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Berlin: Grenzschützer und Betonköpfe Gerichtszeichnerin begleitete Mauerprozesse

Als die Mauer gebaut wurde, heute vor 43 Jahren, war Marina Prüfer sechs Jahre alt. Sie wuchs im Schatten des steinernen Monstrums auf, entkam ihm eines Tages und kehrte zurück, als der Eiserne Vorhang zerrissen war.

Als die Mauer gebaut wurde, heute vor 43 Jahren, war Marina Prüfer sechs Jahre alt. Sie wuchs im Schatten des steinernen Monstrums auf, entkam ihm eines Tages und kehrte zurück, als der Eiserne Vorhang zerrissen war. Doch die Geschichte ging weiter: Der „antifaschistische Schutzwall“ sollte noch einmal eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen – als sie jenen ins Auge sah, die für das Funktionieren der „Staatsgrenze West“ zuständig waren: Politiker und Grenzwächter einer DDR, die es nicht mehr gab.

„PR – Kunst + Coaching“ steht auf der Visitenkarte der Künstlerin. Hier, in der Pariser Straße in Wilmersdorf, wo Galerien, Kunstwerkstätten und Buchgeschäfte um die Gunst der Flaneure werben, fühlt sie sich wohl – und hat allerlei zu bieten: Neben Landschaften, Porträts, Plastiken auch Zeichnungen, die einem bekannt vorkommen: mal rasch aufs Papier geworfene Gesichter, mit Kommentaren ergänzt, mal Karikaturen, die mehr sind als Illustrationen einer Handlung.

Martina Prüfer war Pressezeichnerin. Sie saß bei den Prozessen gegen die Mitglieder des SED-Politbüros und ihren Chef, Erich Honecker, im Saal des Landgerichts in Moabit. „Die saßen normal im Saal, und uns Pressezeichnern haben sie die Plätze in der mit schusssicherem Glas versehenen Kabine zugewiesen“, sagt sie. Prüfer ging zweimal in der Woche ins Gericht, füllte von 1992 bis 1996 sieben Skizzenbücher mit etwa 700 Zeichnungen. Einen Teil davon zeigt eine Ausstellung, die heute um 18 Uhr im Dokumentationszentrum Berliner Mauer eröffnet wird.

Die Malerin empfand Erich Honecker, schon von Krankheit gezeichnet, als „würdevollen alten Herrn“, den SED-Chef von Suhl, Hans Albrecht, als verschlafen, die Mauerschützen als junge Befehlsempfänger, während ihr oberster Kriegsherr „sehr deutsch und bürokratisch exakt“ seine Arbeit gemacht hat. Dieser Chef des Hauptstabes der NVA, Generaloberst Fritz Streletz, wurde einmal nach der Verhandlung von der Malerin gefragt: „Was hätten Sie eigentlich mit mir gemacht? Ich bin abgehauen!“ Streletz wurde weiß im Gesicht. „Später“, sagte er, „sprechen wir darüber“.

Marina Prüfer hat Berlin 1976 über die Transitautobahn mit ihrem Sohn im Kofferraum verlassen. Im Westen fand sie Arbeit, feierte ausgerechnet am 13. August 1988 ihre erste Ausstellungseröffnung in Zürich: „Ich hatte die DDR abgeschlossen – die war irgendwo.“ Dann ging die Mauer auf. Zurück! Berlin! Heimat! Und dort begannen die Politbüro- und Mauerschützenprozesse. Die Verhandlungen, sagt Prüfer, waren Blicke ins Niemandsland der deutschen Geschichte, von der es kein Entkommen gibt.

Die Ausstellung „Gerichtszeichnungen“ ist bis zum 26. September, mittwochs bis sonntags von 10 Uhr bis 17 Uhr, im „Dokumentationszentrum Berliner Mauer“ in der Bernauer Straße 111 (Wedding) zu sehen. Der Eintritt ist frei.

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