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Halbzeit für Schwarz-Rot in Berlin: Es braucht eine neue Vision für die Stadt
Es wäre schön, wenn in Berlin wenigstens die Basics funktionieren würden – so der Regierende Bürgermeister kürzlich. Doch davon ist die Stadt nach knapp zwei Jahren Wegner-Senat weit entfernt.

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Der Regierende Bürgermeister hat seine Vision für Berlin kurz vor Weihnachten kundgetan: „In Berlin müssen die Basics funktionieren.“ Was für eine Aussage. Man könnte sie als politische Insolvenz bezeichnen, als Bankrotterklärung für eine Stadt, die alles hätte sein können und nun nichts mehr werden möchte. Deren Ambitionen nur noch darin bestehen, den Verfall zu stoppen.
Und selbst das gelingt ihr nicht: Überall Vermüllung und Verrohung, Dysfunktionalität von Bürgeramt bis Bildung, die Galeries Lafayette haben die Flucht ergriffen, das KaDeWe ist insolvent und die BVG kommt auch nicht mehr. Dabei gibt Berlin so viel Geld aus wie nie zuvor.
Zu diesem Gefühl passt, dass sich gerade mal wieder die halbe Republik kaputtlacht über den Zustand dieser Stadt. In der „FAZ“ sind zwischen den Jahren gleich zwei vernichtende Texte über Berlin erschienen. „In Deutschland kommt dem Regierungssitz keinerlei wirtschaftliche, rechtliche, religiöse oder kulturelle Bedeutung zu, die ihm einen Vorrang gegenüber anderen Städten einräumt“, schreibt Herausgeber Jürgen Kaube. In Berlin werde „das Einkommen ausgegeben, das andernorts erzielt wird“. Und selbst die Pforzheimer Zeitung fragte im Dezember „Ist Berlin bald nicht mehr sexy?“. Einige hätten da bereits das „bald“ gestrichen.
Ja, es ist schwierig, Optimismus zu entwickeln angesichts der schwarz-roten Halbzeitbilanz. Kai Wegners fantasieloser Basissatz ist nicht viel mehr als eine Zustandsbeschreibung.
Es wäre schön, wenn in Berlin wenigstens die Basics funktionieren würden. So hat er es gemeint. Doch davon ist die Stadt nach knapp zwei Jahren Wegner-Senat weit entfernt. Kein Wunder, schließlich hatte der Regierende schnell konstatiert, er habe sich so manches „einfacher vorgestellt“. Hätte er öfter mal in den Checkpoint schauen sollen.
Im Ernst: Manches ist angeschoben. Das Schneller-Bauen-Gesetz wurde vorsichtig positiv aufgenommen von der Branche, die Wohnung kann man nun digital anmelden, manche Kitas suchen nach Kindern, nicht umgekehrt. Und im Senat wird nicht mehr gestritten.
Diese zaghaft positiven Ansätze allerdings sind zuletzt komplett überlagert worden von einem Problem, das sich der Senat erst selbst geschaffen hat, um es dann schlecht zu lösen: Absichtlich viel zu viel Geld einzuplanen, um es dann in einem schmerzhaften Prozess wieder herauszusparen – das war mindestens kommunikativ ein großer Fehler. Kurz vor Weihnachten wussten viele Projekte, Mitarbeiter, Schulleiterinnen noch immer nicht, wie viel Geld sie ausgeben dürfen. Oder ob es ihren Job am 1. Januar noch gibt.
Und hinterm Vorhang raunt man: Auf Berlin kann man sich nicht mehr verlassen. Natürlich stimmt das nicht. Doch sowas setzt sich schnell fest.
Anke Myrrhe, Stellvertretende Chefredakteurin und Checkpoint-Autorin
Diese Debatten hängen über Berlin wie die dicken grauen Wolken. Um da etwas Licht hineinzubringen, hätte es einen visionäreren Satz des Regierenden Bürgermeisters gebraucht. Eine neue Erzählung für diese Stadt, Zuversicht, Hoffnung – das ist es, wonach sich viele Menschen sehnen. Kaum eine Stadt verändert sich derart schnell, braucht fast täglich Antworten auf neue Probleme. Wer nur Phrasen liefert, lässt alle Fragen offen.
Stattdessen ist das beherrschende Thema auf den Neujahrsempfängen, dass Berlin nun auch noch am einzigen spart, was hier unumstritten Weltrang hat: Kultur und Wissenschaft.
Wegner hat das nicht kommen sehen. Es will es gern allen recht machen, kümmert sich ums große Ganze, hat die Exceltabelle mit den Streichposten den Fachpolitikern überlassen. Als er verstand, welche Signale davon ausgehen, war die komplette Kulturszene schon auf der Straße und Wegners Umfragewerte im Keller.
Und hinterm Vorhang raunt man: Auf Berlin kann man sich nicht mehr verlassen. Natürlich stimmt das nicht. Doch sowas setzt sich schnell fest.
Dabei gibt es einiges, worauf man sich verlassen kann: Der Wille, die Sicherheitslage in dieser Stadt nun wirklich zu verbessern, bleibt hoffentlich nicht nur am Görli-Zaun hängen. Wegners Haltung gegen Antisemitismus und Homophobie ist ebenso klar wie sein Bekenntnis zu Minderheiten. Das hat ihm viel Aufmerksamkeit gebracht, auch international.
Doch allein daran, ob sich die Stadt auch sicherer anfühlt in zwei Jahren, wird seine erste Amtszeit bewertet werden – oder die letzte gewesen sein.
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