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Eine Menschengruppe steht um 1902 auf der Straße am neuen Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg

© Berliner Zeitung

Viktoria-Luise-Platz im Bayerischen Viertel: Gentrifizierung in Alt-Schöneberg

Das Dorf Schöneberg wächst um 1900 zur Stadt, Bauern werden Millionäre und am Viktoria-Luise-Platz entsteht ein neues Viertel für reiche Bürger - mit Hochbahn-Anschluss nach Berlin.

Das kleine Dörfchen Schöneberg am südlichen Rand der Reichshauptstadt war außerhalb Berlins lange den wenigsten bekannt. Allenfalls der um 1870 beliebte Schwank mit Gesang von Wilhelm Mannstädt mit dem Titel „Das Milchmädchen von Schöneberg“ hat den Flecken mit etwas Rahm bekleckert, von Ruhm zu reden, wäre wohl zu viel. Damals zählte das Dorf gerade 4500 Einwohner – um 1902 leben hier bereits 100 000 Menschen. Die Landwirte, die hier einst ihre Äcker bestellten und ihre Milchkühe weideten, sind zu „Millionenbauern“ geworden, nachdem sie ihre Felder als Bauland an Terraingesellschaften verkauft haben, die neue Quartiere für wohlhabende Bürger entwickeln. Im Rathaus Schöneberg am Kaiser-Wilhelm-Platz freut man sich über die steuerkräftigen Zuzügler, die Gemeinde erblüht mit dem Wohlstand ihrer Neubewohner. Seit 1898 ist Schöneberg gar eine eigenständige Stadt.

Die Zeitschrift „Berliner Leben“ zeigt im Januar 1902 den neuen Viktoria-Luise-Platz, den die „Berlinische Boden-Gesellschaft“ des Immobilienunternehmers Georg Haberland entwickelt hat. Die Randbebauung ist noch nicht vollendet, beim Straßenbild hat der Fotokünstler Georg Busse mittels Montagetechnik nachgeholfen und Passanten und Menschengruppen ergänzt. Die Szenerie erscheint so belebter, aber es soll zugleich beschaulich aussehen. Hier ist Platz für eine Plauderei mitten auf der Straße, wer würde das in Berlin wagen und dafür sein Leben riskieren?

„In weiser Voraussicht, dass ihr Ort dazu bestimmt sei, einem erwählten und vornehmen Publikum seine Thore zu erschließen, haben die Väter der Stadt von Anfang an dahin gewirkt, ihren Straßen und Bauten den Stempel des Modernen und Vornehmen aufzudrücken“, schreibt die Zeitschrift. Und schwärmt von den „mit entzückenden Beeten und Hecken besetzten Gartenanlagen“, in deren Zentrum „ein prachtvoller Springbrunnen seine Wassermassen in die Luft schleudert“. Seine Majestät der Kaiser habe den „siegreichen Entwurf“ des Landschaftsgärtners Fritz Encke „mit dem eigenhändigen Vermerk ,sehr geschmackvoll‘ versehen“.

Der Autor ist angetan von der „wohltuenden Eleganz“ der Straßenbildes. „Die Gebäude, bei deren Bau sich die bedeutendsten Architekten bemüht haben, etwas wahrhaft Schönes hervorzubringen, sind fast alle mit Vorgärten versehen und dienen nur Wohnzwecken, da das Anbringen von Läden hier grundsätzlich untersagt ist. Es sind hochherrschaftliche Häuser, deren Inneneinrichtungen den glänzenden Façaden nicht nachstehen. Alles, was Luxus, Schönheit und Behaglichkeit nur immer erfordert, ist dem Mieter geboten“. Die neuen Teile Schönebergs seien „gewissermaßen ein ‚Buon retiro' aller derjenigen Glücklichen geworden, denen ihr Einkommen es ermöglicht, sich mit dem denkbarsten Komfort zu umgeben“.

Zu diesen Annehmlichkeiten gehören „vornehme Restaurants“ und die Nähe „zur jetzt fertiggestellten elektrischen Hochbahn“, die es gestattet, „in wenigen Minuten das Weichbild der Stadt Berlin zu erreichen“, um „ohne Beschwerden und Umstände die Berliner Theater und Konzerte zu besuchen“ – ans Bureau wollen wir hier nicht denken. Dafür an die Kinderlein, die hier ein „Reform-Gymnasium, verschiedene höhere Töchterschulen und eine Mittelschule“ zur Auswahl haben. Außerdem wird die „Errichtung zweier Realgymnasien und einer Realschule für die nächste Zeit in Aussicht genommen“.

Berlin wächst. Und verdrängt wird dafür niemand. So schön war damals Gentrifizierung.

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