Berlin: Full House an der Torstraße
Pokern, würfeln, Black Jack: Immer mehr Berliner suchen ihr Glück im Spiel In Clubs und Privatrunden treffen sie sich zum Zocken – oft illegal
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Olaf hat einen Lauf. Drei Spiele in Folge hat er beim Black Jack gewonnen, jetzt will er es wissen. Mit ruhiger Hand schiebt er den zulässigen Höchsteinsatz auf sein Spielfeld: zehn Euro in Ein-Euro-Münzen. Wenn sein Glück anhält, kann er die Summe verdoppeln. Mindestens. Wenn nicht, hat er verspielt, was er zuvor eingestrichen hatte. Der Croupier gibt sich selbst und jedem der fünf Spieler, die ihm an dem halbrunden Tisch gegenübersitzen, zwei Karten. Nach einem Blick auf sein Blatt entscheidet Olaf, sich eine weitere Karte geben zu lassen – und verliert. Er hat sich überkauft, wie es im Fachjargon heißt. Der Croupier zieht das Geld ein, Olaf geht an die Bar und holt sich erst mal ein Bier.
Etwa vierzig Männer und Frauen im Alter zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig haben sich an diesem Samstagabend in der weitläufigen, spartanisch eingerichteten Altbauwohnung auf einem Hinterhof an der Torstraße in Mitte versammelt. Die Verabredung lief per Mundpropaganda. Die einzige Bedingung: Dresscode. Die Frauen tragen elegante Kleider, einige von ihnen auch schwarze lange Handschuhe. Die Männer kommen in Anzug oder Smoking. Die Gäste wollen dem Glück, das ihnen in Aussicht gestellt ist, mit Stil begegnen. Fast alle Plätze an den insgesamt vier Spieltischen in dem großen Raum mit den hohen Fenstern sind besetzt. Es läuft Tango, die Musik mischt sich mit dem unaufgeregten Stimmengewirr.
Das Glücksspiel boomt in Berlin. Pokerschulen eröffnen, Clubbetreiber veranstalten Spieleabende. Parallel dazu treffen sich immer mehr Menschen in Clubs, Bars und Privatwohnungen zum Roulette, zum Würfelspiel Crabs oder zum Pokern. Es ist ihnen egal, dass das öffentliche Glücksspiel „verboten“ ist, wie der Leiter des Ordnungsamts Mitte, Harald Strehlow, bestätigt. Um Geld darf nur in staatlichen Casinos gespielt werden. Strafbar machen sich nicht die Teilnehmer, sondern die Veranstalter.
Auch die Gastgeber eines Pokerabends, nur wenige Blöcke von der Altbauwohnung auf der Torstraße entfernt, kümmert das wenig. Vor einem unscheinbaren Bau stehen ein paar Fahrräder, die Tür ist verschlossen. Man klopft, eine Frau in Stöckelschuhen und grünem Kleid, das aussieht wie ein T-Shirt, öffnet. In dem fensterlosen Raum sitzen junge Männer in Anzügen um Tische herum und starren auf die Karten, die vor ihnen liegen. Sie qualmen, was das Zeug hält. Hinter ihnen stehen Frauen mit Perlenketten, es läuft Charleston.
Das Ganze wirkt wie das Klischee eines Pokerabends aus dem Chicago der 1920er Jahre oder wie aus einem James-Bond-Film. Die 200 Gäste gefallen sich in der Gangsterpose. Mittendrin Christian, Lehramtsstudent. Das Spielfieber hat den 29-Jährigen vor Kurzem auf einer Pokerparty gepackt, die ein befreundeter Rechtsanwalt veranstaltet hatte. Seitdem spielt er online und hält die Augen nach öffentlichen Pokerabenden offen. Weil er zuletzt aber nur noch verlor, will er nun die Seiten wechseln: Er hat sich bei einem legalen Turnierveranstalter als Kartengeber beworben.
Ihm gegenüber wirft ein Mitspieler, ein bekannter Schauspieler, zwei Chips auf den Tisch, zusammen zehn Euro. Der Spieleinsatz, liegt nun bei mehr als 100 Euro. In diesem Moment schmeißt der Betreiber eines gut gehenden Cafés in Mitte die Karten hin. „Ich bin raus“, sagt er und geht. Es ist fünf Uhr morgens. Er muss bald seinen Laden aufmachen, um sein Geld legal zu verdienen.
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