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Am Bett eines Patienten zeigt Oberstabsarzt Denis Vogt dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk ein Röntgenbild.

© Thilo Pulpanek/Bundeswehrkrankenhaus Berlin

Ukrainische Soldaten in Berliner Krankenhaus: Kampf gegen multiresistente Keime

Verwundete Soldaten der ukrainischen Armee werden im Berliner Bundeswehrkrankenhaus behandelt – als „humanitäre Hilfe“. Auch zivile Patienten profitieren davon.

Den wenigsten Menschen in Berlin wird im Alltag bewusst, dass knapp 2000 Kilometer von Berlin entfernt ein bewaffneter Konflikt ausgetragen wird. Im Bundeswehrkrankenhaus in Mitte ist der Krieg in der Ost-Ukraine sehr nah. Dort behandeln die Ärzte seit 2014 verwundete Soldaten der ukrainischen Streitkräfte. Oleg ist einer von ihnen. Im Kampf gegen die von Russland unterstützten Separatisten wurde er schwer verletzt. Mehrere Kugeln trafen Olegs Kniegelenke. Danach trugen ihn zwei Kameraden durch das Kampfgebiet, sagt er, die ganze Nacht lang durch Felder, Wiesen und Waldstücke, bis sie endlich ein Feldlazarett fanden. Das war bereits 2014, seitdem leidet Oleg unter einer hartnäckigen Infektion, die nicht ausheilt.

In dieser Woche bekam der Soldat Besuch vom ukrainischen Botschafter in Berlin. Andrij Melnyk kam im Einwegkittel, mit Kopfhaube und Mundschutz in das Krankenzimmer des Patienten Oleg. In der kommenden Woche soll er wieder nach Kiew verlegt werden. Dort wird die Behandlung fortgesetzt.

In Wirklichkeit heißt Oleg anders, doch sein richtiger Name darf aufgrund militärischer Geheimhaltung nicht genannt werden. Zurzeit versorgt das Berliner Bundeswehrkrankenhaus vier ukrainische Soldaten. Im Mai kamen sie mit einem speziellen Airbus der Luftwaffe aus Kiew. Sie sind nicht die ersten.

Seit 2014 wurden nach Angaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr insgesamt 125 ukrainische Militärangehörige in Deutschland behandelt. Etwa ein Viertel von ihnen im Berliner Bundeswehrkrankenhaus. Das Programm gilt im offiziellen Sprachgebrauch als „humanitäre Hilfe“, nicht als militärische Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen die aus Russland unterstützten Separatisten. Kämpfer der Gegenseite wurden aber bisher nicht behandelt. Ähnliche, jedoch kleinere Hilfsprogramme gab es seit 2010 auch für andere Krisengebiete: Tunesien, Jordanien und den Nordirak. Das Auswärtige Amt entscheidet darüber, welche Regionen Hilfe erhalten.

Infektionen mit gefährlichen Erregern

„Unsere Patienten wurden meist bereits mehrere Monate lang in ukrainischen Krankenhäusern behandelt, bevor sie zu uns kamen“, sagt Oberstarzt Christian Willy. Die vier Männer haben infizierte Wunden an den Beinen. Den Ärzten in der Ukraine sei es gelungen, die Gliedmaßen zu retten, sagt Willy. Doch dann seien die Infektionen nicht ausgeheilt, denn im Gewebe oder im Knochen hätten sich multiresistente Erreger festgesetzt, die mit herkömmlichen Antibiotika und dem chirurgischen Vorgehen nicht erfolgreich behandelt werden konnten. Die Patienten hätten Schmerzen und könnten ihre Gliedmaßen nicht mehr benutzen.

Das Bundeswehrkrankenhaus hat sich auf die Bekämpfung solcher multiresistenten Erreger in infizierten Wunden spezialisiert. Von besonderer Bedeutung sei das Hygienemanagement, sagt Willy. Patienten mit besonders gefährlichen Erregern werden in Einzelzimmern isoliert. Das Betreten ist dann nur mit Schutzkleidung möglich, die danach sofort entsorgt wird. „Die Regeln müssen diszipliniert eingehalten werden, sonst können andere Patienten angesteckt werden.“ Durch den täglichen Umgang mit den schweren Fällen übe das Personal die Abläufe ein. Ärzte und Schwestern würden an den Herausforderungen wachsen. „Von diesen Verbesserungen profitieren natürlich auch unsere zivilen Patienten“, betont Willy. Die machten immerhin etwa 80 Prozent aus.

