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Unermüdliche Mahnerin. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer liest seit ihrer Rückkehr nach Berlin regelmäßig vor Schülern aus ihrem Buch. 

© picture alliance / Britta Pedersen

Visa hätten Leben retten können: Europa-Premiere von „The U.S. And The Holocaust“ in Berlin

Der Film thematisiert den restriktiven Umgang der USA mit Flüchtlingen während der Nazizeit. Auch die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer war bei der Premiere dabei.

Mit 100 Jahren zählt Margot Friedländer zu den begehrtesten Foto-Partnerinnen der Stadt. Das war auch so bei der Europa-Premiere des Films „The U.S. And The Holocaust“, zu der US-Botschafterin Amy Gutmann am Mittwoch ins Berliner Kino International geladen hatte.

Der Film befasst sich mit den Schattenseiten der amerikanischen Politik während der Nazizeit und auch mit der Frage, wie viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Visapolitik nicht so restriktiv gewesen wäre.

Die Frage hat Margot Friedländer, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hat, bereits in ihrem 2008 erschienen Buch „Versuche dein Leben zu machen“ aufgeworfen.

Freiheitskämpferin. US-Botschafterin Amy Gutmann.
Lebenslange Lehrerin für Demokratie: US-Botschafterin Amy Gutmann.

© Foto: dpa/Britta Pedersen

Da beschreibt sie, wie sie im Juli 1946 in die USA auswandert und auf dem Schiff stehend erstmals an der Freiheitsstatue vorbeifährt: „Als wir sie brauchten, hat sie uns diese Freiheit nicht gegeben“, schreibt sie und muss in diesem Moment an ihre ermordete Familie denken, den Bruder Ralph, die Mutter, den Vater. Hätte sie acht Jahre früher an dieser Stelle auf dem Schiff stehen können, „ich hätte vielleicht glücklich sein können“.

Sechs Stunden ist der Film lang, eine komprimierte Stunde davon wurde gezeigt. Unter den Gästen waren auch 250 Schüler und Studenten, die die Botschafterin, deren Vater Nazi-Deutschland 1934 gerade noch rechtzeitig verlassen konnte, eingeladen hatte, weil sie sich als „lebenslange Lehrerin für Demokratie“ sieht.

Bedeutsam war, wie Amy Gutmann sagte, die Wahl des Zeitpunkts der Premiere zwischen dem jüdischen Neujahrsfest und Jom Kippur, dem Fest der Versöhnung. Die Anerkennung einer Schuld sei die Voraussetzung für die Sühne, sagte sie. Sie nannte den Film bahnbrechend, weil die amerikanische Öffentlichkeit zum ersten Mal in der Geschichte wirklich damit konfrontiert werde, was die US-Politik damals zu tun versäumt hat.

Auch Anne Frank war betroffen

Das habe auch Anne Frank und ihre Familie betroffen. Ihrem eigenen Vater sei es 1937 noch gelungen, seine Angehörigen aus Deutschland herauszuholen, schilderte Gutmann. Bevor sie zu ihm in die USA einwandern konnten, mussten die Verwandten freilich zehn Jahre in Indien leben. Man dürfe nie sagen, dass das alles Geschichte sei, da Antisemitismus, Hass – unter anderem auf Flüchtlinge und die LGTBQ-Gemeinschaft – und Rassismus überall wieder erstarkten.

„Niemals wieder“, müsse die Maxime sein, betonte die Botschafterin. Die Hölle des Holocaust sei nicht plötzlich über die Menschen gekommen.

Wie war das möglich?

Margot Friedländer

Der Film ist voller erschütternder Szenen von Leichenbergen und vollkommen ausgemergelten Gefangenen bei der Befreiung der Konzentrationslager. „Wir haben es nicht für möglich gehalten, während es uns passierte“, ist ein Satz aus dem Film, der im Kopf bleibt. „Wie war das möglich?“, fragte auch Margot Friedländer im Anschluss. Bis heute spricht sie vor Schülern unermüdlich über das Leid, das sie selbst erlebt und gesehen hat.

Der künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, Rainer Rother, diskutierte nach der Vorführung unter anderem mit den Filmemacherinnen Lynn Novick und Sarah Botstein über die Kluft zwischen den Idealen der USA und der Realität. Der Dritte im Bunde, Ken Burns, verpasste wegen einer Covid-Erkrankung die Europa-Premiere.

Eigentlich sollte der Film erst 2023 fertig werden, aber nach dem Sturm auf das Kapitol habe man die Arbeit daran beschleunigt. Den Aufstieg der Parteien, die spalten, die Welt in „ihr“ und „uns“ aufteilen wollen, brachte ganz am Schluss auch Botschafterin Amy Gutmann noch einmal zur Sprache. Weil es in Wirklichkeit immer nur ein „Wir“ gibt und die Demokratie zwar nicht perfekt sein mag, es aber in jedem Fall wert ist, dass man um sie kämpft.

Gezeigt werden soll der berührende Film, der auch die Zerbrechlichkeit der Demokratie thematisiert, auf der ganzen Welt. In Deutschland laufen noch die Verhandlungen darüber, ob er ins Kino kommt und in welchem Sender er gezeigt wird.

Zu Wort kommen im Film neben Historikern auch Zeitzeugen, darunter Joseph Hilsenrath, der als Kind das Glück hatte, doch in die USA einreisen zu dürfen. Als er von dem Anblick der Freiheitsstatue erzählen will, kann er nicht weitersprechen, weil ihm nach all den Jahren immer noch die Tränen in die Augen treten.

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