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Nach eigenen Untersuchungen stehen oder liegen zwei Drittel der E-Scooter, Fahrräder und Elektro-Motorroller an falschen Stellen.

© imago images/Achille Abboud

Update

Keine Besserung trotz neuer Regeln : Zwei von drei E-Scootern werden in Berlin noch immer falsch abgestellt

Die strengeren Regeln für E-Scooter haben die Lage auf Berlins Gehwegen nicht verbessert, zeigt eine neue Untersuchung. Auch die Anbieter sehen Handlungsbedarf.

| Update:

Trotz der neuen Regeln zum Abstellen von E-Scootern und Mieträdern blockiert ein Großteil der Sharingfahrzeuge in Berlin noch immer auf unerlaubte Weise die Gehwege. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Fußgängervereins FUSS e.V., die am Montag vorgestellt wurde.

In den beobachteten Straßenzügen standen oder lagen demnach zwei Drittel aller Fahrzeuge „behindernd, gefährdend, rechts- oder regelwidrig“ herum. Bei E-Mopeds lag der Anteil der falsch abgestellten Gefährte sogar bei mehr als 92 Prozent. Im Durchschnitt stieß der Verein in den untersuchten Straßen damit alle 77 Meter auf ein im Weg stehendes Fahrzeug.

Für die Studie betrachtete FUSS e.V. Ende Oktober die Lage in drei als repräsentativ für das Berliner Stadtgebiet angenommenen Gegenden: Das touristische Stadtzentrum rund um die Straße Unter den Linden, einen Wohnkiez in Schöneberg und sowie ein Gebiet außerhalb des Stadtzentrums in Alt-Tempelhof.

Wenn Sie ein Sharing-Zweirad haben, können Sie machen, was sie wollen.

Roland Stimpel, Vorsitzender von FUSS e.V.

Insgesamt standen in diesen Abschnitten am untersuchten Tag 634 Roller, Mieträder oder Mopeds. 325 von ihnen waren demnach nicht regelkonform oder störend abgestellt worden. Weitere 103 Fahrzeuge waren für blinde und seheingeschränkte Menschen gefährlich platziert. Nur jedes dritte Fahrzeug wurde so geparkt, dass dadurch niemand gestört oder gefährdet wurde.

Hochgerechnet auf das gesamte Stadtgebiet kommt der Verein nach eigenen Angaben auf eine Zahl von mindestens 20.000 Sharing-Fahrzeugen in Berlin, die nicht ordentlich geparkt würden. Doch nur in den wenigsten Fällen werde der Regelbruch auch geahndet, sagte der Vereinsvorstand Roland Stimpel. „Wenn Sie ein Sharing-Zweirad haben, können Sie machen, was sie wollen. Die Gefahr, dass Sie bestraft werden, ist äußerst gering“, lautet sein Fazit.

In Berlin gelten seit September neue Sondernutzungsbestimmungen für E-Scooter, Mieträder oder mietbare Mopeds. Festgehalten ist in den Regeln, dass die Fahrzeuge unter anderem nicht an Haltestellen, Kreuzungen und Fußgängerüberwegen geparkt werden dürfen. Beim Abstellen auf Gehwegen müssen mindestens 2,30 Meter frei bleiben. Auch dürfen sie Passanten nicht behindern.

Mindestens 150 Abstellstationen sollen 2023 in Mitte entstehen

Zugleich will der Senat mit den Bezirken ein dichtes Netz von Abstellflächen für die Gefährte in der Stadt schaffen, ein Großteil davon auf vormaligen Pkw-Parkplätzen. Anschließend ist das Parken der Fahrzeuge im Umkreis von hundert Metern um die Zonen verboten und soll auch technisch von den Anbietern unmöglich gemacht werden.

Geplant ist, dass dafür die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) weitere Jelbi-Hubs schaffen. Bis zu 150 der Stationen sollen 2023 im historischen Stadtzentrum in Mitte entstehen und so mehr Ordnung in das Chaos bringen, kündigte Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) kürzlich an.

Die Anbieter der Sharing-Fahrzeuge tanzen der Senatorin auf der Nase herum und sie lässt es geschehen.

Roland Stimpel, Vorsitzender von FUSS e.V.

Die ersten drei Stationen nach Ankündigung des Vorhabens wurden Mitte Oktober am Hardenbergplatz eröffnet – bislang jedoch ohne den erhofften Effekt. Bei einem Rundgang am Wochenende entdeckte Stimpel, dass die E-Scooter weiter kreuz und quer geparkt werden, nicht jedoch auf der vorgesehenen Fläche. „Das Chaos bleibt uns erhalten. Die Anbieter der Sharing-Fahrzeuge tanzen der Senatorin auf der Nase herum und sie lässt es geschehen“, sagte Stimpel.