Mit Forschung gegen Multiresistenzen

Um den multiresistenten Erregern noch besser zu Leibe rücken zu können, wird im Bundeswehrkrankenhaus auch geforscht. Eine vielversprechende Methode sei der Einsatz von Bakteriophagen, erklärt Professor Willy. Das sind spezielle Viren, die Bakterien befallen und töten – dem Menschen schaden sie nicht. Die Wirksamkeit dieser Phagen wurde bereits 1917 entdeckt. Mit der Verbreitung der Antibiotika geriet ihr therapeutischer Nutzen in vielen Ländern jedoch in Vergessenheit. Heute allerdings sind sie als Waffe gegen multiresistente Erreger wieder gefragt.

„Die Phagen kann man zum Beispiel in Abwässern finden und isolieren“, erklärt Willy. Dann würden sie untersucht, gereinigt und in einer „Phagenbank“ gesammelt. Die Krankenhausapotheke könne aus mehreren Phagen ein individuelles Präparat für einen bestimmten Patienten zusammenstellen. Ein solcher Phagen-Cocktail wurde bereits 2016 bei einem ukrainischen Soldaten eingesetzt. Die Behandlungsmethode ist zwar noch nicht zugelassen. Dennoch sei die Behandlung rechtlich möglich, sagt Oberstarzt Willy, wenn auf diese Weise eine Amputation verhindert werden könne.

Von den Erfahrungen könnten alle Erkrankten profitieren

In Rahmen des von Professor Willy geleiteten Forschungsprojektes names „PhagoFlow“ arbeitet das Bundeswehrkrankenhaus mit dem Leibniz-Institut und dem Fraunhofer-Institut in Braunschweig zusammen. Auch an der Charité wird dazu geforscht. Ab Oktober 2020 beginnt die Praxis. Dann soll die Methode so weit ausgereift sein, dass sie regulär an Patienten eingesetzt werden kann. In Zukunft könnte die Behandlung auch von der Krankenkasse bezahlt werden. Darüber entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss, der das Forschungsprojekt „PhagoFlow“ fördert. Die Phagentherapie könne dann zum Beispiel Verkehrsunfallopfern mit infizierten Wunden helfen, sagt Willy.

Bei der Behandlung des ukrainischen Patienten arbeitete das Bundeswehrkrankenhaus mit der Charité zusammen, aber auch mit dem Militärkrankenhaus Brüssel und dem Eliava-Institut in der georgischen Hauptstadt Tiflis. In Georgien gäbe es in diesem Bereich bereits langjährige Erfahrungen, sagt Willy. Tatsächlich habe die Behandlung des Ukrainers Fortschritte gemacht. Doch am Ende habe alles sehr lange gedauert, der Patient sei „zermürbt“ gewesen. Er habe den Durchhaltewillen verloren und sich für eine Amputation entschieden. Selbstverständlich sei das seine persönliche Entscheidung, sagt Willy: „Als Ärzte sind wir lediglich Berater. Wir experimentieren nicht an Menschen herum.“

Medizinische und ehrenamtliche Hilfe

Die ukrainischen Soldaten werden unterdessen nicht nur von den deutschen Militärärzten versorgt. Auch Freiwillige helfen auf ehrenamtlicher Basis – täglich. Zum Beispiel als Dolmetscher bei Arztgesprächen. Die Freiwilligen bringen den Patienten auch landestypisches Essen oder kleine Aufmerksamkeiten mit, um ihnen die lange Zeit in der Fremde zu erleichtern. In der Regel gehören sie der ukrainischsprachigen Community der Hauptstadt an. „In Berlin leben etwa 12.000 ukrainische Staatsbürger“, sagt Botschafter Andrij Melnyk. Hinzu kämen mehrere Tausend ukrainischstämmige Menschen mit deutschem Pass. Die Gemeinschaft habe einen starken Zusammenhalt.

Wenn der Gesundheitszustand es erlaubt, organisiert die Botschaft auch Stadtrundfahrten für die Patienten. So können sie zumindest Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor kennenlernen, auch wenn sie ansonsten nicht viel von der Stadt sehen. Knut Reuter, der Kommandeur und Ärztliche Leiter des Bundeswehrkrankenhauses, erinnert sich an die Ankunft der vier Patienten im Mai: „Als sie hier ankamen, stand bereits auf jedem Betttisch eine Rose.“ Die hätten die freiwilligen Helfer dort hingestellt, als Willkommensgruß für die Soldaten, die sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht kannten. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt Reuter sichtlich gerührt.

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