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Gefühl gesucht. Wo ist die friedliche Koexistenz vom Görlitzer Park? P. R. Kantate, der den Park mit seinem Song „Görli Görli“ besang, sieht sie nicht mehr.

© Kitty Kleist-Heinrich

Görlitzer Park in Kreuzberg: „Hier denkt jeder, dass er der König ist“

Er hat einst den Görlitzer Park besungen und erkennt hier heute noch Reste des alten Flairs. Doch inzwischen ist der Musiker P. R. Kantate von den Zuständen genervt – als Vater und Kreuzberger. Ein Rundgang.

Manches ändert sich nie, auch nicht im Görlitzer Park. Die Frage etwa: Heißt die Vertiefung in der Mitte des Parks Kuhle oder Mulde? Der Reggae-/Dancehall-Musiker P. R. Kantate plädiert für Mulde – auch wenn er in seinem Sommerhit „Görli Görli“ von 2003 ganz bewusst gesungen hat: „In der Kuhle oda Mulde im Görli“. Er sei da diplomatisch, sagt er, während er sein Fahrrad über den Betonstreifen schiebt, der die Kuhle oder Mulde in zwei Hälften teilt.

Es ist Mittag, Sonnenschein bei eisiger Kälte. P. R. Kantate hat am Park immer noch sein Studio – seine alte Wohnung im Erdgeschoss, wo er auch „Görli Görli“ geschrieben hat. Die Park-Hymne hörte sich damals so an: „Türken spielen Futte im Görli / Deutsche Hippies machen Mucke im Görli / Die Schwarzen sitzen inner Gruppe im Görli / Und Punkers fragen nach ner Fluppe im Görli“. Heute, elf Jahre später, ist Kantate 40 Jahre alt und wohnt immer noch in Kreuzberg, jedoch im Bergmannkiez. Und mit dem Frieden im Park ist es vorbei. Senat, Bezirk und Polizei kämpfen hier mit den Drogendealern um die Vorherrschaft.

„Jetzt machen die hier alles platt“

Den Hintergrundsound in der Kuhle bestimmen keine klampfenden Hippies oder grölenden Alkis, sondern das Grünflächenamt. Der Motor einer Heckenschneideschere dröhnt herüber. P. R. Kantate sagt: „Jetzt machen die hier wirklich alles platt.“ Der Bezirk hat beschlossen: Das Gebüsch muss weg, damit dort niemand mehr Drogen verstecken kann. Kantate hält das für „verzweifelte Symptombekämpfung“. Eine Lösung für das Problem fällt keinem so richtig ein.

Versuche, die Situation zu verbessern, sind aber zu sehen. Linker Hand: die zarten Bäumchen der Initiative, die mit Obstbäumen den Park verschönern will. Rechter Hand: der Kinderbauernhof, in dem Sau, Ziege, Schaf und Ente unbekümmert existieren. Wie immer in Kreuzberg, jeder auf seine Weise. P. R. Kantate lacht bei der Erinnerung, wie der Weg durch den Park betoniert wurde und jemand darauf eine Botschaft hinterlassen hat: „Baut doch gleicht die Autobahn hier durch.“

Ein Mann im Mantel klimpert im Gehen auf seiner Gitarre, Horden von Hunden tollen auf dem Weg. Die „dolle Vielfalt“, sagt P. R. Kantate, gebe es durchaus noch im Park. „Eigentlich ist sie sogar größer geworden, weil jetzt auch Hipster und Yuppies hier sind.“ Die Leute kämen hierher, weil sie ein Lebensgefühl suchen. „Hier denkt jeder, dass er der König ist.“

„Touri Party Schicki Micki / Studi Alki Frisbee Hippie“

Zum Zehnjährigen seines Sommerhits hat P. R. Kantate den Song neu aufgenommen und besingt in „Görli Görli 2013“ die Anwärter auf den Thron: „Touri Party Schicki Micki / Studi Alki Frisbee Hippie“ genauso wie „Checker Checker Ticker Ticker“ – die Dealer. Im Musikvideo lässt er sich in einer Sänfte durch den Park tragen. Dazu gibt es ein Making-of: Parkbesucher sitzen in der Sänfte und erzählen von ihrer Sicht auf den Görli. Von der Meinung, er habe sich durch die Kriminalität ins Negative gewandelt, bis hin zu dieser Sicht: „Durch die ganzen Dealer an den Eingängen kommen hier nur open minded people rein.“ Die Dealer als Türsteher vom Görli.

2003 hatte Klaus Wowereit einen Gastauftritt im Video zum Sommerhit. Heute würde sich der Regierende Bürgermeister wohl kaum freiwillig mit dem Schandfleck der Stadt in Verbindung bringen lassen. Stattdessen nimmt Hans-Christian Ströbele in Kantates Sänfte Platz und spricht von den drei bis vier Coffeeshops, die ihm für den Park vorschweben.

Von Ströbele sei er schwer enttäuscht, sagt Kantate. „Drogen zu legalisieren, ist eine völlig andere Diskussion als das, worum es hier im Park geht.“ Anfangs habe er gedacht: Das ist halt Berlin, Kreuzberg, der Görli. Bis zu den Videodreharbeiten im Sommer 2013. „Da brannte hier die Luft. Da hat jeder Depp gemerkt, was hier los ist.“ Es seien eben nicht irgendwelche Leute, die zufällig im Park Drogen verkaufen. Sondern Menschen, für die es „um knallhartes Überlebensbusiness“ geht: Flüchtlinge, die sonst keine Arbeit bekommen würden.

Der Kinderbauernhof als letzte Bastion

Am Wegrand stehen zwei junge Männer herum, unbeeindruckt von der Kälte. Als sie von zwei anderen angesprochen werden, schüttelt der eine den Kopf. Offenbar keine Dealer. Die massive Polizeipräsenz der letzten Tage scheint ihr Ziel fürs Erste erreicht zu haben. Angesprochen wird man gerade nicht. Eine Spaziergängerin deutet mit ausgestrecktem Arm auf den Spielplatz: „Und da haben sie die Drogen im Sand gefunden.“

Mit seinem dreijährigen Sohn kommt P. R. Kantate regelmäßig in den Park. „Der fragt immer: Papa, wann gehen wir wieder Görli?“ Dann besuchen sie den Kinderbauernhof. Den sieht P. R. Kantate „als letzte Bastion des Geists vom Görli“.

Und was soll dieser Geist sein? „Na, das hier“, sagt Kantate und deutet vor sich auf die Szenerie im Kinderbauernhof. Ein Mädchen sitzt in einer Schaukel, sie wird von zwei Frauen mit Kopftuch in die Lüfte geschubst. Ein dunkelhäutiger Mann spaziert mit kleinem Kind an der Hand an den Gehegen vorbei. Zwei Ziegen käuen Gras und werden dabei von einem Mann beobachtet, der offenbar alleine hier ist. „Das ist friedliche Koexistenz“, sagt Kantate. Die habe den Park immer ausgemacht. Er hält kurz inne, überlegt. Und sagt dann: „Dass hier niemand fremd ist im Park. Und jetzt ist es so, dass sich hier alle fremd fühlen.“ Kantate guckt ein bisschen irritiert, weil er merkt, dass er das Problem gerade ziemlich genau getroffen hat. Hier haben sich immer eine Menge Leute als Könige gefühlt. Jetzt ist der Thron vom Görli vakant.

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