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Verkehrsszene im Jahre 1898 in der Spandauer Straße/Ecke Eiergass in Mitte, ganz in der Nähe des Roten Rathauses und Nikolaiviertels.

© Hugo Rudolphy

Ausstellung im Märkischen Museum: Fontanes Berlin gestern und heute

Wie sah Berlin zur Zeit Theodor Fontanes aus? Eine Ausstellung zeigt Fotos aus den Tagen des Dichters und verbindet Romanzeilen mit heutigen Stadtansichten.

Die Lichtkünstler des heutigen „Festival of Lights“ in Berlin könnten den Prachtbau Unter den Linden wohl kaum besser illuminieren. Auf dem antik anmutenden Giebel strahlte ein Stern, die korinthischen Säulen des Entrees des Königlichen Opernhauses, der späteren Staatsoper, waren mit flimmernden Girlanden umwunden. Zu bewundern auf einer Fotografie des Lichtbildners Hugo Rudolphy vom 22. März 1897. Anlässlich der Feiern zum 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. wurden die Oper und das Berliner Schloss mit Tausenden Glühbirnen spektakulär beleuchtet. Rudolphy, einer der ersten Spezialisten für Nachtaufnahmen, hielt das mit seiner Plattenkamera enthusiastisch fest.

Ab Freitag sind seine Bilder sowie 130 weitere Berlin-Ansichten von zwölf fotografischen Pionieren des 19. Jahrhunderts im Märkischen Museum in Mitte zu sehen: im Rahmen einer neu eröffneten Ausstellung anlässlich „Fontane 200“, also des in Berlin und Brandenburg veranstalteten Jubiläumsprogramms zum 200. Geburtstag Theodor Fontanes. Aber was hat der Dichter mit den Fotografen zu tun? „Es gibt viele Parallelen, es geht um die gemeinsame Sicht auf den Wandel der Stadt“, sagt Kuratorin Ines Hahn.

Theodor Fontane verbrachte fast 65 Jahre seines Lebens in Berlin. Die Stadt und ihre Menschen faszinierten ihn, zumal sich die einstige königliche Residenzstadt in den Jahrzehnten bis zu seinem Tod 1898 rasant zur Metropole veränderte. Kein anderer Schriftsteller hat Berlin während dieser Epoche so minutiös und authentisch geschildert wie Fontane. Er schrieb – während seine fotografiebegeisterten Zeitgenossen den Wandel mit ihrem neuen Medium festhielten. Vergleicht man Literatur und Abbildungen, so wird rasch deutlich, wie Fontane sein Berlin poetisch verdichtet hat. Das ist die Idee der Schau: „Fontanes Berlin – Fotografien & Schriften/Fiktion & Wirklichkeit“.

Aber der Untertitel signalisiert bereits, dass sich die Stiftung Stadtmuseum Berlin, aus deren fotografischer Sammlung die Bilder stammen, für diese Ausstellung im Märkischen Museum noch mehr vorgenommen hat. Sie spannt den Bogen höchst gelungen in die Gegenwart – und sogar in die Zukunft. Um dies zu schaffen, bezogen die Kuratoren den 52-jährigen Berliner Fotografen Lorenz Kienzle sowie Schüler des Felix-Mendelssohn- Bartholdy-Gymnasiums in Prenzlauer Berg und der Kreuzberger Carl-von-Ossietzy-Schule in ihr Projekt mit ein.

Das illumierte Königliche Opernhaus.
Das illumierte Königliche Opernhaus.

© Hugo Rudolphy

Lorenz Kienzle war schon vor Jahren von Fontanes Erzählungen in den Bann gezogen worden. 2002 beschloss er, die literarische Beobachtungsgabe des Dichters mit einem fotografischen Langzeitvorhaben zu würdigen. Das sollte zugleich – ganz im Sinne Fontanes – den immerwährenden Umbruch der Stadt mit aktuellen Fotos dokumentieren. Da Kienzle zu den Fans der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie zählt und seine Filme klassisch in der Dunkelkammer belichtet, zog er bevorzugt mit seiner Großbildkamera zu Berliner und Brandenburger Schauplätzen von Fontanes Romanen los. Titel des entstandenen Bild-Zyklus: Tatort Fontane. Die Ansichten der gewandelten Orte, letztlich Bilder aus der heutigen Gründerzeit, ergänzt er mit passenden Textstellen aus den Romanen. Siebzig seiner Fotografien sind nun im Museum ausgestellt.

