
© Foto: dpa/Friso Gentsch
Hohe Krankenstände in Berliner Kitas: Fälle „massiver Personalunterschreitungen“ haben sich verdreifacht
„Bitte holen Sie Ihre Kinder früher ab“, lautet die Bitte an Eltern, wenn die Personaldecke in Kitas zu kurz ist. Eine FDP-Anfrage liefert die Zahlen zu diesem Phänomen.
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Berlins Kitas leiden unter Personalausfällen. In über 200 Fällen waren sie im laufenden Jahr so gravierend, dass sie sogar als „besonderes Vorkommnis“ an die Senatsverwaltung für Jugend gemeldet wurden. Dies ergab eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Paul Fresdorf.
Der Vergleich zu den Vorjahren macht den Unterschied deutlich. Demnach lagen die entsprechenden Meldungen über „massive Personalunterschreitungen“ in den drei vergangenen Jahren jeweils nur bei etwa einem Drittel der diesjährigen Fälle. Da 2022 noch nicht vorbei ist, dürfte sich die Zahl noch weiter erhöhen und weit über die 200 hinausgehen. Darauf deuten auch aktuelle Berichte aus Kitas: Der hohe Krankenstand ist ein allgegenwärtiges Thema, so dass auch viele Eltern gebeten werden, ihre Kinder früher abzuholen.
Roland Kern vom Dachverband der Kinder- und Schülerläden (Daks) nannte die Daten „besorgniserregend“, auch wenn man sie in Relation zu den 2800 Kitas in der Stadt setzen müsse. Er geht davon aus, dass sich in der hohen Zahl an erheblichen Personalunterschreitungen „vor allem die gestiegene Anzahl von Langzeiterkrankungen abbildet“. Einen systematischen Überblick gebe es zwar nicht. Aber auch der Daks höre immer wieder von Beschäftigten, die länger ausfallen oder immer wieder erkranken, was er „in den Kontext von Corona und Erschöpfung“ stelle.
Ein Träger meldet für zehn von 35 Kitas kürzere Öffnungszeiten
Auf eine Steigerung der Erkrankungsquoten deuten auch Angaben des Evangelischen Kirchenkreisverbands für Kitas in Berlin Mitte-Nord: Zehn von 35 Kitas haben derzeit eingeschränkte Öffnungszeiten „aufgrund krankheitsbedingter bzw. coronabedingter Personalausfälle“, hieß es am Montag auf Anfrage. Das entspreche auch dem Bild vom Oktober.
Gerda Wunschel-Gavlasz, die Geschäftsführerin beim Träger Ina-Kindergärten, hat den Eindruck, dass die Krankenstände noch die des Oktobers übertreffen: „Ich bin heute Morgen um halb sieben von einer Kita-Leiterin angerufen worden, die mir mitteilte, dass zwei Gruppen völlig ohne Personal sind, weil alle Mitarbeitenden krank sind“. Da so kurzfristig kein Ersatz zu organisieren gewesen sei, habe man alle Eltern der Kita angemailt, und alle, die eine Betreuung im häuslichen Umfeld bekommen könnten, gebeten, die Kinder zuhause zu lassen. „Das hat für heute funktioniert – aber was ist morgen?“, lautet Wunschel-Gavlasz’ bange Frage.
Insgesamt summierte sich die Krankheitsquote im Oktober 2022 auf zehn Prozent gegenüber 7,3 Prozent im Oktober 2019. Die Ina-Kindergärten gehören ebenso wie die Kitas des Evangelischen Kirchenkreises Nord-Ost und des großen Trägers Fröbel e.V. zum Trägerverbund „Kita-Stimme“. Für Fröbel nannte Sprecher Mario Weiss einen Krankenstand von gut 10,2 Prozent, was hier allerdings nahezu den Zahlen von 2019 entspricht (9,5 Prozent).
Was sich viele Eltern fragen: Warum werden Betreuungszeiten mitunter mit Hinweis auf Erkrankungen verkürzt, obgleich die geforderte Doppelbesetzung in einer Kitagruppe noch gegeben ist. Fresdorf wollte daher von der Jugendverwaltung wissen, ob denn langjährige Quereinsteiger:innen oder Auszubildende im dritten Jahr nicht auch eingesetzt werden könnten, um die Betreuung in Krankheitsphasen auch in den Randzeiten am Nachmittag sicherzustellen.
Jugendstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) schreibt dazu in der Antwort auf die Anfrage: „Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sowie Auszubildende (ab dem ersten Ausbildungsjahr) werden auf den Personalschlüssel angerechnet und können somit die Betreuung in den Randzeiten mit übernehmen“..
Inwiefern die zusätzliche Anwesenheit einer Fachkraft erforderlich sei, werde pro Einzelfall bewertet und liege „grundsätzlich in der Personalverantwortung des Trägers“. Im Übrigen müsse die Reduzierung der Öffnungszeiten „in Abstimmung mit den Eltern erfolgen“. Für unabweisbare Fälle habe der Träger eine Notbetreuung anzubieten. Regressforderungen von Eltern gegenüber Kita-Trägern seien bisher nicht bekannt..
Für Fresdorf ist klar, dass „dringend“ mehr pädagogisches Personal in den Kitas gebraucht werde. Ein möglicher weiterer Schritt zur Personalgewinnung könne die Stärkung der Vorschule in der Kita sein. Die Freien Demokraten gehen davon aus, dass mit der stärkeren Rolle der Vorschule eine tarifliche Aufwertung der Tätigkeit einhergehen müsste. Damit könne der Beruf auch finanziell attraktiver werden.
Fresdorf hat auch nach den weiteren meldepflichtigen Kita-Ereignissen gefragt. So erfuhr er, dass die Zahl an Fällen von „kindeswohlgefährdendem Verhalten unter Kindern in der Kita“ stieg und zwar um 55 Prozent von 29 Fällen im Jahr 2019 auf 45 im Jahr 2022. Kindeswohlgefährdendes Verhalten von Eltern wurde 16 Mal gemeldet (2019: Zehn Fälle).
Die Übergriffe unter den Kindern könne man „nur mit der schwierigen Situation der Kinder in den letzten Jahren in Verbindung bringen“, meint Fresdorf. Kitaschließungen, soziale Isolation, Eltern die am Rande ihrer Möglichkeiten stünden und überfordert seien, gingen „an Kindern nicht spurlos vorbei“. Es sei wichtig, die Kitasozialarbeit auszubauen.
Roland Kern vom Daks wies darauf hin, dass es in den letzten Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit der Kitas in allen Belangen des Kinderschutzes gegeben habe. Daher sei er „überrascht gewesen, wenn sich die gemeldeten Fallzahlen beim Kinderschutz deutlich erhöht hätten“.
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