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Info-Büro in Grünheide eröffnet: Tesla schwänzt die eigene Bürgersprechstunde

Der US-Autohersteller Tesla will in Grünheide seine erste Fabrik in Europa bauen. Erstmals lädt er die Bürger der Gemeinde ein. Die meisten scheinen enttäuscht.

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Am Donnerstag hatte das Tesla-Informationsbüro für die „Gigafactory Berlin“ das erste Mal geöffnet.
Am Donnerstag hatte das Tesla-Informationsbüro für die „Gigafactory Berlin“ das erste Mal geöffnet.

© Patrick Pleul/dpa

An Christine de Bailly soll es nicht gelegen haben, sollte das Milliardenprojekt doch noch am Unmut der Bürger scheitern. Die weißhaarige Dame hat Kaffee gekocht – den besten in ganz Grünheide, wie ihr Partner verspricht – und sie hat auch ein paar Karaffen mit Wasser bereitgestellt. Ihr Netzwerkladen mit den großen Schaufenstern gegenüber dem Rathaus am Marktplatz der Stadt hatte an diesem Donnerstag nämlich länger geöffnet.

Grund: Der US-Autobauer Tesla will in diesen Räumen für die kommenden zweieinhalb Wochen ein „Informationsbüro“ für den geplanten Bau seiner „Gigafactory Berlin“ betreiben, wie es in der knappen Ankündigung der Gemeinde vom Vortag heißt. Bis zum 4. Februar immer Dienstags und Donnerstags von 17 bis 19 Uhr hätten Bürger die Möglichkeit, „ihre Fragen zu dem Bauvorhaben zu stellen“, hieß es wörtlich.

Wer auch auf Antworten auf die Fragen hofft, dürfte mitunter enttäuscht werden: Denn wie schon so oft in den Wochen seit Ankündigung des Plans durch Tesla-Gründer Elon Musk, ließ sich niemand von der Firma persönlich blicken, der wirklich weiß, wie es weitergeht. Tesla beauftragte lieber die Berliner Niederlassung der niederländischen Beratungsgesellschaft Arcadis damit, in Dialog mit den Anwohnern zu treten. Die Arcardis-Leute wissen immerhin, was in den Antragsakten steht.

Zwei Damen und ein Herr, Expertinnen für Bürgerbeteiligungen beziehungsweise Umweltfragen bei Arcadis, reisen die kommenden Wochen an, um einfach mal ansprechbar zu sein. Wie genau ihr Auftrag lautet, wollen sie indes nicht verraten, erklärt eine Dame - und verweist auf einen Presssprecher der Agentur. Man erfährt immerhin noch, dass sie den Weg nach Grünheide nicht mit einem Elektroauto, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigt habe, was relativ mühsam ist.

Gastgeberin Christine de Bailly, die schon seit 2015 – auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise – Netzwerkarbeit für Bürger von Grünheide betreibt, verteilt nun Zettel für Tesla. Die kann man mit seinen Fragen ausfüllen und in den bereitgestellten Kasten werfen. Sie drückt auch dem großen und kräftigen Herren, der mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand steht, einen in die Hand.

Hitler und Honecker überlebt – „Und jetzt kommt das“

Er, Steffen Seiler, möchte von ihr wissen, wie lange sie denn schon in Grünheide lebt. Seit 20 Jahren, antwortet de Bailly, die sich selbst „eine alte Brandenburgerin, aus dem Hugenottenadel“ vorstellt und auch viele Jahre ihres Lebens im Berliner Südwesten verbracht habe. Seiler kontert: Seine Familie lebe seit 1918, also in vierter Generation hier, in Sieverslake, einem Ortsteil von Grünheide. Man habe Hitler und Honecker überlebt, sagt er. „Und jetzt kommt das“.

„Das“ ist der Plan zum Bau der ersten europäischen Fabrik des vor 16 Jahren gegründeten Autobauers aus den USA, der seit wenigen Jahren die etablierte Konkurrenz vor sich hertreibt. In Grünheide will das Unternehmen angeblich ab 2021 mit zunächst rund 4000 Mitarbeitern rund 150.000 Fahrzeuge im Jahr produzieren. Später mit deutlich mehr Mitarbeitern auch ein Vielfaches, wie es heißt. Dazu will die Firma offenbar 41 Millionen Euro allein für das noch baumbewachsene Grundstück zahlen. Und dann Milliarden in die Fabrik investieren.

Der Netzwerkladen am Marktplatz in Grünheide. Hier will Tesla bis zum 4. Februar Fragen beantworten (lassen).
Der Netzwerkladen am Marktplatz in Grünheide. Hier will Tesla bis zum 4. Februar Fragen beantworten (lassen).

