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Blick über die Skyline von Berlin.

© Kitty Kleist-Heinrich

Großrecherche zu Wohneigentum in Berlin: Wem gehört Berlin?

Keiner hat einen Überblick, wem die Häuser der Hauptstadt gehören. Der Tagesspiegel und Correctiv wollen es herausfinden. Gemeinsam mit den Bürgern.

Als das Haus von Sven Fischer in der Kopenhagener Straße 46 verkauft wurde, begann für ihn ein Spießrutenlauf. Neuer Eigentümer war die Christmann-Gruppe. Laut zahlreichen Berichten bekannt dafür, Häuser aufzukaufen, teuer zu sanieren und in Eigentumswohnungen umgewandelt zu verkaufen.

Sie schickten Fischer Mieterhöhungsankündigungen aufgrund energetischer Modernisierungen und „Wohnwertverbesserung“. Eine Bauplane wurde um das Haus gewickelt, erzählt er. Monatelanger Baulärm. Überall Staub und Schutt. Dann der Gipfel: Der Schornstein des Hauses war abgerissen worden und zusätzlich mit Brettern abgedeckt. „Es war reines Glück, dass niemand zu Schaden kam“, sagt er. Heizen konnte er die nächsten Wochen nicht mehr. Fischer kann die Gerichtsunterlagen zeigen, die belegen, dass der Bauleiter später wegen Baugefährdung dafür verurteilt wurde.

„Entmietungsstrategie“ nennt Fischer das. Heute sind er und seine Familie die letzten Mieter im Haus. Er zahlt zweieinhalbmal so viel Miete wie vor dem Verkauf. Ein aktuelles Gerichtsurteil hat gerade die Unrechtmäßigkeit dieser Erhöhung bestätigt. Zahlen musste er so lange trotzdem.

Die anderen 30 Parteien im Haus gaben auf, erzählt er. Fischer wehrte sich, bestritt dutzende Gerichtsverfahren, erhielt mehrfach fristlose Kündigungen und Räumungsklagen. Als er mit der Presse spricht, erhält er eine Strafanzeige wegen Verleumdung. Sie wird später eingestellt. Die Christmann-Unternehmensgruppe ist für eine Stellungnahme zu dem Fall nicht erreichbar.

Leerstand und Wohnungsnot

Trotz aller Strapazen hat Fischer einen großen Vorteil: Er kennt seine Gegner jetzt. Im Gegensatz zu vielen Mietern in Berlin. Das ist der Anlass zur Großrecherche Wem gehört Berlin?.

Vor zehn Jahren brach die Investmentbank Lehmann Brothers unter der Last dubioser Kreditverbriefungen zusammen und hätte fast das globale Geldsystem mit in den Abgrund gerissen. Seither gilt die deutsche Metropole als rettendes Ufer für das von der Lehmann-Pleite verschreckte Kapital. Die Forscher des Urban Land Institute setzten Berlin im Ranking der europäischen Investitionsstandorte auf den ersten Platz. Die weltweit führende unabhängige Immobilienberatungsgesellschaft Knight Frank sieht die Hauptstadt sogar global an der Spitze.

Weil Wohnungen hier billig sind. Und weil Wohnungen gefragt sind. Denn die Stadt wuchs im letzten Jahrzehnt. Am Anfang, weil es schick war, „einen Koffer in Berlin zu haben“. Dann, weil Start-Ups und Kreative die Brachen und billigen Büros liebten. Studenten kamen, weil die Unis Exzellenzcluster bildeten und sie hier die besten Clubs fanden. Menschen aus Syrien und Nordafrika kamen, weil sie fliehen mussten. Die Finanzkrise brachte weitere Neuberliner. 20.000, 30 000, sogar 60.000 Berliner mehr pro Jahr. Sie alle brauchen Wohnungen. Doch die Politik reagierte in der Mieterstadt, wo mehr als 80 Prozent aller Haushalte zur Miete leben, viel zu spät.

100.000 Wohnungen stünden leer, hatte die Senatorin für Stadtentwicklung in der Ära Wowereit stets wiederholt. Erst Rot-Rot-Grün gab zu, dass die Baupolitik keine war. Vielmehr waren die Verhältnisse dem Zufall des Marktes überlassen.

Die Gier der Spekulanten und die Angst der Mieter treiben indes Blüten in den Straßen: Deutlich illustriert das der Fall der niederbayerischen Firma ALW/BOW. Rund sieben Jahre zogen sie durch Berlin und kauften an die 40 Miethäuser in Kreuzberg und anderen zentralen Lagen. Viele betroffene Mieter klagten über dasselbe Muster: Modernisierung und Drangsalierung. Abmahnungen wegen einer Topfpflanze im Flur oder anderen „nichtigen Vorwänden“, mit dem Ziel zu „entmieten“. Eine Betroffene berichtete, wie über Nacht ein Balkon an die Fassade vor ihrer Wohnung montiert wurden, der nur von einem Küchenfenster aus zu betreten war.

Modernisierung geht immer. Vor allem dieser Tage, wo die Zinsen für Baugeld im Keller sind. Belohnt werden die Maßnahmen vom Staat: Hauseigentümer dürfen die Miete kräftig erhöhen, um elf Prozent der Kosten. Das kann den Druck zusätzlich erhöhen und führt nicht selten zur „Entmietung“. Altmieter zahlten 2017 immer noch gut halb so viel (laut Mietspiegel 6,39 Euro) wie der neue Mieter einer freien Wohnung (rund 11 Euro). Wer diese Lücke durch den Austausch der Mieterschaft schließt, verdoppelt seine Einnahmen.

