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Absichtlich prollig. Kabarettistin Idil Baydar als Kunstfigur Jilet Ayse.

© Paul Zinken

Kabarettistin Idil Baydar in der Bar jeder Vernunft: Jilet Ayse ist die prollige Neuköllner Göre

Jilet Ayse ist Cindy aus Marzahn auf Türkisch, erfunden von Kabarettistin Idil Baydar - die sich nach dem Sarrazin-Buch dachte: "Ihr wollt Eure Kanakin, Ihr kriegt sie." Sie ist erfolgreich auf Youtube – und spielt nun in der Bar jeder Vernunft.

Jilet Ayse zeigt das Pflaster auf ihrer Stirn: Ihr Freund Ayak Ahmet hat zugehauen. „Wir haben diskutiert und so“, sagt sie, „er hat mir eine diskutiert, isch hab ihm eine diskutiert.“ Dass man sich mal prügelt, findet sie nicht schlimm, im Gegenteil: „Manchmal Du musst Frau auf ihren Platz schicken wie Hund.“ Ihre Schwester Aysegül sieht das anders, die hat einen braven deutschen Freund. Für Jilet ist sie eine „Integrationsnutte“.

Jilet Ayse - Klischee einer prolligen Neuköllner Göre

Weit über eine Million Mal wurden die Kurzfilme mit Jilet Ayse auf Youtube angeklickt. Man sieht das Fleisch gewordene Klischee einer prolligen Neuköllner Göre auf einem Tigermuster-Sofa sitzen, vor ihr auf dem Couchtisch sieben Handys. Sie trägt Adidas-Montur, die Haare hochtoupiert, die Nägel pink lackiert, an den Ohren baumeln bierdeckelgroße Ohrringe. „Ischschwöre!“ Sie fuchtelt mit dem Zeigefinger und keift los. Es geht um eine Silvesterparty mit Angela Merkel, um den Überwachungsstaat, der „voll in“ ist. Ein anderes Mal will sie Sylvie van der Vaarts Ehre retten und sie in die Koranschule stecken. Oder sie droht: „Wenn eine Drohne kommt auf mein Balkon, isch klatsch ihr eine, bis sie nisch mehr weiß, was sie is: ob Biene, ob Drohne.“

Jilet Ayse ist eine in Deutschland einmalige Kunstfigur, die türkischstämmige Cindy aus Marzahn. Wenn man der Website-Statistik von Youtube glaubt, sind ihre Fans vor allem weiblich und zwischen 13 und 20 Jahre alt. Seit einigen Monaten gibt es Jilet auch als wöchentliche Videokolumne auf Bild.de. Ab heute, Montag, ist sie mit einer eigenen Show in der Bar jeder Vernunft zu erleben.

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Idil Baydar verbindet mit der erfundenen Figur wenig

„Natürlich ist die Figur zugespitzt“, sagt Jilets Schöpferin, die Schauspielerin Idil Baydar im Café am Potsdamer Platz. Doch es steckt viel Wirklichkeit darin. Sätze wie „isch bin so höbsch, isch brauch keine Schule“ oder, dass ein echter Mann eben mal zuhaut, hat sie an der Rütli-Schule gehört, wo die 38-Jährige bis vor kurzem als Sozialpädagogin gearbeitet und Jugendliche auf dem Weg zum Mittleren Schulabschluss begleitet hat. Idil Baydar, lange dunkle Haare, schwarze Hose, schwarzes Top, dezenter Nagellack, verbindet mit ihrer selbst erfundenen Figur wenig.

Sie wächst auf im niedersächsischen Celle bei einer alleinerziehenden Mutter, die als Psychotherapeutin arbeitet und sie auf die Waldorfschule schickt. Sie lernt Gedichte von Goethe auswendig, ihre Freundinnen heißen Ariane und Anette, in den Sommerferien in Ankara spricht sie Englisch, weil ihr Türkisch zu schlecht ist. Mit 16 zieht sie nach Berlin und bricht die Schule ab. „Ich war so voller Energie, wollte arbeiten, dachte, ich brauche keinen Abschluss“, sagt Idil Baydar. Sie arbeitet mit Jugendlichen, schauspielert.

In Berlin hört sie zum ersten Mal, sie sei Türkin. Alle wissen genau Bescheid, was das bedeutet: Ehrenmord, Koranschule, Hartz IV. „So einsortiert zu werden, das kannte ich nicht.“ Als sie zehn Jahre später das Abitur nachholt, nervt es sie, dass sie immer noch erklären muss, warum ihr Deutsch so gut ist. Als 2011 Sarrazin mit seinem Buch rauskommt und alle Türken als Gemüsehändler abstempelt, reicht es ihr. „Ihr wollt Eure Kanakin, Ihr kriegt sie.“

Jugendlichen den Spiegel vorhalten, ohne sie zu verurteilen

„Isch geh Jobcenter, isch verdien auch 6000 Euro im Monat, kein Problem“, kreischt Jilet Ayse im Video. Doch der Mann im Jobcenter fragt sie, ob sie einen Termin hat. „Was für Termin? Hat Deine Mutter Termin oder was? Hast Du Problem? Hör mal, Du Locher, weißt Du nicht, was Dein Job ist?“

Idil Baydar will Jugendlichen den Spiegel vorhalten, ohne sie zu verurteilen. Dauerkritik führe dazu, dass sie sich ausgegrenzt fühlten. Erst mal nur zeigen, wie sie sind – vielleicht fangen sie dann von sich aus an zu überlegen, ob sie so sein wollen. „Schau mal, Selim, die ist wie Du“, kommentiert ein Mädchen auf Facebook das Video vom Jobcenter und teilt es. „Da kommt was in Bewegung“, sagt Idil Baydar. Aber was, wenn Jugendliche die Satire nicht verstehen und Jilet als Vorbild nehmen? „Das kann ich nicht verhindern“, sagt Idil Baydar.

In die Show in der „Bar jeder Vernunft“ will Jilet Ayse sich auch andere Gäste einladen: den Kabarettisten Murat Topal, Popsängerin Senna Gammour. Auch Gerda Grischke tritt auf, die Rentnerin aus Neukölln – Baydars deutscher Gegenentwurf zu Jilet. Sie sei keine Rassistin, lässt sie Gerda Grischke sagen. Aber dass ihr Sohn jetzt was mit einer Ayse hat, das sei doch ungeheuerlich. „Was soll denn da rauskommen – Neger?“

„Jilet of Germany“: 2.9. bis 14. 10. und 25. 11., Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24. Beginn 20 Uhr. Tickets: 24,50 Euro

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