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Die Berliner Unternehmerin Tijen Onaran.

© Andrea Heinsohn Photography

Gründerin setzt sich für Frauen in der Wirtschaft ein: „Ich wollte mir nicht von irgendeinem Besserwisser das Wort abschneiden lassen“

Mit 20 kandidierte Tijen Onaran für die FDP – und gründete später „Global Digital Women“. Das Unternehmen will die Wirtschaft diverser machen.

Es gibt diesen bekannten Song von Jennifer Lopez, „Jenny From The Block“, in dem heißt es: „I'm still, I'm still Jenny from the block, used to have a little, now I have a lot…“ Und auch, wenn er nicht ganz zutrifft, da Tijen Onaran weder in der Bronx noch sonstwo in schwierigen Verhältnissen, sondern wohlbehütet in Karlsruhe aufgewachsen ist, so trifft er dennoch ein bisschen zu: Vor allem, wenn sie zurückschaut auf den Beginn ihrer Karriere.

Denn wie „Jenny From The Block“ habe sie sich gefühlt, als sie sich als Jugendliche das erste Mal politisch engagieren, etwas bewegen wollte, und sich im Kreisverband bei den Jungen Liberalen dem gegenüber stehen sah, was man wohl landläufig als „personifiziertes Klischee“ bezeichnet: Weiße, junge Männer in Poloshirts und Segelschuhen, die sich kaum voneinander unterschieden in Aussehen und Sprache und ihr bei den regelmäßigen Treffen mehr oder weniger subtil zu verstehen gaben, dass sie, die junge Frau, eigentlich keine Ahnung habe.

Tijen Onaran, heute 36 Jahre jung, blieb jedoch damals. „Ich wollte mir nicht von irgendeinem Besserwisser das Wort abschneiden lassen und dachte: Jetzt erst recht“, sagt sie.

Es hat sich gelohnt, Tijen Onaran hat eine Menge erreicht: Sie zählt zu den bekannteren Frauen in der deutschen Wirtschaft. Sie hat in Berlin nicht nur das Unternehmen Global Digital Women (GDW) gegründet, das mittlerweile mit mehr als 30.000 Frauen aus rund 20 Ländern im Austausch ist und wo sich vornehmlich Frauen aus Digitalberufen vernetzen und für Diversität und Inklusion stark machen.

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Sie moderiert auch den wöchentlichen Podcast „How to hack“ des Magazins „Business Punk“, ist Buchautorin, Kolumnistin und Rednerin für Themen „Female Empowerment“, Diversität und überhaupt Kommunikation und Sichtbarkeit im weitesten Sinne.

Wieso sie so viel Selbstbewusstsein hatte, sich durchzusetzen im badischen Karlsruhe, wo es doch „sehr konservativ“ zuging, wie Onaran sagt? Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil ihr Vater sie schon früh bestärkte: Mach Dich nie abhängig von anderen, auch nicht von der Meinung anderer über Dich! Aus der Türkei zum Studium nach Deutschland gekommen, habe er selbst damals mit den üblichen Klischees über Einwanderer zu kämpfen gehabt.

Berlin Wirtschaftsfrauen
Berlin Wirtschaftsfrauen

© Illustration: Pedro Santos/TheNounProject; Tsp

„Bildung war extrem wichtig für meinen Vater“, sagt Tijen Onaran. Die Mutter – sie stammt aus einer klassischen Gastarbeiterfamilie – und der Vater hätten sehr darauf geachtet, dass ihre Tochter ihren eignen Weg geht. Dass sie auf einem katholischen Mädchen-Gymnasium landete, sei vor allem dem Umstand geschuldet gewesen, dass dort Nachmittagsbetreuung angeboten worden war.

„Meine Eltern haben sehr viel gearbeitet, sie wollten, dass ihre Tochter gut versorgt war nachmittags, auch mit Hausaufgabenbetreuung“. Auf dem Mädchen-Gymnasium hat sie ein weiteres Mal die Erfahrung eines starken Vorbilds gemacht.

Die Schuldirektorin habe den Mädchen von Anfang an gesagt: Es gibt nichts, was ihr nicht werden könnt! Große Probleme hatte sie in ihrem Umfeld nie aufgrund ihrer Herkunft, sagt Tijen Onaran.