Beispiele? Vier Jugendliche stehen bei den Neuköllner Maientagen in der Hasenheide cool vor der „Juke Box No1“. Schon in Fontanes „Irrungen und Wirrungen“ ging es hier rummelig zu: „Rechts (...) zog sich ein Plankenzaun, über den hinweg allerlei Buden, Pavillons und Lampenportale ragten, alle mit einer Welt von Inschriften bedeckt (...) Fräulein Rosella das Wundermädchen, lebend zu sehen; Grabkreuze zu billigsten Preisen, amerikanische Schnellphotographie ....“

Jugendliche bei den Neuköllner Maientagen 2019 aus dem Bilder-Zyklus „Tatort Fontane“ von Lorenz Kienzle.
Jugendliche bei den Neuköllner Maientagen 2019 aus dem Bilder-Zyklus „Tatort Fontane“ von Lorenz Kienzle.

© Lorenz Kienzle

Oder werfen wir einen Blick auf Kienzles Foto vom Skelett des nahezu abgerissenen Palastes der Republik. Bis 1950 stand hier das vom SED-Regime gesprengte Berliner Schloss. Nun schon wieder ein Abbruch? Es kommt halt im Zeitlauf einer Stadt manchmal anders, als man denkt – und es Fontane ahnen konnte. Das spiegelt sich in der dazugehörigen Passage aus „Vor dem Sturm“: „Bernd trat an das Fenster und sah geradeaus über den Fluss hin, auf die gotischen, im hellen Morgenschein erglänzenden Giebel des hier noch mittelalterlich gebliebenen Schlosses. ,Das kann nicht über Nacht verschwinden’ sprach er vor sich hin.“

Und wie verfolgten die Jugendlichen beider Schulen Fontanes Spuren? Sie gestalteten als Junior-Kuratoren die Ausstellung mit. Sie lasen Romantexte, beschäftigten sich mit seinem Leben, streiften mit analogen und digitalen Kameras, angeleitet von Lorenz Kienzle, durch ihre Stadt, um sie aus Fontanes Sicht und zugleich mit heutigem Blick zu entdecken und Zukunftsvisionen zu entwickeln. Schließlich gestalteten sie in Schuhkartons eigene kleine Schauen zum Thema. Ihre ausgewählten Arbeiten bringen nun zusätzliche Inspirationen in die Schau. Da hängt eine großformatige Ansicht von Mitte mit dem dominanten Fernsehturm an der Wand. Quer darüber ist ein Fontanezitat gepinselt: „Manche Hähne glauben, dass die Sonne nur ihretwegen aufgeht.“

Doch zurück ins Berlin des 19. Jahrhunderts. Seit den ersten fotografischen Versuchen 1839 kam die neue Technik stürmisch voran. 1878 gab es bereits 186 fotografische Ateliers in der Stadt, meist spezialisiert auf Architektur-, Handwerks- oder Porträtabbildungen. Fast ausschließlich zogen Männer mit den Plattenkameras los, nur eine Frau machte sich im Team der damaligen Fotografen einen Namen: Marie Henriette Eleonore Lange, nach ihrer zweiten Heirat firmierte sie als Marie Pankow. Von ihr ist ein Bild der Villa von der Heydt in der Kolonie Alsen in Wannsee zu sehen.

Begleitet wird die Bilderschau von Original-Handschriften aus „Effi Briest“, „Frau Jenny Treibel“ und anderen Romanen. Das Märkische Museum besitzt seit 1902 alle erhaltenen Manuskripte, diese sind inzwischen komplett digital erfasst und sollen demnächst ins Netz gestellt werden. Fontanes Frau Emilie hatte die Übergabe des Nachlasses verfügt. „Das hat mein Alter so gewollt“, schrieb sie. „Damit keins der Kinder durch den Besitz (...) vor den Anderen bevorzugt wird.“

„Fontanes Berlin“, 20. September bis 5. Januar, Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, Dienstag – Sonntag, 10-18 Uhr, www.stadtmuseum.de/fontanes-berlin

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