E-Scooter-Anbieter weisen Vorwürfe zurück

Der Senat nehme die Missachtung der Regeln bislang hin, kritisierte der Fußgänger-Vertreter. „Da werden private Geschäfte auf öffentlichem Grund gemacht, die die Basismobilität vieler Menschen stören. Diese Anbieter müssen von der Straße. Sie erweisen sich als massiv rücksichtslos, asozial und regelwidrig.“ Falls dies rechtlich nicht möglich sei, müssten die befristeten Genehmigungen spätestens Ende 2023 auslaufen und von der Senatsverkehrsverwaltung nicht verlängert werden, forderte er.

Auch die Senatsverkehrsverwaltung sieht bei den neuen Regeln bislang „Defizite in der Umsetzung“, teilte Sprecher Jan Thomsen mit. Mit den Anbietern stehe man dazu im Austausch. Bei einigen Regelungen bestünden Übergangsfristen. Werde es nicht besser, drohten Strafen: „Weitere Mittel zur Durchsetzung sind Zwangsgelder, Ordnungswidrigkeitsverfahren und Widerrufsandrohungen bezüglich der Erlaubnis bei wiederholten Verstößen gegen die Nebenbestimmungen“, erklärte Thomsen. Die Zuverlässigkeit bei der Erfüllung der Nebenbestimmungen könne zudem bei der erneuten Genehmigung der Sondernutzung „eine relevante Rolle spielen“.

Der E-Scooter-Anbieter Lime erklärte auf Anfrage, dass sich „die Situation rund um das Thema ordnungsgemäßes Parken kontinuierlich verbessert“ habe. Dazu trügen auch Hinweise an die Nutzer durch das Unternehmen bei so Sprecherin Sarah Schweiger. Auch die elektronische Abstellverbotszone am Hardenbergplatz setze Lime bereits um.

Das grundsätzliche Problem sei die ungleiche Flächenverteilung zugunsten von Autos. Lime fordert daher ein dichtes Stationsnetz. „Bei einer ausreichenden Dichte dieser Flächen – etwa alle 100 bis 150 Meter – sprechen wir uns für eine verpflichtende Nutzung dieser Flächen durch unsere Nutzerinnen und Nutzer aus.“

In Berlin kommen auf 1,2 Millonen Pkw circa 30.000 Scooter. Jedes Auto nimmt dabei deutlich mehr Platz ein als ein E-Scooter und wird durchschnittlich über 23 Stunden am Tag nicht bewegt.

Patrick Grundmann, Tier-Sprecher

Ähnlich äußerte sich der Berliner Konkurrent Tier. Die vom Senat vorgegebenen Regeln halte das Unternehmen ein, sagte Tier-Sprecher Patrick Grundmann. Er verwies zugleich auf die Verhältnismäßigkeit: „In Berlin kommen auf 1,2 Millionen Pkw circa 30.000 Scooter. Jedes Auto nimmt dabei deutlich mehr Platz ein als ein E-Scooter und wird durchschnittlich über 23 Stunden am Tag nicht bewegt.“

Dennoch werde fast ausschließlich über den Platzverbrauch der Scooter diskutiert. „Wenn Städte an jeder Kreuzung, etwa alle 200 Meter, einen Pkw-Stellplatz in einen Stellplatz für geteilte Mikromobilität umwidmen würden, könnte das Thema schnell und erfolgreich gelöst werden.“

Kritik am bisherigen Erfolg der Sharing-Regulierung äußerte Verkehrspolitiker Felix Reifschneider (FDP). „E-Scooter und andere Miet-Fahrzeuge werden die Mobilität der Berlinerinnen und Berliner dauerhaft prägen. Deshalb muss der Senat endlich eine angemessene Infrastruktur schaffen und Fehlverhalten gezielt ahnden.“ Bislang versagten Senat und Bezirke bei dieser Aufgabe. Gerade in stark frequentierten Kiezen müssten endlich mehr Stellplätze entstehen, um die Gehwege freizubekommen, forderte Reifschneider.

Unzufrieden ist auch der Sprecher für Fuß- und Radverkehr der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker. „Für blinde oder stark sehbehinderte Menschen stellen falsch abgestellte Fahrzeuge eine echte Gefährdung dar. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen.“ Mobilität für alle bedeute auch sichere Gehwege.

Schenker forderte eine verbindliche Obergrenze bei der Fahrzeuganzahl. Künftig sollten nur so viele E-Scooter zugelassen werden, wie auch an Stationen abgestellt werden können. „Halten sich Anbieter*innen weiter nicht an die vom Senat vorgegebenen Regeln, sollten wir ein Verbot dieser Fahrzeuge prüfen“, sagte Schenker. Eine Alternative dazu sei ein vom Land ausgeschriebenes Bikesharing-System mit festen Abstellpunkten.

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