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© Tsp/Klöpfel

Protest gegen "Mietenwahnsinn"

Solche Strategien werfen Mieterschützer sogar großen Konzernen wie der Deutsche Wohnen mit hunderttausend Wohnungen in Berlin vor, was der Konzern zurückweist.

Aber das alte Berlin verschwindet nicht ohne Häuserkampf, der nun in vollem Gange ist. ALW/BOW-Mieter von 40 verschiedenen Häusern vernetzten sich, machten ihre Fälle öffentlich, mobilisierten Politiker – und erreichten wenigstens so viel: Die niederbayerischen Spekulanten gaben auf und verkauften. Nicht die Häuser an die Bewohner, zum Beispiel der Reichenberger Straße 55, die dafür kämpft. Verkauft wurden die kompletten BOW-Firmen steuerfrei als „Share Deal“. Um die acht Millionen Euro entgingen dem Land Berlin. Eine Gesetzeslücke macht das möglich und heizt die Spekulation noch an. Jetzt haben die Mieter einen neuen Gegner: die Aktiengesellschaft Deutsche Wohnen.

Immer mehr protestieren: Gegen die BOW, für den Kotti, es sind Häuser und Straßen-Initiativen, sie vernetzen sich, veranstalten den „Alternativen Wohngipfel“, gehen zu Tausenden auf die Straße gegen den „Mietenwahnsinn“. Den Spekulanten, die intransparent halblegale „Sanierungskonzepte“ abwickeln, erschweren sie das Geschäft. Dieser „Lästigkeitsfaktor“ führte zum Rückzug der vermögenden Familie hinter der BOW. Und auch die Deutsche Wohnen schlug zuletzt sanftere Töne an, gibt sich gesprächsbereit.

Längst wird der Konflikt nicht mehr, wie früher, zwischen Mietern und Politik ausgetragen. Die Politik setzt Erhaltungssatzungen durch, die in Friedrichshain-Kreuzberg den Mietenanstieg dämpfen und die Verdrängung von Geringverdienern bremsen sollen. Der Bezirk übt sein Vorkaufsrecht aus, wenn Häuser auf dem Markt sind, kommt den Spekulanten zuvor, macht Druck auf Bauherren wie die Gröner-Gruppe am Halleschen Ufer, mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen.

Transparenz wirkt

Transparenz wirkt. Wer weiß, mit wem er es zu tun hat, erfährt mehr über dessen Geschäftsmodell und durchschaut die Strategien. Doch beileibe nicht bei jedem Haus und jedem Grundstück sind die Eigentumsverhältnisse leicht zu durchschauen. Auf dem Immobilienmarkt wird auch Geld aus zweifelhaften Geschäften gewaschen: 77 Immobilien beschlagnahmte die Justiz im Zuge ihrer Ermittlungen gegen einen kriminellen Clan in Berlin. Ein Einzelfall, der das Ausmaß der Schwarzgeldflüsse nicht ansatzweise aufzeigt: Eigentumsverhältnisse sind verborgen in komplexen Gebilden aus verschachtelten Firmen, untereinander verbunden und getragen von Firmen, Investmentbankern und Fonds mit Sitz in legalen Steueroasen mit striktem Bankgeheimnis: Zypern, Liechtenstein, Luxemburg. Wer weiß schon, wer sich hinter solchen Briefkastenfirmen verbirgt?

Der Kampf um Transparenz, um ein offenes Register an Stelle des nur bei „berechtigtem Interesse“ zugänglichen Grundbuchs, ist inzwischen auch auf der politischen Agenda. Es könnte die Regulierung des Marktes erleichtern. Und verantwortungsvolle Hauseigentümer müssten weniger damit kämpfen, mit verantwortungslosen Immobilienspekulanten in einen Topf geworfen zu werden. Deswegen wollen der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV Transparenz in diesen Markt bringen.

Alle Berlinerinnen und Berliner sind eingeladen mitzurecherchieren und den Eigentümer ihrer Wohnung mitzuteilen. Oft steht hinter der Hausverwaltung, auf dem Mietvertrag zwar eine anonyme Firma. Es gibt aber Wege, den eigentlichen Eigentümer herauszufinden. Dafür ist ab sofort die Bürgerrecherche-Plattform wem-gehoert-berlin.de erreichbar. Ziel ist es nicht, wahllos Eigentümerlisten zu veröffentlichen. Berichtet wird nur, wenn ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit vorliegt. Ziel ist es, gemeinsam die Eigentumsstrukturen Berlins aufzuklären. Nicht gegen einige – sondern für alle.

Schwarmrecherche

DIE KOOPERATION
Das Projekt „Wem gehört Berlin?“ ist eine Kooperation der Tagesspiegel-Redaktion mit CORRECTIV. Journalisten beider Redaktionen arbeiten dabei für fünf Monate zusammen. Correctiv ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum in Deutschland. Die Journalisten arbeiten unabhängig und nicht-gewinnorientiert. Sie finanzieren sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Mehr unter correctiv.org

DIE BÜRGERRECHERCHE
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