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Deutliche Ansage. Comedy-Unterhalterin Idil Baydar fordert ein Anti-Rassismus-Gesetz. On stage tritt sie als Kunstfigur Jilet Ayse auf.

© Mike Wolff

Rassistische Morddrohungen: Jilet Ayşe kann nicht mehr harmlos sein

Auf der Comedy-Bühne streifte Idil Baydar Rassismus anfangs nur am Rande. Seit sie mit dem Tod bedroht wird, geht sie klar dagegen vor.

Politisch war Jilet Ayse eigentlich schon immer. Nur früher tat, was sie sagte, nicht so toll weh. Früher, da stand die Comedian Idil Baydar, Schöpferin der Kunstfigur Jilet Ayşe, vor ihrem Publikum und erzählte über die alltäglichen Vorurteile zwischen Türken und Deutschen, zwischen Kanaken und Kartoffeln.

Türken kriegen viele Kinder, Deutsche können nicht flirten. Als Jilet Ayşe in der „Apothekenrundschau“ liest, die Deutschen sterben aus, fragt sie ihr Publikum entsetzt: „Wer zahlt dann unser Hartz IV?“ Manchmal zwickte es beim Zuhören, aber im Grunde blieb Ayşe harmlos. Doch für harmlos ist die Lage zu ernst, spätestens jetzt.

Das liegt zum einen daran, dass Idil Baydar seit etlichen Wochen mit Nachrichten auf ihrem Mobiltelefon beleidigt und bedroht wird. „Du fettes ekelhaftes Türkenschwein“ steht da und „verpiss dich aus Deutschland, solange du noch lebend rauskommst“. Oder „Der Befehl lautet: Totaler Widerstand gegen den fetten hässlichen Türkenbastard Idil Baydar“.

Zuletzt auch auf Englisch: „Hey, du fette hässliche türkische Schlampe. Nazi zu sein ist das neue Schwarz. Sieh’s endlich ein du wertloses Stück scheiße.“ Unterzeichnet sind diese Nachrichten von einem „SS-Obersturmbandführer“, versendet durch eine Online-SMS-Plattform.

Idil Baydar erhielt Morddrohungen in Zusammenhang mit dem Anschlag in Christchurch

Und als am 15. März dieses Jahres in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch 50 Menschen getötet und 48 verletzt werden, liest Idil Baydar auf dem Bildschirm ihres Mobiltelefons: „Du widerliche fette ätzende Türkensau, so wie heute in Neuseeland knallen wir dich und Halise Baydar ab“. Halise Baydar ist die Mutter der 44-jährigen Deutschen. Nun ist Baydars Mutter keine Prominente, hat keinen Namen, den man ohnehin kennt. Um ihn herauszufinden, braucht es wenigstens eine besondere Motivation.

„Im Internet habe ich mich relativ früh daran gewöhnt, dass man mich auf die übelste Weise beschimpft. Das Internet gehört irgendwie allen, aber diese Telefonnummer hab nur ich“, erklärt Baydar die neue Dimension, die die Drohung für sie hat: Es war eine konkrete Morddrohung, von der auch ein Familienmitglied betroffen ist, mitgeteilt über ein sehr persönliches Medium.

Der für politische Delikte zuständige polizeiliche Staatsschutz ermittelt wegen Bedrohung und Beleidigung

Bei der Berliner Polizei hat Baydar nach der Morddrohung Anzeige erstattet. Mittlerweile ermittelt der für politische Delikte zuständige polizeiliche Staatsschutz, wegen Bedrohung und Beleidigung läuft ein Strafermittlungsverfahren gegen den noch unbekannten Täter.

Dass Jilet Ayşe nicht mehr harmlos sein kann, hat Idil Baydar jetzt also auch ganz nah erfahren müssen. „Abknallen“ beantwortet man nicht mit liebenswerten Klischees. Heute sagt Baydar: „Es bringt nichts, um die Blume herumzuerzählen, du musst die Blume in die Fresse halten“ – und lacht ihr durch jahrzehntelanges Rauchen tief-rasselig gewordenes Lachen.

Heute spricht Jilet Ayşe in TV-Sendungen über Kolonialismus, Rassismus und den NSU

Heute spricht Jilet Ayşe auf bundesweiten Bühnen und in TV-Sendungen über Rassismus und über Fremdenfeindlichkeit, über die heuchlerische Haltung der Bundesregierung, eine Armenienresolution zu verabschieden, aber Namibia keine offizielle Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama auszusprechen, und über einen Verfassungsschutz, der rechtsextremistische Netzwerke finanziere. Dann strahlt Ayşe ihr Publikum mit großen Augen an und sagt: „Versteht ihr, was ich meine? Ich mein’, ich zahl doch keine Steuern, damit die mich dann umbringen. Ihr wisst schon, NSU und so.“

Wenn Baydar dann die Bühne verlässt, ihr prolliges Bühnenoutfit gegen einen schlichten Wollpullover tauscht, erzählt sie, warum sie sich als Migrantin in Deutschland von Ermittlungsbehörden nicht beschützt fühlt. „Es macht etwas mit mir, wenn ich lese, dass einer Seda Basay-Yildiz, Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess, mehrfach von der Polizei gedroht wird, ihr zweijähriges Kind abzuschlachten“, sagt Baydar über die Anfang des Jahres bekannt gewordenen Morddrohungen einer rechtsextremen Polizeigruppe gegen die Frankfurter Anwältin.

„Wenn die Konsequenz ist, dass die Polizisten suspendiert werden, fühle ich mich nicht beschützt von dieser Polizei. Dann weiß ich, dass die nicht für mich sind.“ Und weiter: „Die gehören nicht suspendiert, die gehören unwiderruflich mit sofortigem Beginn aus dem Polizeidienst entfernt. Da gibt’s kein Rehabilitieren.“

"Deutschland braucht ein Anti-Rassismus-Gesetz"

Jahr für Jahr ermahne die Europäische Union die Bundesregierung, sie müsse etwas gegen Rassismus im Land tun, doch für Baydar ist bislang wenig Handfestes dabei. „Deutschland hat kein Abo auf Rassismus. Rassismus, Faschismus und Terror haben keine Kultur“, vielmehr seien sie systemisch. Was Deutschland daher brauche, sei ein Anti-Rassismus-Gesetz.

„Wir müssen Rassismus klar definieren, allerdings durch die, die betroffen sind, nicht die, die ihn ausüben.“ Stattdessen sollten Vertreter der Sinti und Roma, Mitglieder der People-of-Color-Verbände, Angehörige der Schwarzen Gemeinde definieren, was sie als Rassismus erfahren. „Mir ist wichtig, dass jeder zur Polizei gehen und sagen kann, dieser Mensch hat mich Negerin genannt, und dass die Tat als rassistische Straftat anerkannt wird.“ Jeder wisse, was rassistisches Verhalten ist, aber niemand wolle es ahnden.

Und dann macht sich auf Idil Baydars Gesicht ein breites schelmisches Grinsen breit, als sie verspricht: „Ich werde noch viel deutlicher werden.“

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