Aspekt: die „natürliche Bewegung“ beim Treten. Monika Haupt fügt hinzu: „Das tut auch kopfmäßig gut.“ Gerade für Berufsgruppen, die viel sitzen, sei das Fahren mit dem ungewöhnlichen Gefährt ein Ausgleich. Zurwehme glaubt, dass die Zeit für das Produkt gekommen ist, und zwar nicht nur in Deutschland: Alle Metropolen würden gleichermaßen unter Verkehrschaos und Emissionen leiden. „Ich glaube, dass wir mit zweirädriger E-Mobilität einen Weltmarkt vor uns haben.“ Das mittelfristige Ziel sei die Produktion von 10 000 Einheiten im Jahr, fügt er selbstbewusst hinzu.

Die Pedale übernehmen beim eRockit die Funktion des Gaspedals. Bald soll in hoher Stückzahl produziert werden.
Die Pedale übernehmen beim eRockit die Funktion des Gaspedals. Bald soll in hoher Stückzahl produziert werden.

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Tatsächlich wäre es möglich, die Produktionsfläche zu erweitern, die Halle ist durch mobile Wände in mehrere Bereiche eingeteilt, von denen eRockit momentan nur einen kleinen Teil nutzt. Dennoch sei der Ausbau der Kapazitäten deutlich schwieriger als zum Beispiel bei einer Softwareentwicklung, räumt der Unternehmer ein. Alle Teile müssten koordiniert eingekauft werden, dafür sei eine Vorfinanzierung notwendig.

Interesse aus Fernost

Allerdings seien in der aktuellen Corona-Krise zumindest Fachkräfte vorhanden, merkt Sebastian Bruch an: „Wir werden überflutet mit Bewerbungen von hoch qualifizierten Leuten aus der Automobilindustrie.“ Momentan arbeiten bei eRockit 15 Personen. Auch die indische Botschaft hat bereits eine Delegation nach Hennigsdorf geschickt, um über eine mögliche Produktion auf dem Subkontinent zu sprechen. Dabei ginge es um eine abgewandelte Version für den dortigen Bedarf.

Doch wirklich spruchreif seien die Gespräche noch nicht. Andreas Zurwehme sieht im Ausbau der Produktion eine Mission: Er spricht von der Verkehrswende, vom Klimawandel, zu dessen Verlangsamung er beitragen möchte: „Es ist wichtig, dass wir wegkommen von der Verbrennerwelt.“

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