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Berlin: Jetzt wird’s ernst
Ab Mittwoch wollen SPD, Grüne und Linke über die Bildung einer Regierung beraten. Es schlägt die Stunde der Fachpolitiker – und harten Verhandler.
- Christian Latz
- Sabine Beikler
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Das Tempo ist rekordverdächtig: Keine vier Wochen nachdem die Berliner:innen ein neues Abgeordnetenhaus gewählt haben, starten die Verhandlungen zur Bildung einer rot-grün-roten-Koalition. Nachdem sich in den Sondierungen nur die Spitzenteams der Parteien gegenübersaßen, schlägt nun die Stunde der Fachpolitiker:innen. Am Mittwoch und Donnerstag treffen sich zunächst Vorbereitungsrunden für die Koalitionsgespräche, ehe die 16 Fachgruppen ihre Arbeit aufnehmen. Bis zu acht Personen pro Partei sitzen in jeder Gruppe, hinzu kommen je zwei Protokollant:innen. Thematisch orientiert sich die Einteilung der Gruppen an den Schwerpunkten des Sondierungspapiers. So gibt es jeweils eine Gruppe für Haushalt und Finanzen, Stadtentwicklung und Bauen oder die Mobilität, auch die Bereiche Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung sind mit einer eigenen Gruppe vertreten. Hinzu kommen Themen wie Arbeit, Soziales, innere Sicherheit oder Klima-, Umwelt- und Naturschutz.
Zusammengebunden werden die Ergebnisse der thematischen Gruppen durch die 30 Mitglieder der am Freitag das erste Mal tagenden Dachgruppe. Diese aus zehn Personen pro Partei bestehende Spitzengruppe trifft sich regelmäßig und versucht Lösungen zu finden, sollten sich SPD, Grüne und Linke in Punkten verhakt haben. Die Linken werden von Parteichefin Katina Schubert, Spitzenkandidat Klaus Lederer, den beiden Fraktionschefs Anne Helm und Carsten Schatz, Fraktionsvorstandsmitglied Franziska Brychcy, Senatorin Elke Breitenbach sowie den stellvertretenden Landesvorsitzenden Tobias Schulze und Pascal Meiser vertreten. Für die Grünen werden in der Hauptverhandlungsgruppe neben den Sondierungsteam aus Bettina Jarasch, Nina Stahr und Werner Graf auch die bisherigen Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus Silke Gebel und Antje Kapek sowie Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, der parlamentarische Geschäftsführer Daniel Wesener und Philmon Ghirmai, Vorstandsmitglied der Neuköllner Grünen, angehören. Bei der SPD sind die beiden Parteivorsitzenden Franziska Giffey, Raed Saleh sowie Andreas Geisel, Iris Spranger, Ina Czyborra, Michael Biel, Julian Zado, allesamt Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands, dabei. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD- Fraktion, Torsten Schneider, wird der SPD-Spitzengruppe angehören. Schneider wurde zwar nicht wieder ins Parlament gewählt, arbeitet aber für Fraktion und Partei dem Vernehmen nach bis Januar mit.
Schneider leitet für die SPD auch die Facharbeitsgruppe Finanzen und Haushalt, die voraussichtlich am Donnerstag das erste Mal tagen soll. Die Finanzgruppe wird eng mit den Fachgruppen zusammenarbeiten, da das Geld in der Landeskasse nicht unendlich ausgegeben werden kann. Es werden Prioritäten gebildet. Dass das Schulbau- und Sanierungsprogramm weiter finanziert wird, ist unstrittig. Auch der Ausbau der Infrastruktur wie Radwege, Straßenbahnen, die Tangentiale, wird einen vorderen Platz auf der Prioritätenliste haben. Genau wie der Wohnungsbau und Förderprogramme für den Wirtschaftsstandort Berlin. Unstrittig ist unter der designierten Koalition, dass trotz der 63 Milliarden Euro hohen Verschuldung des Landes weiterhin investiert werden muss, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Investitionsquote soll sogar auf zehn Prozent in den nächsten zwei Jahren steigen.
Um die nötigen Mittel dürfte auch in der Fachgruppe Verkehr gerungen werden. In den Sondierungsleitlinien haben sich SPD, Grüne und Linke auf die Einführung einer dritten Finanzierungssäule für den Nahverkehr geeinigt. Offen ist, welches es denn werden soll. Die Grünen, für die Monika Herrmann, bisher Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg, die Fachgruppe führen wird, präferieren seit Langem eine Citymaut, um Bus- und Bahnangebote querzufinanzieren. Für Tino Schopf, der die Fachgruppe der SPD leitet, ist das ein rotes Tuch: „Eine Citymaut wird es mit uns nicht geben. Wenn man versucht, das auf Gedeih und Verderb durchzudrücken, haben wir einen gewaltigen Dissens.“ Schopf spricht sich auch gegen ein verpflichtendes Ticket für Touristen aus. Das wiederum nennt Kristian Ronneburg, der voraussichtlich für die Linke an den Verhandlungen teilnimmt, als Präferenz seiner Partei. Einigen könnten sich alle drei wohl auf höhere Anwohnerparkgebühren. Verschoben werden dürfe die Entscheidung in jedem Fall nicht, sagt Ronneburg. „Wenn man in der nächsten Legislatur etwas in die Wege leiten will, dann muss man sich schon jetzt festlegen.“
Ähnlich kontrovers dürfte in der Verhandlungsgruppe Stadtentwicklung, Bauen, Mieten diskutiert werden. Den SPD-Kurs „Bauen, bauen, bauen“, gepaart mit einem Bündnis für Neubau und bezahlbaren Wohnraum, wollen Linke und Teile der Grünen nicht uneingeschränkt mitgehen. Letztere gehen mit den beiden Abgeordneten Andreas Otto und Katrin Schmidberger in die Verhandlungen, die Linke dürfte mit Fachpolitikerin Katalin Gennburg in führender Rolle vertreten sein, die SPD schickt mit Iris Spranger eine Verfechterin des von Giffey vorgegebenen Kurses in die Gruppe. Für Aufregung sorgte bereits am Dienstag die Berufung von Volker Härtig als SPD-Verhandler. Härtig gilt bei Linken und linken Grünen als rotes Tuch, angeblich soll seine Berufung bereits wieder zurückgezogen worden sein.
Der Koalitionsvertrag soll bis zum 24. November vorliegen und dann in den Parteigremien verabschiedet werden. Die SPD wird am 5. Dezember dazu einen Parteitag organisieren. Am 21. Dezember soll die neue Regierung gebildet werden. Die dann regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wird anschließend die Senator:innen ernennen und vereidigen.
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