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Berlin 2030 – Iris Laufenberg

© Gestaltung: Tagesspiegel/Foto: Julia Baier

Iris Laufenbergs Vision für Berlin 2030: „Ein Akt des Widerstands, der Dissidenz und des Protestes“

In einer von Kriegen geprägten Zukunft müssen Theater frei und mutig bleiben. Nur so können sie Orte des Widerstands und des Protests bleiben, findet die Intendantin des Deutschen Theaters.

Iris Laufenberg
Ein Gastbeitrag von Iris Laufenberg

Stand:

Wie sollte eine Großstadt wie Berlin 2030 aussehen? Wo gibt es gute Konzepte für die Stadt von morgen, und wie sehen diese Konzepte aus, zum Beispiel in Kopenhagen, in Wien und in Paris? In all diesen Städten gibt es Initiativen für autofreie Innenstädte, Schwammstädte, urbane Wildnis, aktive Bürgerbeteiligung, die Schaffung und Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum, Sharing Economy und kluge, langfristige Investitionen: in Bildung, neue Infrastruktur wie auch in alte Bausubstanz. Das Ganze ist ein Wechselspiel und Zusammenwirken von Tradition und Innovation, ganz besonders im Hinblick auf die Kulturinstitutionen und Kulturräume einer Stadt.

Eine vitale Stadtgesellschaft bietet große Räume und kleine Nischen, basiert auf einem regen Austausch, der Möglichkeit der Begegnung – und einem diversen und vielfältigen kulturellen Angebot auf den (Theater-)Bühnen der Stadt. Dieses kulturelle Angebot gehört zudem zu den entscheidendsten Standortfaktoren für den tertiären Sektor, der in Berlin weiterhin wachsen wird – auch auf dieses Potenzial kann die Bundeshauptstadt nicht verzichten.

Als Konzeptpapier war das alles zumindest in Teilen bereits 2021 definiert. Das Papier findet sich auf der Website des Senats: „BerlinStrategie 3.0 – Solidarisch, nachhaltig, weltoffen.“ Auf Seite 13 finde ich den schönen Satz: „Berlin ist eine Stadt für alle – diese gesellschaftsumgreifende Haltung spiegelt sich auch in der Kulturszene wider.“ Mir gefällt diese Vision für Berlin sehr gut. Ich muss mich zum jetzigen Zeitpunkt aber auch fragen: wie ‚berlinstrategisch‘ agiert der Senat in der derzeitigen Situation?

Denn die Einsparungen in Wissenschaft, Bildung, Sozialem und Kultur torpedieren diese Vision nicht nur, sie haben sie innerhalb von kürzester Zeit irreparabel beschädigt. Eine unserer Partnerinnen, die Berlin Mondiale, ist den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Die Kollegen und Kolleginnen haben über Jahre, manchmal Jahrzehnte, abseits des Berliner Stadtzentrums nachhaltige Beziehungen aufgebaut. Dieser gewachsene Baum wird nicht gestutzt, um bald wieder neue, vielleicht stärkere Äste und Blüten zu treiben. Nein, er wird an der Wurzel gekappt und unwiederbringlich zerstört.

Transformationsprozesse: engagierte Ansätze von gestern und Neuanfänge von morgen

Wenn wir über eine Stadtversion 2030 nachdenken, wo setzen unsere Überlegungen an? Jede Stadt hat ihre eigenen Voraussetzungen und Möglichkeiten, aber die Ziele sind ähnlich: Städte brauchen eine klimafreundliche und sozialverträgliche Transformation.

Für diesen Prozess braucht es politische Weitsicht. War die „BerlinStrategie 3.0“ nicht der Beginn dieser Weitsicht? Wo setzen sich die engagierten Ansätze von gestern fort – und wo sind die Neuanfänge für morgen? Wenn wir Gemeinschaft leben wollen, dann müssen die gesunden, gewachsenen Strukturen als Basis für etwas ernst genommen werden, das Hoffnung auf weitere Entwicklung in der Zukunft macht.

Gerade aber wird kulturelle Basisarbeit gekappt. Auch die Theater-, Opernhäuser und Museen werden in diesem Feld ihrer Kräfte beraubt. Wie soll so eine Vision für 2030 entstehen?

Theater als Werkzeug gesellschaftlicher Veränderung

Für eine lebendige Theaterlandschaft, die einer Metropole wie Berlin auch 2030 noch würdig ist, braucht es Nachhaltigkeitsinitiativen. Dabei geht es um „grüne Bühnenbilder“ – und darüber hinaus um sehr viel mehr. Es geht um ein anderes Arbeiten – ein Theater, das sich Zeit nimmt, das entschleunigt, das nicht ständig dem Druck von Premieren, Festivals und Hochglanzproduktionen nachgibt. Ein Theater, das langfristige Allianzen aufbaut, mit lokalen Communitys ebenso wie mit internationalen Partnern, mit Akteurinnen und Akteuren, die Theater als Werkzeug gesellschaftlicher Veränderung begreifen.

