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„Hohe Gewalt- und Waffenaffinität“: Fünf Jahre nach Angriff auf den Remmo-Clan stehen sechs Männer vor Gericht
Im November 2020 sollen Männer aus Tschetschenien den Spätkauf einer Großfamilie in Berlin überfallen haben. Zählte die Tat zu einem Bandenkrieg?
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Wenn ab Mittwoch dieser Woche im Saal 700 des Berliner Landgerichts über einen Fall von schwerem Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung verhandelt wird, begleiten extra Justizbeamte und sicherheitshalber wohl auch Polizisten den Prozess. Die angeklagten Taten waren heftig, vor allem gehörten sie zu einem Bandenkrieg: militante Tschetschenen lieferten sich auch mit Waffen ausgetragene Gefechte mit dem Remmo-Clan.
Vor Gericht stehen sechs Tschetschenen im Alter zwischen 22 und 36 Jahren, die im November 2020 einen Neuköllner Späti überfallen haben sollen, um dort Angehörige der deutsch-arabischen Großfamilie Remmo zu verletzen. Eingesetzt wurden Hämmer, Messer, Wasserpfeifen, Bänke und Reizgas. Die Angreifer verletzten drei Männer, einige Sequenzen der Tat wurden von Anwohnern gefilmt.
Polizei warnte vor einem Bandenkrieg
Wenige Tage danach folgte offenbar die Rache: Am Bahnhof Gesundbrunnen stechen Männer aus dem Remmo-Clan junge Tschetschenen nieder. Einige Tage später erneut Überfälle, wieder Verletzte. Vor drei Jahren wurde ein bekannter Kopf der Remmos dafür verurteilt.
Die Szene zeichnet sich weiterhin durch ein rigoroses Sanktionierungssystem und eine bemerkenswert formelle wie informelle transregionale Vernetzung aus.
Polizei-internes Schreiben über tschetschenische Netzwerke
In einem internen Schreiben wies die Polizeispitze ihre Beamten damals an, auf „Eigensicherung“ zu achten, auch weil mit dem Anreisen kampferprobter Tschetschenen aus ganz Europa zu rechnen sei. Beide Seiten, hieß es, verfügten über Waffen – womöglich sogar über Maschinenpistolen. In einem polizeilichen Lagebild war von „extremer Gewaltanwendung“ die Rede.
„Die Szene zeichnet sich weiterhin durch ein rigoroses Sanktionierungssystem und eine bemerkenswert formelle wie informelle transregionale Vernetzung aus“, hieß damals vom Landeskriminalamt. Hinzu kämen „ein ausgeprägter Ehrbegriff, eine hohe Gewalt- und Waffenaffinität sowie eine geringe Akzeptanz staatlicher Autorität“.
Als Islamisten im Syrien-Krieg aktiv
Einige der in Berlin aktiven Tschetschenen sollen als Islamisten im Syrien-Krieg gekämpft, andere in den Milizen des tschetschenischen Herrschers Ramsan Kadyrow gedient haben, der die Kaukasusprovinz mit Segen des russischen Präsidenten Wladimir Putin verwaltet.
Mitte November 2020 dann kommt es zu „Friedensverhandlungen“ zwischen den Unterwelt-Netzwerken. Vermittler ist ein syrisch-libanesischer Profiboxer. Online veröffentlicht er ein Statement, dazu ein entsprechendes Foto, auf dem sieben Männer an einem Tisch sitzend zu sehen sind: Vertreter der Tschetschenen sowie der Remmos.
Berlin-Tempelhof, Magdeburg, Neuruppin
In Justizkreisen heißt es vage, beide Lager hätten sich um Geschäfte gestritten, darunter womöglich Drogendeals und Schutzgeld-Erpressungen. Allerdings könnten auch „Ehrverletzungen“ der Auslöser für den Überfall auf den Remmo-Späti gewesen sein. Streit zwischen der Großfamilie und jungen Tschetschenen hatte es öfter gegeben, Anlass sollen ausgebliebene Respektbekundungen und religiöser Eifer gewesen sein. Schon im Jahr 2018 schlug ein Tschetschene in einer Tempelhofer Autowerkstatt einen Sprössling des Clans nieder.
In einer im Milieu kolportierten Version heißt es, ein Fall in Magdeburg habe die Fehde vollends eskalieren lassen. Drei Brüder aus Tschetschenien sollen dort im Sommer 2019 eine Shisha-Bar gestürmt haben, die dem Umfeld der Großfamilie Remmo zugerechnet wird. Die Tschetschenen sollen Gäste durch Stiche verletzt, später auch Pistole und Baseballschläger dabei gehabt haben.
Ein Jahr nach dem nun am Landgericht verhandelten Vorfall in Neukölln erreichte den Tagesspiegel eine E-Mail: Auslöser der Kämpfe sei ein Angriff auf einen Landsmann im Sommer 2020 in Neuruppin gewesen, schrieb der Vertreter eines Tschetschenen-Vereins ungeniert, der „Ladenbesitzer des Spätkaufs“ in Neukölln sollte deshalb „zur Rede“ gestellt werden.
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