„Man merkt, dass Sie nur Türkisch reden mit Ihrem Kind“ – ein Vorurteil

Nach kurzem Nachdenken fällt ihr doch eine Episode ein: Zwar sei sie extrem gut in Deutsch gewesen, doch eines Tages habe eine Referendarin ihr eine Fünf im Aufsatz gegeben – angeblich das Thema verfehlt. „Man merkt, sie sprechen nur Türkisch mit ihrem Kind“, habe die Frau der Mutter, die deshalb in der Schule erschienen war, als Erklärung für die Note geliefert. „Ein klassischer Fall von Vorurteil“, sagt Onaran.

Ohne irgendetwas Näheres zu wissen, sei die Referendarin davon ausgegangen, dass ein Kind, deren Eltern aus der Türkei kommen, das Thema nicht richtig versteht. Am Ende sei die Referendarin erstaunt gewesen, wie offen, liberal und weltgewandt Onarans Mutter auftrat; die Note hat sie nach oben korrigiert.

Nach dem Abitur beginnt Tijen Onaran Politik, Geschichte und Öffentliches Recht in Heidelberg zu studieren; wenig später hängt ihr Konterfei auf sämtlichen Plakaten: Tijen Onaran kandidiert 2006 für die FDP bei den Landtagswahlen, knapp 21 ist sie da. „Ich wurde gefragt, ob ich mir das vorstellen kann“, erzählt sie. Es sei auch eine gewisse Naivität gewesen damals, die dazu beigetragen habe, dass sie sich darauf einlässt.

Den Einzug in den Landtag schaffte sie nicht, lernt aber, sich stark zu machen für Themen

Den Einzug in den Landtag schafft sie nicht. Doch die Erfahrung selbstbewusst aufzutreten, sich für Themen stark zu machen, die konnte ihr keiner mehr nehmen. Sie bleibt der Politik zunächst verbunden, leitet einige Jahre für die damalige Europa-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin das Wahlkreisbüro in Karlsruhe. 2009 unterstützt sie den damaligen Parteichef Guido Westerwelle im Wahlkampf, managt die Social-Media-Aktivitäten.

Anschließend ist sie ein Jahr lang unter dem damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff im Bundespräsidialamt tätig, „interkultureller Dialog und Integration“ ist ihr Aufgabengebiet. Danach bewegt sie die große Frage: Weiter machen in der Politik?

Nochmal kandidieren oder raus aus den ganzen internen Machtspielchen, die sie in den Jahren ihrer politischen Arbeit schon sehr deutlich mitbekommen habe. Sie entscheidet sich für den Ausstieg aus der Politik, lebt mittlerweile ganz in Berlin und wechselt 2014 zum von Männern dominierten Verband der Automobilindustrie.

Binnen kurzer Zeit entsteht aus dem Stammtisch ein riesiges Netzwerk und dann ein Unternehmen

Warum sie dort nicht lang blieb? „Ich kam nicht weiter“, sagt Tijen Onaran. Es sei eine tradierte Branche gewesen, „ich mit meiner agilen Art stieß extrem an Grenzen“, beschreibt sie ihre Sicht auf die Dinge.

Auch anschließend beim Händlerbund hält es sie nicht lang. 2018 aber entsteht etwas, was genau das ist, was sie immer wollte: Aus einem Stammtisch-Treffen, das sie in einem Restaurant am Gendarmenmarkt mit „interessanten Frauen aus Wirtschaft, Politik und Medien“ organisiert wird binnen kurzer Zeit ein riesiges Netzwerk: 1000 Frauen habe sie schon ganz bald darauf in ihre Excel-Tabelle eingepflegt.

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So entsteht ihr Unternehmen „Global Digital Women“ (GDW), das sich der Frage widmet: Wie können Unternehmen und die Wirtschaft diverser gemacht werden? Anfangs noch mit wenigen Partnern war alles auf Berlin begrenzt, nun veranstaltet GDW von Berlin aus Netzwerkevents in der ganzen Welt rund um die Themen „Diversity, Equity und Inclusion“, wie es in der Selbstbeschreibung des Unternehmens heißt.

„Ich habe mir meinen Job kreiert“, sagt Onaran, die längst nicht mehr bei den Veranstaltungen dabei ist, sondern ihren 15 Kolleg:innen die Koordination überlässt. Das Ganze funktioniere nur so gut, weil ihr Ehemann auch an der Spitze von GDW arbeitet. „Er ist der Innenminister, ich bin die Außenministerin im Unternehmen.“ Sie ergänzten sich gut. Er habe Talente, die sie nicht habe und umgekehrt. Eine ihrer frühen Erkenntnisse lautet: Karriere beginnt mit der Partnerwahl.

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