Als Intendantin eines Traditionshauses, wie dem Deutschen Theater (DT) in Mitte, begreife ich es als meine zentrale Aufgabe, Menschen und Emotionen über verbindende Themen im Hier und Jetzt, also live, zusammenzubringen. Ich sehe das Theater als Agora. Hier werden zentrale Fragen des Lebens gestellt und in all ihrer Kompliziertheit stellvertretend für eine plurale Gesellschaft gelebt und verhandelt.

Das Theater gibt dabei nicht die eine Antwort auf gesamtgesellschaftliche Fragen – aber es ist der Ort des Diskurses darüber. Gegen steigende Aggressivität im Alltag, gegen das Einsamkeitsproblem moderner Großstädte, gegen die Verdrängung und Denunzierung des Fremden – in all diesen Fragen haben wir nicht die eine große Antwort oder Lösung, aber viele, viele kleine.

Als Publikum finden sich bei uns im DT Menschen jeden Geldbeutels und Backgrounds. Menschen jeden Alters, auf den Bühnen und im Publikum. Menschen mit und ohne Behinderung, als Künstlerinnen und Künstler genauso wie als Gäste.

In solchen Zeiten braucht es Orte, die nicht dem Ruf nach Sicherheit folgen, sondern den Raum der Unsicherheit verteidigen.

Iris Laufenberg, Intendantin des Deutschen Theaters

Für sie alle gibt es Angebote der Teilhabe, zum Beispiel im Bereich Inklusion, zum Beispiel in der Diskurssparte Kontext und ganz besonders durch die Theaterpädagogen von DT Jung*. Mit dem Resultat, dass circa 25 Prozent unserer Theaterangebote von jungen Menschen wahrgenommen werden. Das Theater ist für sie einer der wenigen Räume, in denen aus dem Alltag verbannte Gefühle ausgelebt werden können. Das gilt im Erleben dessen, was auf der Bühne passiert, aber vor allem im Bereich Partizipation – im Spiel, in der Kunstproduktion selbst.

Orte, die den Raum der Unsicherheit verteidigen

Die Welt von 2030 ist vermutlich keine friedliche. Kriege prägen das politische Klima, Rüstungsausgaben steigen, Sprache und Grenzen verhärten sich. In solchen Zeiten braucht es Orte, die nicht dem Ruf nach Sicherheit folgen, sondern den Raum der Unsicherheit verteidigen. Theater kann und muss das leisten: Es kann Fragen stellen, statt Antworten zu geben. Es kann Auseinandersetzung ermöglichen, statt Feindbilder zu reproduzieren.

Das DT wird sich nicht vereinnahmen lassen von Narrativen der Bedrohung, sondern den Mut haben, sich der Komplexität zu stellen. Es wird nicht mitmachen, wenn Kunst zur nationalen Repräsentation oder zur reinen Kunstübung wird, sondern daran erinnern, dass Kunst immer auch ein Akt der Freiheit sein muss. Und natürlich ein Akt des Widerstands, der Dissidenz und des Protestes. Ein Theater, das von der Zukunft spricht, hat die Aufgabe, Regulierungen infrage zu stellen.

Was bedeutet „Deutsches Theater“ im Jahr 2030?

Der Name „Deutsches Theater“ ist eine Verpflichtung. Anders als Häuser, die (wie zum Beispiel das Berliner Ensemble) nach einem Kollektiv oder (wie die Schaubühne) nach einem Vorgang oder (wie das Gorki) nach einem Dichter benannt sind, trägt das DT in seinem Namen einen anderen Auftrag: Es muss für mehr stehen als für sich selbst. Es muss fragen: Was hält Gesellschaft zusammen? Was bedeutet Nation in einer vernetzten Welt? Wie kann Kunst über Einzelklientelen hinaus für die Gesamtheit von Gesellschaft denken?

Diese Reflexionshöhe ist keine nostalgische Übung. Sie ist essenziell für die Zukunft.

Denn das Berlin im Jahr 2030 wird nicht dieselbe Stadt sein wie heute. Das kommende Berlin braucht lebendige Stimmen, die gesamtgesellschaftlich wirksam werden. Nur wenn wir heute den Mut haben, uns an der Gegenwart zu messen, wird es diese Zukunft geben.

Das Deutsche Theater 2030 – ein Labor für eine andere Zukunft

Die hier skizzierte Vision für das Jahr 2030 ist keine einfache. Sie ist ein Entwurf, der Auseinandersetzung braucht, der Scheitern einkalkuliert, der sich nicht bequem zurücklehnt in eine Nische, in eine bestehende Publikumsstruktur oder in eine Tradition. Aber sie ist notwendig. Denn wenn wir in fünf oder zehn Jahren zurückblicken, soll nicht die Frage sein: Warum haben wir die Dinge geschehen lassen? Sondern: Wie ist es uns gelungen, dieses Theater für die folgenden Jahrzehnte zu einem lebendigen, widerständigen, offenen Raum für viele zu machen?

Meine Vision enthält eine dringende Bitte in Richtung Politik: Nehmen Sie die Sparmaßnahmen für die Bereiche Bildung, Soziales, Kunst und Kultur zurück. Nehmen Sie die Gedanken aus dem Konzeptpapier 2021 wieder auf und verlieren Sie diese nicht wieder aus den Augen: Zukunft braucht Kontinuität und Investition, erst recht in einer Kulturmetropole wie Berlin.

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