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Der Leiter der Gipsformerei, Miguel Helfrich, freut sich über das Projekt, eine zweite Quadriga in Originalgröße herzustellen.

© Sven Darmer

So nah kommt man dem Kunstwerk sonst nicht: Im Bundestag entsteht eine zweite Quadriga aus Gips

Im Mauer-Mahnmal des Bundestags öffnet eine Schau-Werkstatt der Gipsformerei. Dort wird die Original-Quadriga nachgebildet.

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So nah sollte man ihr eigentlich nie kommen, der Siegesgöttin Victoria, ihrer langen Nase und den recht expressiven Brüsten. Jetzt steht sie als Torso, mit einem ockerfarbenen Teint, im Mauer-Mahnmal des Bundestags und wartet auf Bewunderer. Dort haben sich drei Mitarbeiter der Gipsformerei der Staatlichen Museen eingerichtet, um unter den Augen des Publikums an der Quadriga zu arbeiten.

Die „Schau-Werkstatt“ ist auf zwei Jahre angelegt, ein Kooperationsprojekt zwischen Bundestag, Landesdenkmalamt und den Staatlichen Museen. Die Werkstatt im Elisabeth-Lüders-Haus, Mauer-Mahnmal, Eingang an der Spree, ist von Dienstag bis Sonntag geöffnet, jeweils 11 bis 17 Uhr.

Die Quadriga gibt es nicht nur als symbolträchtiges Bildwerk aus Kupferblech auf dem Brandenburger Tor, sondern auch als Sammlung hunderter Gipsmodelle auf 50 Europaletten, die man aus den Depots des Landesdenkmalamts geholt hat. Diese Modelle sind ursprünglicher als die Quadriga auf dem Tor, stehen dem Original des Bildhauers Johann Gottfried Schadow näher, daher sind sie für die Kunstgeschichte von hohem Wert.

Sie entstanden 1957, als in einer seltenen Kooperation zwischen Ost- und West-Berlin das kriegsbeschädigte Brandenburger Tor samt Quadriga rekonstruiert wurde. Damals nutzte man Gipsformen der Quadriga, die 1942 abgenommen wurden, um neue Gipsmodelle zu fertigen.

Ein Gipsformer bei der Arbeit an einem Pferderumpf der Quadriga.

© Sven Darmer

Die Modelle enthalten Gestaltungsdetails, die sich in der Kupfer-Quadriga gar nicht oder nur abgeschwächt wiederfinden. „Die Bildgießerei Noack hat das damals nicht alles 1:1 übertragen“, sagt der Leiter der Gipsformerei, Miguel Helfrich. Außerdem sei die Quadriga in der Silvesternacht 1989 erheblich beschädigt worden.

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Künftige Restaurierungsarbeiten können sich nun an den Modellen von 1957 orientieren. Diese waren jahrzehntelang vernachlässigt worden, in Kreuzberg mussten sie ihr Quartier zudem mit Fledermäusen teilen. Einige Gipsformen sind zerbrochen, Teile der Oberflächen abgeplatzt. Einige Teile sind gänzlich verschollen. Das Landesdenkmalamt würde sich sehr über ein fehlendes Pferdebein freuen.

Glücklicherweise blieben die vier Pferdeköpfe in einem guten Zustand erhalten. Von den Rümpfen sind nur zwei überliefert, die wurden aber wohl schon bei der Erstanfertigung 1793 jeweils doppelt verwendet. Der Streitwagen, auf dem die Siegesgöttin steht, ist nur bruchstückhaft überliefert, die Standarte fehlt ganz.

Ein Blick ins Depot der Schau-Werkstatt. Hier sind alle Einzelteile der Gips-Quadriga verstaut.

© Sven Darmer

Die Experten gehen davon aus, dass die Gipsabdrucke 1942 in großer Eile vorgenommen wurden, um größeres Aufsehen zu vermeiden. Schließlich sollten die Berliner nicht beunruhigt werden. Zudem war es sicher schwierig, oben auf dem Tor zu arbeiten.

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In den zwei Jahren der Schau-Werkstatt im Mauer-Mahnmal, einem schlichten Betonsaal, soll eine zweite Quadriga entstehen, ganz aus Gips, mit einigen Leerstellen oder Ergänzungen, da sind sich die Gipsformer noch nicht sicher. Erst müsse man alle Objekte „sichten und sichern“, sagt Timo Klöppel von der Gipsformerei, für ihn kommt die Wiederentdeckung der Quadriga-Modelle einer Sensation gleich.

Die vielen Gipsobjekte müssen in einem weiteren Schritt richtig zugeordnet werden. Jedem Pferd haben die Gipsformer eine Kennungs-Farbe verpasst, dazu einen Buchstaben für das Herkunftsdepot. Ein Problem ist die Schabracke, eine Pferdedecke, die in viele Einzelteile zerbrochen und offenbar nur einmal überliefert ist.

Für den Bundestag ist die Schau-Werkstatt eine Chance, mehr Besucher ins strenge, etwas abweisend wirkende Mauer-Mahnmal zu locken. Die Gipsformer erhoffen sich mehr Aufmerksamkeit für ihr Kunsthandwerk. „Man kommt ihr so nah wie sonst nie“, sagt Helfrich mit Blick auf die Victoria. Ihr Teint stammt übrigens vom Schellack, der den Gips schützen soll. Sonst wäre sie perfekt weiß.

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