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Berlin: Frau Goldfinger

Von Vivien Leue Lichtenberg.„Konzept ausgereift nicht unbedingt aber Programm schnell ausarbeiten Müller“ – so oder ähnlich sieht mal wieder die Mitschrift der Konferenz aus, und wer soll nun daraus schlau werden?

Von Vivien Leue

Lichtenberg.„Konzept ausgereift nicht unbedingt aber Programm schnell ausarbeiten Müller“ – so oder ähnlich sieht mal wieder die Mitschrift der Konferenz aus, und wer soll nun daraus schlau werden? Stirnrunzelnd sitzt man davor und wünscht sich, man hätte schneller mitgeschrieben. Dieses Problem kennt Jutta Wichmann nicht: Sie gehört zu den besten Stenografen der Welt. Am Wochenende hat sie ihre Zunft im nordrhein-westfälischen Breckerfeld abermals zur Deutschen Meisterin gekürt.

Mit insgesamt acht Deutschen Meister-Titeln und zwei Siegen bei Weltmeisterschaften kann sie sich nun schon schmücken. Dazu hat sich Wichmann im Akkord zwei DDR-Meistertitel erschrieben, die sie als Mitglied der Nationalmannschaft der Stenografen 1987 und 1988 einheimste. Die seit 1977 freiberuflich arbeitende Berlinerin gehört auch im Beruf zu den Besten: Nicht nur im Kulturbund, auch beim Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst der DDR (ADN) und bei der DDR-Volkskammer setzte sie Zeichen. Eines Tages war sie wegen eines West-Verwandten-Treffs in Polen politisch nicht mehr tragbar.

Heute geht sie nicht nur in den Landtagen ein und aus, auch im Gericht ist ihre Schnelligkeit gefragt. Die Leidenschaft für die flotte Schreibe packte Wichmann schon sehr früh: Bereits mit 14 erlernte sie ihr Handwerk und während andere sich zur Gymnastik trafen, dehnte Jutta Wichmann ihr Gehirn. Statt Muskelkater hatte sie am Abend Kopfschmerzen: Schnellschreiben erfordert höchste Konzentration.

Für die Gesellschaft für Stenografie und Maschineschreiben (GSM), der die DDR-Schreiber angehörten, bedeutete die Wende das Aus. Auch die Nationalmannschaft verschwand von Heute auf Morgen. Doch mit Hilfe ihres Mannes Rudolf – bis dato Trainer der Nationalmannschaft – gründete sie den Verein „stenomasch“, und bot so den Schreibwütigen ein neues Zuhause. Einige Jahre später gründete sie dann den Verein „Berliner Schreibfüchse“ für den sie seitdem so manche Medaille gewonnen hat. Denn immer noch besteht der Ehrgeiz der Vereinsmitglieder darin, im Sport des schnellen Schreibens auf der Maschine respektive im Steno zu den Weltbesten zu zählen. Nicht nur im Verein ist Wichmann gern gesehen, sie fühlt sich auch in Parlamenten, Gerichten oder auf Kongressen fast wie zu Hause. Bei der weiter sinkenden Zahl an professionell ausgebildeten Stenografen hat die freiberuflich arbeitende Berlinerin kein Problem, Aufträge zu bekommen. In Zeiten von Computern, Diktiergeräten und Video-Aufnahmen, verblasst die schwierige Kunst der Kurzschrift. Gute Stenografen werden teilweise händeringend gesucht. Denn die Kurzschrift bietet so manchen Vorteil: „Was Tonbandaufnahmen nicht mitschneiden können, das sind Gesten oder auch Zwischenrufe aus den hinteren Reihen. All’ das entgeht uns Stenografen jedoch nicht“, so Wichmann.

Darüberhinaus ist die Schnelligkeit professioneller Stenografen kaum zu übertreffen: Bis zu 400 Silben pro Minute können bei voller Konzentration mitgeschrieben werden. Zum Vergleich: Die Redegeschwindigkeit eines Nachrichtensprechers erreicht nur 280 S/Min. Um jedoch die Spitzengeschwindigkeit eines erfahrenen Stenografen zu erreichen, bedarf es Jahre regelmäßiger Übung. Das schreckt viele Leute ab: Nach einem Jahr erreicht ein Anfänger kaum mehr als 150 S/Min. Die Mitschrift der Tagesschau ist Anfängern somit noch nicht möglich. Um im Bundestag als Stenograf eine Anstellung zu bekommen, muss man mindestens 280 S/Min schreiben können – und zusätzlich noch ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen. Damit zeigt sich schon die wichtigste Eigenschaft, die ein angehender Stenograf mitbringen muss: Geduld und Disziplin. Voraussetzungen für spätere Spitzenleistungen formuliert Wichmann dagegen so: „Man braucht ein effizientes Kürzungssystem, eine disziplinierte Schrift und ein gutes Sprachgefühl“. Zugleich sei die Stenografie ein gutes pädagogisches Mittel, Konzentration und Sprachgefühl zu trainieren. Wer sich entschließt, deses Handwerk zu erlernen, kann im Internet Hilfe und Tipps bekommen.

Weitere Informationen unter:

www. steno-berlin.de

www.stenografenbund.de

www.ils.de

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