© Kevin P. Hoffmann

Der Kaufvertrag für das Grundstück hätte nach dem Willen der Landesregierung schon im Dezember unterschrieben sein sollen. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) berichtete am Mittwoch, der Verwaltungsrat in Kalifornien dürfte noch diese Woche – also am Freitag – Grünes Licht geben. Zugleich reagiert Steinbach zunehmend genervt darüber, dass er Auskünfte in Namen von Tesla erteilen soll. Immer wieder gerät er in die Situation, denn Teslas Leute selbst meiden die Öffentlichkeit. Das Europageschäft wird aus den Niederlanden geführt – bisher.

Tesla wird kein Grundwasser entnehmen

Während der besorgte Bürger Steffen Seiler andeutet, mehr über die Geschichte der Gegend und das Erbe und verschütteten Liegenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in dieser Gegen zu wissen, als man bei Tesla wahrhaben wollen dürfte, steht Grünheides Bürgermeister Arne Christiani (parteilos) vor der Tür und gibt reihenweise Interviews.

Anders als Tesla hat er auch Antworten parat: Der Forst? Der sei „erntereifer, minderwertiger Kiefernwald“. So laute der Fachausdruck. Der Wald werde jetzt geerntet werden. Das hätte ja schon vor 20 Jahren passieren sollen, als der Autohersteller BMW sich für das Grundstück interessiert hatte. „Und was die Lebewesen darin angeht: Die werden später sicher sogar bessere Lebensverhältnisse vorfinden“. Zum Thema Wasser: Ja, es handele sich um ein Trinkwasserschutzgebiet. Aber Tesla werde zunächst kein Grundwasser entnehmen.

Grünheides Bürgermeister Arne Christiani (parteilos) gibt am Donnerstagabend Interviews vor Teslas temporärem Bürgerbüro.
Grünheides Bürgermeister Arne Christiani (parteilos) gibt am Donnerstagabend Interviews vor Teslas temporärem Bürgerbüro.

© Kevin P. Hoffmann

Wichtiger sei, sagt der Bürgermeister: „Wir kämpfen seit 20 Jahren darum, eine hochindustrielle Ansiedelung zu bekommen. Und die kommt jetzt.“ Christiani erklärt auch an diesem Abend, dass das kleine Lager Tesla-Gegner sich überwiegend aus Leuten rekrutiere, die irgendwann zugezogen seien, weil es hier „nur Wald und Wasser“ gäbe. Diese Nachbarn hätten verkannt, dass man hier immer schon mehr haben wollte.

„Das macht uns Angst“

Gerd und Hannelore Hoffmann zählen womöglich zu diesen Leuten, die Christiani im Blick hat, wobei sie nicht zu den rund 50 Personen zählten, die sich am vergangenen Wochenende zu einem Demonstrationszug getroffen haben. Die Hoffmanns kamen vor 22 Jahren aus Berlin, gehen nicht sofort in das Bürgerbüro, suchen aber auch Antworten auf ihre Fragen: „Wo bleiben die, die hier wohnen, wenn 400 Lkw am Tag Teile anliefern oder abholen?“, fragt Frau Hoffmann. Es fehle die Infrastruktur. „Es ist ein Skandal, dass das nicht vorher geregelt ist. Das macht uns Angst“.

Drinnen in dem Büro sind Christine de Bailly und die drei Gäste von Teslas-Agentur in Gesprächen. Es bleibt ruhig und gesittet. Kein lautes Wort. Es träfe doch die falschen, das spüren offenbar auch die Kritiker der Fabrik. Es scheint gut möglich, dass mancher besorgte Anwohner seine Gangart ändert, sollten Teslas Leute sich hier auch einmal persönlich blicken lassen.

Nachtrag vom 21. Januar: Eine Ansprechpartnerin von der Agentur Arcadis legt Wert auf die Feststellung, dass sie - anders als im Artikel behauptet - den Auftrag von Tesla klar definiert habe: "Wir als Abteilung für Kommunikation und Bürgerbeteiligung des Unternehmens Arcadis Germany GmbH wurden von Tesla beauftragt, ein Bürgerbüro in Grünheide einzurichten und zu betreuen, um die Bürgerinnen und Bürger über das Projekt zu informieren, offene Fragen zu klären und eventuelle Sorgen sowie Feedback zum Vorhaben entgegen zu nehmen. Dabei haben wir jedoch kein Mandat, um Presseinterviews zu geben", teilte die Arcadis-Vertreterin vor Ort schriftlich mit.

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