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Menschen sitzen in der Simon-Dach-Straße Ecke Boxhagener Straße in Berlin-Friedrichshain in Gaststätten.

© Jens Kalaene/dpa

Friedrichshain-Kreuzberg gegen Ballermann-Trend: Berliner Bezirk fordert Obergrenze für Kneipen

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will den Ballermann-Trend in seinen begehrten Kiezen stoppen. Der Baustadtrat lässt einen Kneipenbebauungsplan aufstellen.

Vierzig Jahre Buchhändler an der Reichenberger Straße 150. Klar, Klaus Gramlichs Literaturladen „Argument“ gehört zu diesem Kreuzberger Kiez wie die Graffiti an gründerzeitlichen Häusern nebenan. Doch in den vergangenen Jahren beobachtet Gramlich eine schleichende Veränderung . „Viele Mieter, aber auch kleine Läden des täglichen Bedarfs und Sozialinitiativen, die ich lange kannte, sind unter dem Druck zahlungskräftiger Zuzügler, Händler und Kneipen verschwunden“, sagt er. Der Exodus hängt mit der Aufwertung oder Gentrifizierung des Kiezes zusammen, ein Wandel, den Gramlich eher als Abwertung empfindet. Im Rathaus des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg sieht man das genau so. Deshalb lässt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) jetzt einen Kneipenbebauungsplan aufstellen, der eigentlich ein „Kneipenverhinderungsplan“ sein soll, wie er sagt.

Neue Genehmigungen sollen versagt werden

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte bereits im März 2016 darauf gedrängt, „die ausufernde Zunahme von gastronomischen Einrichtungen“ zu beschränken. Allerdings nicht nur in der Reichenberger Straße, sondern in allen entsprechend bedrohten Straßen von Kreuzberg und Friedrichshain. Es müsse eine gesicherte rechtliche Handhabe geschaffen werden, um Genehmigungsanträge für neue Kneipen zu versagen, heißt es in dem von der SPD initiierten Antrag.

Neue Lokale können mehr zahlen als kleine Händler

Begründet wird dies mit der typischen Entwicklung attraktiver Citykieze. Gutverdienende neue Mietinteressenten, Wohnungskäufer und Touristen entdecken die Gegend, das zieht teure Boutiquen, Ketten und besonders Kneipen aller Art an. Wohnungs- und Gewerbemieten schnellen hoch, „weil gerade die Gastronomie viel mehr zahlen kann als Kinderläden, kleinere Händler, Handwerker oder Sozialinitiativen“, sagt Stadtrat Panhoff. „Macht man aber künftig einem Hauseigentümer klar, dass Gastronomie nicht mehr zugelassen wird, dann überlegt er sich, ob er einer Kita die Kündigung schickt.“

Der Bezirk muss sich rechtlich gut absichern

Rechtlich ist das allerdings ein kompliziertes Terrain wegen der grundgesetzlich garantierten Gewerbefreiheit. Um vor Gericht zu bestehen, muss der Bezirk folglich einsichtige Argumente haben und überzeugend darlegen können, ab welcher Obergrenze das Kiezleben unwiederbringlich zerstört wird und letztlich der Kiez die Zeche zahlt. Um dafür gesicherte Daten zu schaffen, hat Stadtrat Panhoff nun ein Planungsbüro beauftragt. Es soll erst einmal am Beispiel Reichenberger Straße grundstücksgenau alle Lokale, Läden, Kitas und Einrichtungen sozialer Initiativen zu erfassen. Auf Basis einer solchen Studie könne man dann einen Kneipenbebauungsplan erstellen und nach diesem Testlauf eventuell ähnliche Grundlagen für weitere Gegenden schaffen.

In Heidelberg wird die Gastronomie schon ausgebremst

Vorbild ist ein entsprechender Kneipenbebauungsplan für die Heidelberger Altstadt. Dort werde der Ansturm von Gastronomie schon seit längerem erfolgreich gebremst, sagt Panhoff. Und warum hat er sich für sein Aufbegehren gegen den Trend zum „Ballermann“ nicht den Kneipen-Hotspot des Bezirks an der Friedrichshainer Simon-Dach-Straße ausgesucht? Dort sei nichts mehr zu retten, sagt der Stadtrat. „Dieser Kiez ist schon gekippt.“

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