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Engagierte pflanzen Blumen bei der AWO in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Gemeinsame Sache“ in Kreuzberg und Prenzlauer Berg: Die Freiwilligentage haben begonnen – ein Einblick in die Projekte

Bei der Aktionstagen ist viel los: Kinder protestieren gegen vermüllte Spielplätze, Senioren gärtnern in Kreuzberg und Obdachlose bekommen Schlafsäcke.

Es ist 10 Uhr morgens, vor dem Kiezladen vom Strassenfeger e.V. in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg tut sich etwas: Ein Pavillon wird aufgestellt, Stühle und Tische aus dem Laden geholt. 

„Wir vergeben heute insgesamt 80 Schlafsäcke an obdachlose Menschen“, erklärt Vereinsvorstand Samir Bonallagui. Dazu Lunchpakete mit Kakao, Wasser, Süßigkeiten, Vier-Fahrten-Karten von der BVG sowie Hygienepakete mit Mund-Nasen-Masken und Zahnbürsten. Bonallagui trägt mit den anderen Helfern auch Kleiderpakete zu den Klapptischen unter dem Zelt. Die Waren auf dem Ausgabetisch häufen sich.

Freitag ist der erste von zehn Freiwilligentagen „Gemeinsame Sache“, einer Kooperation von Tagesspiegel und Paritätischem Wohlfahrtsverband. Bis zum 20. September machen viele engagierte Berlinerinnen und Berliner bei 325 Aktionen mit – um zu helfen, Spaß zu haben, neue Menschen kennenzulernen. 

Eine Aktion ist die Schlafsackverteilung beim Strassenfeger. Anlass ist gleichzeitig auch der Tag der Wohnungslosen am 11. September. Seit über 25 Jahren setzt sich der Verein schon für wohnungslose Menschen ein: unter anderem mit einer Notunterkunft, einer „gesunden Übrigküche“ und dem Selbsthilfewohnhaus in der Oderberger Straße. 

Corona hat dem Verein zugesetzt. „Wir waren kurz vor der Schließung, auch weil viele Ehrenamtliche zur Risikogruppe gehören“, sagt Bonallagui. Es seien aber aus der Notlage heraus auch Freiwillige hinzu gekommen. 

Er gibt den Strassenfeger an wohnungslose Verkäuferinnen und Verkäufer aus

Sebastian Ulitzka engagiert sich schon länger: „Ich bin seit fünf Jahren Mitglied und hatte früher auch keine Wohnung“, erzählt er. Jetzt wohnt er in einer der günstigen Wohnungen, die vom Strassenfeger über ein Erbbauprogramm an Menschen ohne Wohnsitz vermietet werden. 

Er hat den Tresen im Kiezladen gebaut, an dem er mehrmals die Woche das Strassenfeger-Magazin an wohnungslose Verkäuferinnen und Verkäufer ausgibt – aktuell bekommt jeder 20 Exemplare kostenlos. 2018 pausierte die Zeitung, mit der sich Obdachlose etwas dazu verdienen können, jetzt ist sie wieder da.

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Heute baut Ulitzka das Zelt auf, kocht Kaffee. Die ersten Interessierten warten schon. Marek, 27, und Aleksandra, 24, haben von der Ausgabe bei der Bahnhofsmission am Zoo erfahren. Dann ist da noch der 69-jährige Cerilo, der schon viele negative Erfahrungen auf der Straße gemacht hat. Heute wartet er auf einen Schlafsack, den er dringend braucht. Bald wird es kälter.

30 Freiwillige harken Laub vom Rasen

An diesem Freitag zumindest ist es noch warm. Etwas südlicher, in der Kreuzberger Adalbertstraße, riecht der Garten des AWO Begegnungszentrums nach Erde. Etwa 30 Freiwillige harken Laub vom Rasen, setzen Blumen in Kästen, zwischendurch gibt es Saft und Kaffee. 

„Es ist die erste Aktion seit März, seit 20 Jahren treffe ich hier meine lieben Freunde. Das darf nicht verloren gehen“, findet Wolfgang Ball. Er leitet die Kochgruppe im Zentrum, die wegen Corona gerade nicht stattfinden kann. Bald wolle die Gruppe aber über Strategien sprechen, wie man sich weiter treffen kann. Das Begegnungszentrum ist nicht nur eine Anlaufstelle für Senioren, sondern für die ganze Nachbarschaft – Alteingesessene und Neuangekommene.

„Durch Begegnungen passiert ganz viel“

„Die Freiwilligenarbeit hat hier eine Tradition und wird immer wichtiger. Durch Begegnungen passiert ganz viel, sie rücken im Kopf Vorurteile gerade“, sagt die stellvertretende Leiterin Christiane Börühan. Außerdem baue das Begegnungszentrum auf Vernetzung im Kiez – wie bei der Gärtneraktion, in Kooperation unter anderem mit dem Bezirksamt und der Kolonie am Flughafen e.V. Zusammen ist man stärker, auch in der Krise.

Auch eine der Aktionen: Das RAW-Gelände in Friedrichshain für den Tag des offenen Denkmals schick machen.
Auch eine der Aktionen: Das RAW-Gelände in Friedrichshain für den Tag des offenen Denkmals schick machen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Weiter geht’s zur Cuvrystraße: Hier sitzen elf Kinder zusammen am Mittagstisch vom Kinderladen „Irgendwie anders“. Hinter dem Tisch und gegenüber vom Familien- und Nachbarschaftszentrum im Wrangelkiez liegt ein Spielplatz, der keiner mehr ist. Was sie vor dem Essen gemacht haben? „Den Spielplatz besetzt“, sagt eine Vierjährige. 

Eine angespannte Situation auf dem Spielplatz

Seit fünf Wochen machen die Aktiven von Kinderladen und Zentrum mit den Kindern auf die angespannte Situation aufmerksam: Die Spielgeräte fehlen, die Mülleimer quellen über, am Morgen wurde ein Drogenpaket gefunden. „Das ist ein Beispiel für viele Spielplätze im Bezirk“, sagt Esther Borkam, Leiterin des Zentrums.

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Auch das ist Engagement: Im Kinderladen und im Familienzentrum fühlt man sich vom Bezirk zu wenig unterstützt. Verantwortlich für die Reinigung sei das Grünflächenamt, doch die Reinigungskräfte, angestellt über Subunternehmen, bekämen gerade mal den Mindestlohn. Das müsse anders laufen, findet Borkam, vielleicht über die BSR wie im Görli. Da laufe es mit den Spielplätzen besser.

Es fehle an Sozialarbeitern

Außerdem fehle es an kostenfreien Toiletten sowie an Sozialarbeitern, die sich um wohnungslose Menschen und Drogenkonsumenten vor Ort kümmerten. 

Am 6. Oktober wird es zumindest einen Fachtag mit allen Beteiligten geben, berichtet Borkam. Sie hofft, dass dort endlich die Fäden zwischen Bezirk, Polizei, Begegnungszentrum und Kinderladen zusammengeführt werden. 

Die Kinder zumindest haben eine klare Haltung und die singen sie lauthals heraus, begleitet von Trommeln und Klanghölzern: „Wir wollen endlich wieder spielen!“

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